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Shakespeare Festival im Globe Neuss 2016

Die Wa(h)re

Frau

ZWEI HERREN AUS VERONA


Bewertung:    



Man musste sich zwischendurch schon die Augen reiben und vergewissern, dass man das wirklich erlebt. Was hier sieben Absolventen der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Zusammenarbeit mit dem Berliner Ensemble ablieferten, war einfach hinreißend. Dabei gehört Zwei Herren aus Verona zu den selten gespielten Werken von William Shakespeare - und das aus gutem Grund, denn das Frühwerk des „unsterblichen Barden“, der in diesem Jahr seinen 400. Todestag feiert, hat seine Tücken und Lücken.

Das Globe Theater Neuss, zu dessen Shakespeare-Festival 2016 die Produktion eingeladen war, ist an der Galopprennbahn und wunderbar im Grünen gelegen. Bei gutem Wetter finden die Einführungen draußen statt, wie auch bei der Nachmittagsvorstellung am vergangenen Samstag. BE-Dramaturgin Anika Bárdos erläuterte die Schwächen von Shakespeares Frühwerk: „Da sind zu viele überflüssige Leute und Requisiten drin, die keine dramaturgische Bedeutung haben und ablenken. Wir haben da einige Verästelungen abgeschnitten, um das Stück konsumierbar zu machen.“

Diese Eingriffe haben sich gelohnt, denn es ist auch danach noch sehr verwickelt. Valentin und Proteus sind beste Freunde aus Verona, doch Valentin möchte sich in der Welt ausprobieren und geht nach Mailand, während der liebeskranke Proteus zu Hause bleiben und nach Julia schmachten will. Irgendwann wird es seinem Vater zu viel, und er schickt Proteus nach Mailand. Dort hat sich Valentin in die Tochter des Herzogs verliebt. Silvia erwidert seine Liebe, aber der Herzog zieht einen anderen Verehrer, den tölpelhaften Edelmann Thurio, als Schwiegersohn vor. Valentin will mit Silvia fliehen und vertraut das Proteus an. Der hat sich aber auch in Silvia verliebt und räumt sich beim Herzog gute Chancen ein, wenn er ihn über die Fluchtabsichten seiner Tochter informiert. Proteus, der feine Herr aus Verona, begeht also doppelten Verrat, den an Julia, der er ewige Liebe geschworen hat und den an seinem Freund Valentin. Nach vielen Verwirrungen finden sich alle Protagonisten im Wald wieder, darunter auch Julia und ihre Kammerzofe, die sich in Männerkleidern auf den Weg zu Proteus wagten. Zusätzlich treiben noch zwei Clowns, Flink und Lanz, sowie ein Hund ihr kabarettistisches Unwesen.



Zwei Herren aus Verona, Valentin (stehend, Leonard Scheicher) und Proteus (Felix Strobel, knieend) verlieben sich in die Herzogstochter Silvia (Gaia Vogel) | © Christoph Krey für das Globe Theater Neuss


Wie auch in späteren Stücken, z.B. in Wie es euch gefällt und Ein Sommernachtstraum, stellt Shakespeare eine Dichotomie von der Hofwelt und dem Wald dar. Im Wald finden Läuterungen und Einsichten statt. Ein dramatischer Höhepunkt ist die Beinahe-Vergewaltigung von Silvia durch Proteus. Das sehr schnelle und seltsam anmutende Ende ist die sofortige Versöhnung von Valentin und Proteus. Noch befremdlicher ist es, dass Valentin Silvia auch noch an Proteus abtreten will. Noch unwahrscheinlicher ist es, dass Proteus sich auf seine Liebe zu Julia besinnt und Silvia auf einmal ablehnt. Merkwürdig ist auch, dass Silvia den Valentin trotzdem heiratet, obwohl er sie an Proteus abgeben wollte. - Einzig die Frauen sind ihrem einmal geleisteten Schwur treu. Die Männer sind wankelmütig und unberechenbar, von Gentlemen keine Rede. Der einzige Mann, der aufrichtig liebt, ist der Clown Lanz. Der liebt seinen Hund über alles und steht unverbrüchlich für ihn ein.



Mensch und Hund: Vielleicht die einzig wahre Liebe. Lanz (Jonathan Kutzner) mit dem besten Freund des Menschen (mit Felix Strobel als Puppenspieler) | © Christoph Krey für das Globe Theater Neuss


Sebastian Witt spielt mehrere Erwachsenenrollen, darunter den Herzog von Mailand und den Vater von Proteus. Die Schauspieler der Shakespeare-Zeit hatten ein gespaltenes Verhältnis zu den Machthabenden, von deren Gunst sie allerdings abhängig waren. Shakespeare hat die Obrigkeit in diesem frühen Stück schon relativ schwach angelegt. Der Herzog von Mailand wird nicht Herr über seine Tochter und deren Verehrer, und Proteus' Vater schafft es nur mit Mühe, sich seines liebestrunkenen und daher nichtsnutzigen Sohnes zu entledigen, indem er ihn nach Mailand schickt. Witt solidarisiert sich auf charmant hilflose, teils pantomimische Art mit dem Publikum, das er mit einem entschuldigenden „Na“ begrüßt. Das ist ein reizvoller Gegensatz zu seiner recht imposanten Erscheinung.

Jonathan Kutzner hat zwei teilweise gegensätzliche Rollen, als Thurio ist er ein Edelmann am Hofe des Herzogs von Mailand und dessen favorisierter Kandidat als Schwiegersohn. Silvia ist eine gute Partie für ihn, so trägt er denn auch beflissen eine lederne Aktentasche bei sich, die ihm ein geschäftsmäßiges Aussehen verleiht. Als Silvia ihrem Vater ungehorsam wird und in den Wald flieht, erlischt sein Interesse an ihr, mit einer ungehorsamen Ehefrau käme er nicht zurecht. Ganz anders ist Kutzner als Lanz, einem Clown, der seinen Hund über alles liebt und sogar die Bestrafungen für dessen Missetaten auf sich nimmt. Ihn würde er niemals im Stich lassen. So berechnend er als Thurio ist, so anrührend ist er als Lanz, dem er durch seine akrobatischen Fähigkeiten zudem eine sehr physische Präsenz verleiht.

Frauenrollen wurden zu Shakespeares Zeiten ja von Knaben gespielt, weswegen es selbst bei Shakespeare relativ wenige gut ausgearbeitete Frauenrollen gibt. Die Jungs wären damit wahrscheinlich überfordert gewesen. Für die heutigen weiblichen Shakespeare-Darsteller ist es dann schon eine Herausforderung, den Rollen Leben einzuhauchen.

Annemarie Brüntjen drückt das, was der Text nicht hergibt, durch Bewegung und Körperlichkeit aus. Vom Kostüm her trägt sie Tütü-Röckchen, Ballettschuhe, grellroten Lippenstift, was ihr ein puppenhaftes Aussehen verleiht. Durch Mimik und vor allem durch ihr Geigenspiel, das teils melodisch, teils kakophonisch ist, verleiht sie Julias Gefühlen Ausdruck. Als sie in Männerkleidern Proteus folgt, kann Brüntjen dann die vielschichtigeren Möglichkeiten der doppelten Identität nutzen.

Karoline Teska hat mit Lucetta, der Kammerfrau von Julia, erhöhte Anforderungen, da es eine der noch weniger ausgeprägten Rollen ist. Die füllt sie mit ihrem komödiantischen Talent und ihrer Bühnenpräsenz aus und hat vor allem in den anzüglichen Szenen den Mut zur Deftigkeit. Shakespeare ist bei sexuellen Anspielungen mitunter sehr explizit. Als sie sich als Mann verkleidet, trägt sie eine Männerhose mit Codpiece, das ist ein Hosenbeutel mit einer Aussparung für männliche Geschlechtsorgane. Das ist schon sehr lustig und charmant, wie Teska damit umgeht und damit der Rustikalität Shakespeares Rechnung trägt.

Gaia Vogel ist als heiratsfähige Tochter des Herzogs von Mailand das Objekt der Begierde mehrerer Männer. Silvia trägt weiße Schminke im Gesicht, möglicherweise als unbeschriebene Projektionsfläche für Männerwünsche gedacht. Es ist ein tragischer Höhepunkt in der Komödie, als sie sich die Schminke vom Gesicht wischt, doch sie wird auch weiterhin ein Spielball der Macht und der Männer bleiben. Weil es aber eine Komödie ist, geht die Sache gut aus.



Wenigstens auf die Frauen ist Verlass: Lucetta (Karoline Teska) mit dem voluminösen Codpiece, Julia (Annemarie Brüntjen) auf der Suche nach ihrem abspenstigen Geliebten und ein Wirt (Sebastian Witt, der u. a. auch den Herzog spielt) | © Christoph Krey für das Globe Theater Neuss


Brüntjen, Teska und Vogel überzeugen neben ihren individuellen Leistungen auch im Ensemble-Spiel, eine Solidarität unter machtlosen Heroinen, die ihrem Herzen folgen wollen.

Felix Strobel liegt schon beim Einlass auf der Bühne herum und singt italienische Liebeslieder. Sein Proteus macht die extremste Entwicklung im Stück durch. Zu Anfang ist er ein Herzensbrecher mit Charme und weißer Gitarre, bei Hofe wandelt er sich zu einem Verräter an allem, was ihm vorher heilig war. Strobel traut sich etwas, was viele gestandene Schauspieler höchst ungern tun. Er spielt den zum Bösen gewandelten Proteus so überzeugend, dass er die Sympathie des Publikums verliert (verlieren könnte). Im Rahmen dieses Stückes kann er das als Puppenspieler von Lanzens Hund wieder kompensieren und als sprachgewandter Clown Flink, eine Rolle, die er sich mit Leonard Scheicher teilt. Strobel hat die versatilsten Rollen im Stück und zieht alle Register seiner Schau- und Puppenspielkunst.

Leonard Scheicher hat schon als Jugendlicher im Film Quellen des Lebens Aufsehen erregt und im Film Finsterworld mitgespielt. Als er in Berlin in Zwei Herren aus Verona zu sehen war, bot ihm Katharina Thalbach praktisch von der Bühne weg die Hauptrolle für ihre Inszenierung Die Glasmenagerie von Tennessee Williams an, wo er bis April 2016 erfolgreich den Tom spielte. Leonard Scheicher steht mit einer Selbstverständlichkeit und Sicherheit auf der Bühne, die bewundernswert ist. Als Clown Flink beweist er, dass er auch extrovertiert spielen kann, doch liegt seine eigentliche Begnadung eher in den leisen und subtilen Tönen. Er kann auch eine wunderbare Intimität schaffen durch seine Fähigkeit, leise zu sprechen und trotzdem gut hörbar zu sein.

Bei so viel geballten Talenten ist es fast ungerecht, dass der Pokal für den Publikumsliebling an einen Dackel geht. Das ist eine Erfahrung, die alle Schauspieler fürchten, von Kindern und Tieren an die Wand gespielt zu werden. Hier im Stück sind es zusammengeschraubte Holzteile an Fäden.

Regisseur Veit Schubert ist Professor an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ und hat seine StudentInnen während der Studienjahre gut kennen und einschätzen gelernt. Shakespeares Text ist für ihn nicht sakrosankt, wie für manchen Bildungsbürger, und wie Shakespeare ist er Theatermacher und schafft beides: er hat ein Stück ausgewählt, das seinen Studenten ausreichende Schwierigkeitsgrade und Techniken abverlangt, aber es ist ihm auch gelungen, ein Stück für das Publikum zu machen. Das ist etwas, was auf deutschen Bühnen ganz gerne mal untergeht. Schubert und seine SchauspielerInnen kreieren teils magische Momente, wobei auch das funktionale und doch ästhetisch ansprechende Bühnenbild einen guten Hintergrund bietet. Das Globe in Neuss hat mehrere Bühnenfallen, die für maulwurfsjagd-ähnliche Turbulenzen genutzt werden.

Gewählt wurde die Übersetzung von Frank Günther, die von der Dramaturgin Anika Bárdos sehr gelobt wurde: „Seine Übersetzungen sind dicht am Original, poetisch und sinnlich. Die Schauspieler können den Text mit großer Selbstverständlichkeit sprechen.“ Dann kam sie noch einmal auf den Jubilar zurück: „Aber der Sprachwitz kommt von Shakespeare.“

Wie in jedem Jahr lädt das Globe Neuss auch 2016 wieder zu internationalen Shakespeare-Produktionen ein.


Helga Fitzner - 7. Juni 2016
ID 9361
Weitere Infos siehe auch: https://www.shakespeare-festival.de/


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