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Uraufführung

Angst vor

mir selbst



Tanja Merlin Graf in Spiel des Schwebens von Anja Hilling am Schauspiel Frankfurt | Foto © Felix Grünschloß

Bewertung:    



Wir sehen ein Pärchen einander zugeneigt mit dem Rücken zum Publikum. Sie blicken auf einen Leuchtkreis vor sich am Boden. Der rote Theatervorhang der Frankfurter Kammerspiele öffnet sich. Die Elemente im dahinterliegenden Bühnenbild von Marlene Lockemann sind ungewöhnlich. Es gibt geschwungene Metallstangen, auf die Scheinwerfer montiert sind und kreisrunde Erhöhungen, aus denen schräg gesetzte Leiterstufen herausragen. Das surreale Setting korrespondiert mit einer zentral positionierten Figur, die eine Hose in Übergröße mit schräg gesetzten Hosenbeinen trägt und altklug nach vorne weg spricht. Das verzerrt anmutende Szenario erinnert an Bilder von Salvador Dali oder Tim Burton.

Anja Hillings diesen Oktober uraufgeführtes Drama Spiel des Schwebens scheint in der nahen Zukunft verortet. Die Personenkonstellation wird erst im Verlauf des Dramas deutlich:

Das sozial eher benachteiligte Paar Vesna (Manja Kuhl) und Nils (Stefan Graf) hat ein Kind Emilia, das sie aber Miko nennen (Tanja Merlin Graf). Das Kind soll es einmal besser haben als die Eltern. Sie engagieren die nichtmenschliche Erziehungsberaterin Kali (Rokhi Müller). Diese schickt als eine unkonventionelle Erziehungsmethode Miko in den Wald, wo sie vergessen soll, woher sie kommt. Sie möge, den Willen Kalis zufolge, Aufwachsen ohne Zwang, ohne Vorbelastungen und ohne Fehler. Mutterseelenallein in der Wildnis erkundet Miko ihre Seelenlandschaft.

Einen Großteil der Performance spricht die alleingelassene Miko unzusammenhängend und lässt ihren Assoziationen und Ideen unbändigen Lauf. Auf hohem Niveau wuchern nun schwer verständlich komplexe Gedankenwelten, die Tanja Merlin Graf als Miko mit einem gewinnenden Lächeln und Strahlen betont tiefgründig vorträgt. Das Vorgetragene erscheint fragmentarisch, assoziativ verdichtet, abstrakt, mitunter poetisch. Es ist schwer dem Gesagten zu folgen. Die Figur der Miko erlebt jedoch auch kurze Momente der Intensität angesichts der Gewissheit eines Lebensendes, wenn sie unzusammenhängend begreift: „Ich habe Angst vor mir selbst. Und ich bin nicht okay damit.“

Anja Hilling stellt hier die großen Fragen des Lebens: Was ist der Mensch? Was gehört zur Menschwerdung? Nach welchen Prinzipien wird der Mensch kultiviert? Was heißt gut oder schlecht? Wie verändert der Mensch die Welt? Sind wir als Spezies bereits entartet? Überschätzt sich der Mensch, wenn er meint, er könne Kontrolle üben über Maschinen, die ökologische Belastung oder KI?

Bereits in Anja Hillings Stücken Massiver Kuss (2016) und Apeiron (2020) blieben Sinnzusammenhänge assoziativ und im Ungefähren. Auch im Spiel des Schwebens setzt Hilling auf komplexe Monologe oder Dialoge auf einer Metaebene, die oft eindrückliche Wortspiele enthalten.

Noch vor Ende tritt Miko ab, verschwindet sozusagen in der Isolation. Spannung schafft Regisseurin Christina Tscharyiski nun, wenn vor einem weißen Tuch die Silhouetten von Mikos Eltern wie in einem Scherenschnitt schattenhaft sichtbar werden. Das Paar ringt miteinander, redet aneinander vorbei. Stets breitet sich eine Figur aus und wird größer als die andere, diese schließlich inkorporierend, bis sie wieder schrumpft und die andere wächst. Bald hebt der Mann die Frau kunstvoll hoch empor. In diesem Spiel des Zusammenwirkens geht es – wie so oft bei Anja Hilling - um eine Sehnsucht nach Größe oder Bedeutung, um die Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit jedweder Existenz.

Das Gesehene wirkt nach, vielleicht auch gerade weil das Publikum keine Antworten erhält und schlussendlich ratlos zurückbleibt.



Stefan Graf und Manja Kuhl in Spiel des Schwebens von Anja Hilling am Schauspiel Frankfurt | Foto © Felix Grünschloß

Ansgar Skoda - 1. Dezember 2025
ID 15585
SPIEL DES SCHWEBENS (Kammerspiele, 28.11.2025)
von Anja Hilling

Regie: Christina Tscharyiski
Bühne: Marlene Lockemann
Mitarbeit Bühne und Kostüm: Nora Schreiber
Kostüme: Miriam Draxl
Musik: Cornelia Pazmandi
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt
Licht: Frank Kraus
Mit: Stefan Graf, Manja Kuhl, Tanja Merlin Graf und Rokhi Müller
UA am Schauspiel Frankfurt: 10. Oktober 2025
Weitere Termine: 22., 28.12.2025// 10., 23.01.2026


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspielfrankfurt.de


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