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Die Hölle,

das sind

die anderen



Die Ermittlung von Peter Weiss am FWT Köln | Foto (C) MEYER ORIGINALS

Bewertung:    



Verdächtig ist schon der erste Auftritt: Ein Mann betritt die Bühne, Anzughose in Springerstiefeln. Wenig später erfährt der Zuschauer, es handelt sich um den Adjutanten des Lagerkommandanten, der behauptet, nie einen Fuß in das Konzentrationslager gesetzt zu haben (gespielt von Marius Bechen).

Peter Weiss’ 1965 uraufgeführtes Theaterstück Die Ermittlung hat den ersten Auschwitzprozess gegen SS-Offiziere, Wachmannschaften und Ärzte des gleichnamigen Konzentrationslagers zum Thema, der von 1963 bis 1965 in Frankfurt am Main stattgefunden hat und eine Zäsur in der Aufarbeitung der NS-Verbrechen markierte. Anders als in Weiss’ personenintensiver Konzeption reduziert die Bühnenbearbeitung des Freien Werkstatt Theaters in Köln das Geschehen auf vier Funktionsträger im Lager: den Adjutanten des Lagerkommandanten, einen Arzt, einen Blockführer und einen Wachmann. Keine Ankläger, keine Zeugen, keine Opfer – nur Täter. Oder sind sie Opfer des Systems, dem sie folgen mussten, Opfer, die an ihren Taten zerbrechen? Die Reaktion der Einzelnen ist unterschiedlich, reicht von Trotz bis hin zu Weinerlichkeit und echter Verzweiflung.

Durch die Konzentration auf vier Protagonisten, die zunächst behaupten, alle nichts mit der Sache zu tun zu haben, als sie gefragt werden, nur um dann mit dem Finger auf den anderen bzw. die anderen zu zeigen, gelingt eine außerordentlich spannende Engführung des Themas und der Täter-/Opferkonstellation. Frei nach Sartre: Die Hölle, das sind die anderen, die ihre Mittäter nicht in Ruhe lassen. Immer wieder piesacken sich die vier, die doch alle Dreck am Stecken haben und sich mit verschiedenen Taktiken der Verweigerung und des Leugnens aus der Affäre ziehen wollen: Ich war noch nie im Lager; ich war zwar an der Rampe, an der die Ankommenden in arbeitsfähig und nicht arbeitsfähig unterteilt wurden, aber ich habe auch geholfen; ich habe davon gehört, aber selbst nicht geschossen; ich habe es gesehen, aber selbst keine tödlichen Injektionen gesetzt.

Alle vier tragen einen braungrünen Parker, mit dessen Kapuze sie ihr Gesicht verdecken können. Der Bühnenraum ist karg, nur links versperren einige angelehnte Bretter den Durchgang, der Boden ist dreckig. Die Inszenierung entlässt Zuschauer und Spieler nicht aus diesem engen Raum, in dem nach und nach alle grausamen Stationen des Konzentrationslagers verbal abgearbeitet werden. Zwischendurch wird „Am Brunnen vor dem Tore“ oder „Der Mond ist aufgegangen“ vierstimmig intoniert – was angesichts der Schrecken, von denen immer detaillierter berichtet wird, grausam anmutet und assoziativ ein weites Spektrum deutscher Geistesgeschichte eröffnet: vom Volkslied zu den Musikanten im Konzentrationslager, die im Angesicht des Todes den Offizieren im Lager vorspielen mussten.

Die Ermittlung ist in der Bearbeitung von Regisseur Ulrich Hub und Dramaturg Gerhard Seidel ein sehr intensiver, sehr fordernder Theaterabend, der viele wichtige Fragen stellt, ohne didaktisch und dröge zu sein. Zugleich zeigt die Aufführung, welche Aktualität Weiss’ Stück von 1965 haben kann: Es geht nicht nur um Auschwitz und die Verbrechen der NS-Zeit, sondern um jede Situation, in der Menschen systematisch über andere Menschenleben entscheiden.



Die Ermittlung von Peter Weiss am FWT Köln | Foto (C) MEYER ORIGINALS

Karoline Bendig - 5. Dezember 2015
ID 9025
DIE ERMITTLUNG (FWT Köln, 03.12.2015)
Inszenierung und Ausstattung:  Ulrich Hub 
Dramaturgie:  Gerhard Seidel 
Licht/Ton/Bühnenbau: Christoph Wedi
Öffentlichkeitsarbeit: Nadia Walter-Rafëi
Mit: Marius Bechen, Eva Horstmann, Holger Stolz, Rike Will und Philomena Schatz
Premiere war am 10. September 2015
Weitere Termine: 20. + 22. 1. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.fwt-koeln.de


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