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nachDRUCK # 6

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Freie Szene

Wilde Party

mit Leichen

im Keller



Das Fest am Theater der Keller | Foto © MEYER ORIGINALS

Bewertung:    



Schon beim Hineingehen in den Saal der Interimsspielstätte vom Theater der Keller im Deutzer Hafen sprechen einen die Darsteller in feuchtfröhlicher Partylaune an. Auch später sitzen sie mehrfach verteilt im Publikum, das auf drei Seiten zur ebenerdigen Bühne hin platziert ist. Die Besucher werden so zugleich zum Teilnehmer der Familienfeierlichkeiten, um die es in Das Fest von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov geht.

Sechs junge Darsteller tanzen auf der Bühne zu Anfang rauschhaft, exaltiert und eng miteinander zu lauter Party-Musik von Kylie Minogue und anderen. Auch die Theaterbesucher werden bald eingeladen zu aufgedrehten Disco-Rhythmen zu tanzen. Es sitzen viele Schülergruppen im Publikum, die sich nicht lange bitten lassen.

Gefeiert wird der 60. Geburtstag von Helge, erfolgreicher Hotelier und Vater von vier Kindern. Die Atmosphäre ist gespannt, nicht nur weil eine der Töchter, Linda, Selbstmord beging. Der Zwillingsbruder Lindas, Christian, bringt mit seiner Festrede ein düsteres Familiengeheimnis an das Licht. Er behauptet, der Vater habe sich über Jahre hinweg sexuell an ihm und seiner verstorbenen Schwester vergangen. Das verstörende Familiendrama nimmt seinen Lauf.

Die aufstrebende, 1990 geborene, Regisseurin Charlotte Sprenger arbeitet gerne zu Themen, in denen es um Übergriffigkeit und Wehrlosigkeit, oder das Brechen mit Konventionen geht, so ist ihr Clockwork Orange am Theater der Keller sehr erfolgreich. Die Mitgründerin des seit 2017 stattfindenden Kölner Diversity-Festivals Britney X ist dafür bekannt, die Figuren in ihren Stücken gegen gängige Rollen- und Geschlechterstereotype zu besetzen. In ihrer Adaptation vom Dogma-Filmklassiker Das Fest wird der machtvolle Familienvater Helge von einem flippigen Mittdreißiger verkörpert. Frank Casali entblößt sich in der Rolle des Familienpatriarchen Helge auf der Bühne immer mehr und trägt Frauenreizunterwäsche. Der älteste Sohn Christian (Markus J. Bachmann) hat rosa lackierte Fingernägel. Ein Dienstmädchen, Pia, wird von einem muskulösen, tätowierten Mann (Madieu Ulbrich) im Frauenkleid gemimt. Hier wird bereits in der Anlegung der Figuren verstört. Denn familiäre Hierarchien, von denen das Drama eigentlich handelt, sind zunächst nicht ersichtlich.

Doch bald zeigen irritierende Wechsel in der Figurenkonstellation die Macht der Familie. Christian wird vom Vater, von der Mutter und der Schwester Helene bald selbst als „Störenfried“, „Einzelgänger“ und „psychisch krank von Kindesbeinen an“ angeklagt. Alle sechs Darsteller sprechen gemeinsam einen Monolog der Mutter, der die drei noch lebenden Kinder würdigt und kritisiert. Christian erkennt, dass er mit seinem Aufbegehren alleine gegen die Familienbande steht. Er unterwirft sich dem Vater. Die heile Familie soll erhalten, die Wahrheit verdrängt werden. Spannungen werden in wildes Abhotten auf der Tanzfläche überführt. Bald singen die Darsteller sogar feierlich zusammen Abbas „Thank you for the music“.

Helene springt an ihrem Bruder Christian übertrieben anhänglich hoch. Dann wird auf der Bühne Verstecken gespielt. Bald rufen alle nach der Mutter. Einige Szenen wirken affektiert, überdreht, klamaukig und grotesk. Bald wird ein Verhältnis zwischen der Haushälterin und dem jüngeren Sohn des Hauses, Michael (Denis Merzbach), thematisiert. Sie wirft ihm vor, sie geschwängert zu haben. Man glaubt, das Geschehen würde eine kurze Wendung erhalten und jemand anders würde zum Außenseiter, doch hier täuscht man sich. Denn die Haushälterin hakt sich bald wieder bei Michael unter, als hätte es die Auseinandersetzung nie gegeben.

Vereinzelt an den Seiten der Zuschauerreihen von der Decke herabbaumelnde Jalousien werden auf und wieder zugeklappt. Auch sie symbolisieren als Sichtblenden das geflissentliche Wegsehen und Nicht-Hingucken-Wollen in den eigenen vier Wänden. Doch die Rollos können nicht dauerhaft geschlossen werden, denn die Party und Christians Vorwürfe gehen ja weiter.

Paula Schäfer verkörpert mal unscheinbar die Mutter, tanzt bald eng mit Christian, mimt dann auch kurz die verstorbene Tochter Linda. Ihre Figur wird so schwer zuordenbar. Brit Purwin überzeichnet als Helene ihre Mimik und Gestik theatralisch, wenn sie den Abschiedsbrief Lindas recht übertrieben hinausschreit, um dann doch plötzlich leiser zu werden und zerbrechlich zu wirken. Die gehäufte Interaktion mit dem Publikum lässt bald die leise Hoffnung aufkommen, das unheilvolle Geschehen beeinflussen und selbst auf die Bühne treten zu können. Und tatsächlich tritt gegen Ende aus dem Publikum ein fein gekleideter Senior mit Anstecktuch (Ralf Harster) auf Casalis halbnackten Familienpatriarchen zu. „Ihr ward nicht mehr wert“ spricht Casali noch und übergibt dann die Rolle des Vaters an ebenjenen deutlich älteren Darsteller. „Ihr werdet immer meine Kinder sein“, ruft der nun gealterte Vater zu guter Letzt alleine auf der Bühne tänzelnd, bevor sich der unheilschwangere Reigen schließt. Es dürfte die letzte gemeinsame Familienfeier gewesen sein.

Insbesondere die Konfrontationen zwischen Christian und seinen Eltern bergen große, packende und düstere Theatermomente. Leider hat die Vorführung jedoch auch einige Längen. Deutlich aufwühlender war Christopher Rüpings Stuttgarter Adaptation von 2014; eine ebenfalls experimentierfreudige und lebendige Inszenierung, die mit einem durchweg jüngeren Ensemble besetzt war.



Das Fest am Theater der Keller | Foto © MEYER ORIGINALS

Ansgar Skoda - 12. Januar 2020
ID 11925
DAS FEST (Theater der Keller, 11.01.2020)
Regie: Charlotte Sprenger
Bühne / Kostüme: Eleonora Pedretti und Marina Diez Schiefer
Dramaturgie: Julia Fischer
Mit: Markus J. Bachmann, Frank Casali, Denis Merzbach, Brit Purwin, Paula Schäfer, Madieu Ulbrich und Ralf Harster
Premiere war am 3. Mai 2019.
Weitere Termine: 12.01. / 14.02.2020


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-der-keller.de


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