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AUTORENTHEATERTAGE BERLIN 2018

The Call of Cthulhu (Cthulhus Ruf)

von Tomasz Śpiewak und Michał Borczuch nach H. P. Lovecraft


Bewertung:    



„Sie kamen von den Sternen und brachten ihre Abbilder mit sich.“, heißt es in der 1926 vom US-amerikanischen Horror-Schriftsteller H.P. Lovecraft (1890-1937) im Geiste Edgar Allen Poes geschriebenen Kurzgeschichte The Call of Cthulhu (Der Ruf des Cthulhu) über die Nachforschungen des Francis Wayland Thurston, Nachlassverwalter seines verstorbenen Großonkels George Gamell Angell, einem Professors für semitische Sprachen, dessen Aufzeichnungen Berichte eines versunkenen Mythos über die Verehrung eines Drachenwesens mit Klauen und Tentakelgesicht enthalten. Auch ein kleines Steinrelief jenes übernatürlichen Fabelwesens befindet sich im Nachlass des Professors und regt die Neugier seines Neffen an. Verehrt würde der Cthulhu (sprich: Kutulu) von grönländischen Eskimos, wie Professor William Channing Webb auf einer archäologischen Konferenz berichtet. Ein weiterer Bericht kommt vom Polizeiinspektor Legrass, der den alten Seemann Castro, einen Anhänger dieses grausamen Kults, nach einer Razzia in Louisiana verhört hatte.

Ein bisschen Voodoo, ein wenig unerklärbarer Zauber, der in die Träume der Beteiligten eindringt und sie dem Wahnsinn anheim fallen lässt - und fertig ist die Schauergeschichte. Die Faszination des Übernatürlichen und die Angst vor dem Fremden lassen einen alten Kult wieder aufleben, der von jenem Wesen Cthulhu (sprich: Kutulu) erzählt, das in einer Felsenstadt im Meer schlummert und auf seine Wiedererweckung wartet, in einer Zeit, wenn die Menschheit so groß würde wie jene Großen Alten, die man bis dahin als Götzenbilder durch entsprechende Riten verehren müsse bis „eine Fackel aus Ekstase und Freiheit“ den Erdball in Flammen setzen wird. Frei und ungezähmt, jenseits von Gut und Böse würden die Menschen dann schreien und töten und sich in Lust ergehen. Jedes Gesetz und jede Moral seien dann beiseite gefegt, und die aus ihren Gräbern auferstanden Alten würden den Menschen neue Wege, wie man schreit, tötet und sich in Lust ergeht, lehren.

„Der tote Cthulhu. In seinem Haus in R'lyeh schläft er und wartet träumend auf den Tag, an dem er aus seinem tiefen Schlaf erwachen wird. Denn es ist nicht tot, was ewig liegt, bis dass die Zeit den Tod besiegt.“

*

Dieses Mythos [s.o.] bedienen sich auch der polnische Regisseur Michał Borczuch und sein Dramaturg Tomasz Śpiewak für ihr Theaterstück The Call of Cthulhu (Cthulhus Ruf). Sie mixen Lovecrafts von Rassismen nur so wimmelnde Horror-Erzählungen rund um den Cthulhu-Mythos mit sehr persönlichen und aktuell-politischen Geschichten aus Polen, die sie mit dem Ensemble des Nowy Teatr Warschau während der Proben szenisch entwickelt haben. Regisseur Borczuch ließ sich da ganz von einem Lovecraft-Zitat leiten: „Die älteste und stärkste Emotion des Menschen ist Furcht, und die älteste und stärkste Form der Furcht ist die Angst vor dem Unbekannten.“ Für seine theatrale Betrachtung Polens unter der Regierung der rechtsnationalen PiS-Partei passt das wie die Faust aufs Auge. Nicht nur dass in Polen Angst vor dem Andersartigen geschürt wird, Verschwörungstheorien über die Kontrolle von fremdem Mächten haben in rechten Kreisen gerade Hochkonjunktur.

Zu Beginn läuft dann auch dieser Cthulhu aus dem All als Elefantenmensch mit Schaumstofftentakeln am Kopf einem Paar, das sich in einer Mammuthöhle verirrt hat, über dem Weg. Später werden wir dann Zeugen einer Art Gruppentherapiesitzung im Stuhlkreis, bei der es um sexuelle Perversionen geht oder das, was man dafür hält. Arkham und Dunwich, Lovecrafts grauenvolle Provinznester im Gebirgsland von Massachusetts, liegen hier auf dem polnischen Ödland, das mit Puppenhäusern dargestellt wird. Man flötet und singt in Tracht und Pudelmütze mit Folklore die Geister der Vergangenheit und Tradition herbei. Aberglaube paart sich mit der Furcht vor Fremden. Ironisch angehauchte Mono- und Dialoge erzählen „die Geschichte der Dummheit in Polen“. Es wird viel improvisiert. Dabei begleitet die ständig laufende Livekamera die Akteure bis hinter die Bühne und vor das DT. Kritik an der Kirche und ein wenig Provokation dürfen auch nicht fehlen. So tauschen eine erwachsen Tochter und ihr schwuler Vater Erfahrungen über Oral- und Analsex sowie Passiv- und Aktivverhalten aus. Eine Soziologin telefoniert von einem Kongress im Ausland nach Hause und bereut, die politische Entwicklung Polens nicht vorhergesehen und Kaczyński unterstützt zu haben. Die Inszenierung macht sich hier über die Vorzeigeintellektuelle der PiS-Partei, Jadwiga Staniszkis, lustig. Moralische Entscheidungen zu treffen, mache den Menschen zur tragischen Figur, heißt es hier.

Als Autor Lovecraft steht Ministerpräsident Kaczyński schließlich selbst vor seinem eigenen Denkmalsockel, referiert über die richtige Aussprache des Cthulhu („kehlig, wie die Araber“), und wünscht sich in seine selige Heimatstadt Providence auf Rhode Island zurück. Die Angst vor den gerufenen Monstern wie den Reptiloiden vom Planeten Yuggoth oder kegeligen Trapezoederwesen, die über die Bühne wuseln, erschwert den klaren Blick in die Zukunft. Die Regie entfacht hier ein Feuerwerk an Einfällen, das leider in Deutschland nicht nur wegen der teilweise sparsamen Übertitelung nicht immer zünden wird, da es ähnlich der georgischen Prometheus-Produktion ein Mindestmaß an Informiertheit voraussetzt. Politisch interessierte Zuschauer mit Sinn für schrägen Humor und avantgardistisches Theater werden dabei aber sicher auch auf ihre Kosten kommen.



The Call of Cthulhu (Cthulhus Ruf) | Foto (C) Kobas Laksa

Stefan Bock - 5. Juni 2018
ID 10737
THE CALL OF CTHULHU (Deutsches Theater Berlin, 02.06.2018)
Regie: Michał Borczuch
Dramaturgie: Tomasz Śpiewak
Bühne und Kostüme: Dorota Nawrot
Musik: Bartosz Dziadosz
Licht: Jacqueline Sobiszewski
Mit: Dominika Biernat, Bartosz Gelner, Małgorzata Hajewska-Krzysztofik, Zygmunt Malanowicz, Monika Niemczyk, Marta Ojrzyńska, Piotr Polak, Jacek Poniedziałek und Krzysztof Zarzecki
Gastspiel des Nowy Teatr Warschau - Polen zu den AUTORENTHEATERTAGEN BERLIN


Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de/


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de

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