Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Uraufführung

Sibylle Bergs

Und sicher ist

mir die Welt

verschwunden

am Maxim Gorki Theater Berlin



Unverkennbar: Katja Riemann! | Foto (C) Esra Rotthoff

Bewertung:    



Ein Leben neigt sich dem Ende. Eine Stücke-Tetralogie auch. Am Maxim Gorki Theater bringt Regisseur Sebastian Nübling eine seit 2013 laufende Werkfolge von Sibylle Berg zu ihrem glänzenden Finale. Ein bitterböser Abgesang auf die einst so zuversichtlich gestarteten Girls Gemma, Lina, Minna und die namenlose, erzählende Hauptprotagonistin, die nun um die 50 in einem Krankhausenbett auf der Intensivstation liegt und ihr gescheitertes Leben rekapituliert. Um aus der deprimierenden Unsichtbarkeit einer alternden Frau wiederaufzutauchen und doch noch in die Weltgeschichte einzugehen, hat sie eine Bombe in einer „Jahresversammlung libertärer Vordenker“ gezündet. Als Rachegöttin fährt sie in diese Versammlung „marktradikaler Knallköpfe“, die auf einen „Top-Leader aus Amerika“ warten. Aber die Welt dreht sich danach unberührt weiter. Auch dieser letzte Versuch, nicht ganz ohne großen Knall aus der Welt zu scheiden, ist kläglich verpufft. Und sicher ist mir die Welt verschwunden heißt dieses vierte Stück von Sibylle Berg. Und es hat zu den drei Vorgängern Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen, Und dann kam Mirna sowie Nach uns das All - Das innere Team kennt keine Pause nichts an satirischer Schärfe verloren.

*

Sich selbst und als letzten großen Wutschrei gegen das kapitalistische System noch „ein paar marktliberale Idioten“ in die Luft zu sprengen ist das eine, die gnadenlose Selbstanalyse das andere. „Ich habe eine Wut auf die Welt oder das System oder mich, weil ich alles verraten habe, woran ich nicht geglaubt habe, oder haben wir wirklich einmal daran geglaubt, die Welt zu retten?“ So radikal geht die Frau noch einmal mit sich und der Welt der Chefs in den oberen Geschäftsetagen ins Gericht. Dazu hat Bühnenbildnerin Magda Willi einen kahlen Raum vor verspiegelter Rückwand gebaut. Die vier Schauspielerinnen (Anastasia Gubareva, Svenja Liesau, Vidina Popov und Stargast Katja Riemann) stehen diesmal in langen Bademänteln an rollbaren Keyboards mit Mikrofonen, mit denen sie Musik und Geräusche kardiologischer Geräte und von Beatmungsmaschinen im Darth-Vader-Sound machen. Die Keyboards dienen ihnen auch als Rollatoren. Schwarzer Humor, eine Stärke von Sybille Berg, gepaart mit vier Powerfrauen, die zuweilen die Regler auch kräftig hochziehen können.

Den Tod im Auge muss die Protagonistin enttäuscht feststellen, dass ihr das Unterbewusstsein keine faszinierenden Bilder eines gelungenen Lebens zeigt, sondern nur Unterdurchschnittliches wie „Immobilien und Kühlschränke, triste Reisen und die Abwesenheit von Liebe.“ Das allein wiegt schon schwer. Hinzu kommt noch die Benachteiligung durch patriarchale Strukturen und das Herausdrängen aus dem Job, während Männer ihres Alters befördert werden. Hämisch böse performen die vier Damen dabei schwanzwedelnde misogyne Mansplainer. Wenn Svenja Liesau in einer aus der Rolle fallende Soloperformance als Betrunkene die letzte große Liebe Benny am Grab verabschiedet und sich dabei an der Souffleuse abreagiert, ist das aber durchaus selbstironisch angelegt. Und auch die anderen haben ihre Soloauftritte. In den chorisch vorgetragenen Textpassagen wechselt der Ton von bitterem Sarkasmus zur Resignation und zurück. Frau hat es sich in ihrem Leben zwischen Job, Mutterschaft und Ersatzbefriedigung Konsum mit einem Ferienhaus an der Côte d‘Azur gut eingerichtet. „Ich hatte daran geglaubt, dass Konsum glücklich macht, und, verdammte Scheiße, das stimmt.“

Auch die Familie bringt ihr nicht die erwartete Liebe entgegen. Die Mutter, die sie ins Pflegeheim abgeschoben hat, und die Tochter, die wie sie damals nur auf andere Art rebelliert, haben sich von ihr abgewendet. Es bleibt die Angst vor dem Ende. „Du kommst allein und du gehst allein“, lautet das deprimierende Fazit. Da hilft nur sich selbst wieder als 13jährige zu fühlen. Mit mehreren starken Showeinlagen, bei denen das spiel- und tanzfreudige Damenquartett u.a. ein Death-Metall-Band performt, oder Songs wie I wanna know what love is singt, versucht Regisseur Nübling die „unendliche Traurigkeit“ und Hoffnungslosigkeit des Textes zu durchbrechen. Und zumindest für 90 unterhaltsame Minuten sehen dabei die Schauspielerinnen wie Siegerinnen aus.
Stefan Bock - 27. Oktober 2020
ID 12561
UND SICHER IST MIT MIR DIE WELT VERSCHWUNDEN (Maxim Gorki Theater Berlin, 26.10.2020)
Regie: Sebastian Nübling
Bühne: Magda Willi
Kostüme: Ursula Leuenberger
Musik: Lars Wittershagen
Choreografie: Tabea Martin
Dramaturgie: Valerie Göhring
Mit: Anastasia Gubareva, Svenja Liesau, Vidina Popov und Katja Riemann
Uraufführung war am 24. Oktober 2020.
Weitere Termine: 31.10. / 06., 07., 08.11.20020


Weitere Infos siehe auch: https://www.gorki.de/de/


Post an Stefan Bock

Freie Szene

Neue Stücke

Premieren



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



  Anzeigen:



THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)