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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

Das Rumpel-

stilzchen-

Problem



Das Goldene Garn (Reckless III) am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) David Balzer

Bewertung:    



Uff.

Da geht man einmal nur so zum Spaß ins Theater, ein Märchen schauen, bisschen staunen, bisschen entspannen, und was ist? Wird man doch in der Pause von einer unbkannten netten jungen Dame auf den dann doch hoffentlich bald zu lesenden Bericht zum Stück angesprochen. Während ich noch völlig perplex die dämliche Ausrede stammle, dass mir Kinderstücke zu schwierig sind (tatsächlich, das muss ich gesagt haben) und ich diesmal nur zum Zugucken da bin, baut sich der die Dame begleitende Recke neben jener auf, verkündet körpersprachlich das Ende der Unterredung und erspart mir damit weitere Peinlichkeiten.

Wenn eine solche Situation (Hobby-Rezensent wird im Theater erkannt und belobigt) auf die Bühne gebracht worden wäre, hätte ich sie als extrem unwahrscheinlich gegeißelt, aber heute gibt es ja ein Märchen, da passt das schon. Doch mein Ehrgeiz war geweckt, und so kommen wir nunmehr zum Wesentlichen...


*

Cornelia Funkes Reckless-Drittling [Das Goldene Garn] soll hinter seinen Vorgängern zurückbleiben, so hört man. Ich kann das nicht beurteilen, aber dass die Handlung diesmal arg bemüht wirkte im Vergleich zu den an selber Stelle gesehenen Uraufführungen I und II, will ich bestätigen. Dabei ist die Idee, mit einer Reise nach Osten die russische Märchenwelt nachzunutzen, plausibel, nur mangelte es mir an einem wirklichen Motiv für den Ostfeldzug im Gänsemarsch. Aber im Märchen kann man eben auch einfach mal festlegen, dass die Erlösung in Form der „Weberin“ im Osten wohnt (nein, mit den hiesigen Montagsschreiern hat dies sicher nichts zu tun).

Im Gegensatz zu ihren schlesischen Kollegen ist jene Weberin mit großer Macht ausgestattet, nämlich die Fäden des Lebens zu knüpfen oder bei Bedarf zu trennen, gegen Aufpreis selbst das goldene Garn der Liebe. Diese Dienstleistung möchte die dunkle Fee in Anspruch nehmen, die nach eigenen einschlägigen Missetaten diesmal selbst sitzengelassen wurde und dies nicht verwindet, weshalb ein Interruptus der emotionalen Bindung stattfinden soll - um den Preis des Verlustes der Unsterblichkeit. Deswegen zieht sie gen Osten.

Als Verfolgergruppe sehen wir Will Reckless, kleiner Bruder des Helden und leicht zu lenken. Mit einem kleinen Bluff setzt ihn der Erlelfenkönig Oberon in Marsch, seine Wunder-Armbrust (die eigentlich im diesseitigen Museum landen sollte, womit die Geschichte allerdings schnell zu Ende gewesen wäre) soll die Fee zur Strecke bringen und damit den Bann vom Elfenvolke nehmen, auf dass sie das gelobte jenseitige Heimatland (hinter dem Spiegel, für den, der sich da nicht so auskennt) wieder betreten dürfen. Die Mission überwacht eine Art Drohne namens Siebzehn, ein Homunkulus mit Scherenhänden und allerley Fertigkeiten, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, vorzugsweise lebendige.
Ein Goyl namens Nerron ist auch noch mit von der Partie, mal mehr, mal weniger hilfreich.

Das Hauptfeld in dieser Tour de Russe bilden Held Jacob, das Mädchen Fuchs und Chanute, ein meist angeschickerter Wirt aus dem Lande hinter dem Spiegel. Jene sind nun wieder als Blauhelme unterwegs und wollen den Totschlag verhindern oder schlicht das Brüderchen wieder nach Hause holen.

Dabei kommt man auch durch Moskva, wo Aleksey der Dicke einen Ball schmeißt und die Füchsin angesichts des Top-Spions Orlando ein klein wenig rollig wird, was das Hauptfeld um einen vergrößert.
Jakob hat in diesem Rennen allerdings noch ein kleines Geheimnis, nicht von der üblichen Art im Radsport, sondern eine alte Schuld, die er beim kleinen König hat und nun langsam mal einlösen muss: Der Standardpreis für wundersame Rettungen („eins pauschal“, wie wir vom Bau sagen), wie sie Jacob dereinst von Oberon erfuhr, ist der bekannte Rumpelstilzchen-Tarif: Das Erstgeborene von Jacob muss es sein als Lohn.

Dies erschwert nun deutlich die Familienplanung bei den Reckless senior, zumal die Dame des künftigen Hauses diese Tatsache dann doch rauspresst aus dem Geliebten. Insofern kommt der (very charming von Valentin Kleinschmidt gespielte) Frauenversteher Orlando allen nicht unrecht.

(Eine naheliegende Lösung, auf die wir Erwachsenen vielleicht kommen würden, wäre alles andere als pädagogisch wertvoll und gehört nicht auf eine Märchenbühne.)

Im Endspurt rettet die dunkle Fee ihren Vorsprung ins Ziel und wird auftragsgemäß von der Weberin (schöner Gesang von Henriette Hölzel) von Liebe und Unsterblichkeit befreit. Letzteres erweist sich als unpraktisch, als Will Reckless noch kurz vor dem Hauptfeld erscheint und kurz bevor er geschluckt wird die Dame mit der Armbrust meuchelt. Gewonnen hat also einer, der gar nicht mitgefahren ist: Oberon.

Ein bisschen Getümmel gibt es noch, das Liebesband zwischen Jacob und Fuchs erweist sich als unkaputtbar, dann ist doch recht abrupt Feierabend. Zuvor wird allerdings noch ausführlich auf das weiter vorhandene Rumpelstilzchen-Problem hingewiesen, was uns einen Teil IV erahnen lässt. Demnächst in diesem Theater (oder vielleicht auch in Düsseldorf).

* *

Neinnein, der Eindruck täuscht: Es hat mir sehr gefallen. Vor allem, weil der Handlung Schwäche mehr als kompensiert wurde durch eine vorzügliche, hinreißende, großartige Ausstattung von Sabine Kohlstedt, durch die das Stück ungemein bereichernde Tanzeinlagen (Choreographie: Ted Stoffer) der Profis Cindy Hammer und Florian Busch, aber auch aller anderen Schauspieler und deren großer Spielfreude sowie fesselnde Kampfszenen, die von dem zugleich mitspielenden Atef Vogel eingerichtet wurden.

Darstellerisch waren heute andere Fähigkeiten gefragt als im problembewussten Gegenwartstheater, und die Herren Thomas Kitsche, Rainer Philippi und Marius Ahrendt konnten diese nachweisen, getoppt noch von Jonas Friedrich Leonhardi, auch wenn mit dem Jacob die Brillanz anderer Rollen nicht zu erreichen war. Ina Piontek in einer Dreierrolle wusste in zweien zu überzeugen, der Aleksey war mir dann doch zu klischeehaft. Und Karina Plachetka als Fuchs? Würde die Attraktion jedes Zoos sein, so animalisch waren ihre Bewegungen.

Ein Kompliment unbedingt auch der Chefin Sandra Strunz, die schon den Vorgänger in Szene setzte, aber auch schon viele andere großartige Inszenierungen wie Woyzeck; Alle meine Söhne oder Emilia Galotti hier in Dresden gestaltete. Besonders beeindruckend: Die vielen kleinen Szenen während der unvermeidlichen Dreh-Zeiten der Bühne, die das Spieltempo hochhielten, aber nie aufgesetzt wirkten.

Und besonders erschöpft dürften heute abend die Theaterleute hinter der Bühne sein, egal ob Technik oder Kostüm, die im Akkord arbeiten mussten und dies glänzend bewältigten.

Alles in allem: Gelungen. Spiel, Tanz und Spektakel lassen den Abend trotz dünner Handlung zum Erlebnis werden, für die ganze Familie, wie es in der Werbung heißt.

Weihnachten kann kommen.



Das Goldene Garn (Reckless III) am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) David Balzer

Sandro Zimmermann - 2. November 2015
ID 8956
DAS GOLDENE GARN (RECKLESS III) am Staatsschauspiel Dresden, 01.11.2015
Regie: Sandra Strunz
Ausstattung: Sabine Kohlstedt
Musik: Rainer Süßmilch und Karsten Süßmilch
Choreografie: Ted Stoffer
Kampfchoreografie: Atef Vogel
Licht: Andreas Barkleit
Dramaturgie: Julia Weinreich
Besetzung:
Will Reckless ... Thomas Kitsche
Jacob Reckless ... Jonas Friedrich Leonhardi
Fuchs ... Karina Plachetka / Laina Schwarz
Nerron / Oberon / Baba Jaga ... Atef Vogel
Alma / Aleksey / Dunkle Fee ... Ina Piontek
Chanute ... Rainer Philippi
Clara / Weberin ... Henriette Hölzel
Siebzehn ... Marius Ahrendt
Orlando ... Valentin Kleinschmidt
Tänzer ... Florian Busch und Cindy Hammer
Uraufführung war am 1. November 2015
Weitere Termine: 7. - 9. 11. / 3., 4., 6. - 12., 20. - 22., 27. 12. 2015 // 10. 1. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de


Post an Sandro Zimmermann

teichelmauke.me



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