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Ein Platz

im Schatten



David Imper ist Montgomery Clift im (C) Theater im Bauturm

Bewertung:    



Eigentlich ein gemütlicher Zufluchtsort, den Montgomery Clift (David Imper) da hat: Zeitungen liegen auf dem Teppich verstreut, im Hintergrund läuft Sinatra. Der Hollywood-Schauspieler selbst liegt friedlich im Sessel, singt leise mit. Doch es ist eine Attrappen-Idylle. Das aufwändig zusammengestellte Mobiliar auf der Bühne des Theaters im Bauturm scheint bloß da zu sein, damit Clift sich nicht völlig schutzlos fühlen muss vor dem Publikum, das er in den folgenden knapp anderthalb Stunden auf einen Trip durch die Hölle mitnimmt, die sein Leben jetzt ist. Wohlfühltheater geht anders.

Wir schreiben das Jahr 1956, es sind nur wenige Wochen nach dem Autounfall, der das Leben des amerikanischen Method Actors und mehrfach Oscar-nominierten Stars in ein Vorher und ein Nachher teilt. Überfallartig taucht die Erinnerung an die Geräusche aus jener Nacht im Mai wieder auf, das Reifenquietschen und Scheppern. Lebensgefährliche Wunden trägt er zwar nicht davon, psychisch ist er aber sein Ruin, dieser fatale Ausgang einer Party bei seiner guten Freundin Liz Taylor. Denn sein Gesicht - ganz objektiv betrachtet eines der schönsten Gesichter Hollywoods seiner Zeit - ist nun entstellt, wie er selbst sagt. Der Verlust von Schönheit ist nicht die einzige Parallele zu Wildes Dorian Gray; und doch ist Clifts Geschichte eine ganz andere. Seth Jarvis‘ Stück [Montgomery Clift] dokumentiert keinen gewaltsamen Tod, sondern reflektiert intelligent den „langsamsten Suizid Hollywoods“; Nebendarsteller gibt es keine; und auch keine subtile Homoerotik, denn der Protagonist spricht hier ganz offen über sein Schwulsein. Nein, Montgomery Clift ist nicht wirklich ein zweiter Dorian: Er ist einer von den Guten.

Barfuß tigert Clift durch seinen einsamen Bungalow, vom Sessel zur Hausbar und wieder zurück, die Stille erträgt er nicht, das schweigende Telefon. Eigentlich müsse er zu den Dreharbeiten, wiederholt er wie eine kaputte Schallplatte; stattdessen greift er aber zu den schmerzbetäubenden Drinks und Tabletten, die ihn auf lange Sicht zerstören werden. Das Publikum wird also gezwungenermaßen zum Therapeutenersatz, zu Zeugen eines Seelenstriptease, der gleichzeitig eine schonungslose Abrechnung ist – mit seinen Eltern, den sogenannten Freunden, der Zensur, den ganzen verlogenen Gestalten aus Filmgeschäft und Klatschpresse. Zwischen längeren Selbstmitleid-Tiraden überrascht Clift immer wieder mit klugen Zitaten und philosophischen Gedanken; vor allem aber nimmt er die persönliche Misere zum Anlass für einen Rundumschlag, soll heißen: für wütende Kritik an der Gesellschaft der ausgehenden McCarthy-Ära.

Viel Arbeit hat die Maske nicht; ein blaues Auge, ein wenig rote Farbe reichen. Der Zuschauer versteht auch so, dass Montgomery Clift als Schauspieler mit seinem Gesicht zugleich sein größtes Kapital verloren hat, ist er doch zugleich Clifts Spiegelbild. „Gott, seid ihr ein hässliches Publikum“, sind seine ersten Worte. Wenn er uns trotz handfester Beleidigungen und trotz unerträglichem Narzissmus vom ersten Moment an auf seiner Seite hat, dann liegt das auch am Charisma des US-Schauspielers, das David Imper auch in seiner Rolle mühelos ausstrahlt. Hinter der offensichtlichen Begeisterung für seine Figur steckt tatsächlich auch persönliches Engagement. Der Schweizer Schauspieler und Wahlkölner Imper hatte Jarvis, einen jungen Theatermacher aus Vermont, persönlich um den Text von Icon – so der Originaltitel – gebeten. Ein Glücksfall für das Kölner Publikum, für das dieses Gastspiel offensichtlich mehr als ein bloßes Trostpflaster zur Überbrückung der langen Sommerpause ist. Zu verdanken ist der Erfolg auch Regisseurin Heidi Gohde, deren vordergründig stilvolles Kammerspiel mit Zeitkolorit sich als kurzweiliger Trip in die seelischen Abgründe eines großartigen, in Vergessenheit geratenen Schauspielers entpuppt.

Schuld an der nachwirkenden Intensität der Vorstellung ist vor allem aber David Impers überragendes Spiel. Sein „Monty“ Clift hat wenig mit dem smoothen, stets ein wenig grüblerisch und unterkühlt wirkenden Leinwandhelden zu tun, den wir aus Filmklassikern mit Größen wie Marilyn Monroe, Clarke Gable und Marlon Brando kennen. Jarvis‘ stellt sich einen Anti-Helden mit trockenem Humor vor, mit verzweifeltem Mut zur „Hässlichkeit“ und Hang zum Sarkasmus, ja sogar Zynismus. Imper verinnerlicht all das, und ist bei den frequenten Wechseln zwischen aggressiv und fragil, zwischen körperlicher Gelöstheit und Anspannung dermaßen unverkrampft, dass man darüber leicht die Stellen vergisst, die textlich und inszenatorisch ins Pathos zu driften drohen.

An einer Stelle spricht Montgomery Clift über den jungen Mann, den er während eines Aufenthalts in Deutschland beim Cruising aufliest und dessentwegen er festgenommen wird. „Es waren seine Augen“, sagt er lakonisch, aber er sagt es gleichzeitig mit fast nachfühlbarer Verletzlichkeit und rabenschwarzem Fatalismus. Für Szenen wie diese honoriert das Publikum Impers Darbietung mit Standing Ovations. Absolut verdient.



David Imper ist Montgomery Clift im (C) Theater im Bauturm

Jaleh Ojan - 5. August 2015
ID 8789
Weitere Infos siehe auch: http://new.bauturm-theater.de


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