Zucker auf dem
Schlüpferberg
VESPERO von Alain Platel und Fabrizio Cassol an der Staatsoper Unter den Linden
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Mit VESPERO verkauft die Deutsche Staatsoper Berlin das unter dem eigentlichen Titel VSPRS - gemeint ist hier vielleicht die abgestummelt sein sollende Schreibweise für VESPERS - in Paris bereits herausgekommene Alain-Platel-Projekt "nach Musik von Claudio Monteverdi". Das hat dahingehend seinen Sinn, dass es der Mitbestandteil der Barocktage in diesem Jahr gewesen ist und dass die Staatsoper, die lediglich als Co-Macher und Co-Zahler in diesem Falle zu benennen wäre, einen projektilen Querverweis zum Thema zu markieren willens war.
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Szenen aus Les Ballets C. de la B. | © Chris Van der Burght
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Es wird sehr viel gezuckt an diesem Abend: Die grandiosen Akrobatinnen und Akrobaten des als Les Ballets C. de la B. gastierenden Ensembles sind von ihrem kongenialen Projektanten (WOLF, der beim Theatertreffen in Berlin 2003 zu sehen war, hat Alain Platel weltbekannt gemacht) zum Zucken angehalten worden; möglich auch, dass sich die Truppe während ihrer kreativsten Probezeit, in schöpferischer Selbstfindung, zu diesem oder jenem Extra-Zucker durch die bloße Gegenwart ihres Verheilers hat zu übermäßiger Vereiferung verleiten lassen; das beeindruckt auf den ersten Blick ... aber es nervt dann schon, dieses Gesamtgezucke hundert quälende Minuten zu ertragen. Und noch unentschuldbar nervender wiegt freilich, dass dem Ganzen ein Konzept vorsteht bzw. vorzustehen vorgibt, welches - jedenfalls für mich - rein intelektuell kaum mehr zu fassen ist.
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Szenen Les Ballets C. de la B. | © Chris Van der Burght
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Vier Frauen und sechs Männer imitieren Geisteskranke. Diese Geisteskranken machen einen Ausflug in die Berge. Und die Berge wiederum sind dergestalt gebaut und nachempfunden, dass man meint (Variante 1:) sich mittendrin in einer Aufeinandertürmung weißer Tücher oder Strümpfe oder Schlüpfer vorzufinden oder (Variante 2:) gelegentlich an Bord eines aus Schlüpfern oder Strümpfen oder Tüchern hergestellten Schiffs bzw. Eisbrechers zu sein. Die zehn an vorgetäuschter unheilbarer Spastik leidenden "Betroffenen" ergehen sich in Einzel-, Paar- und gruppigen Bewegungen; es wird auch hin und wieder Einiges gesprochen und getönt, vor allem aber wird sehr viel, sehr intensiv, sehr nervtötend gezuckt - - wiewohl sogar Musik hierzu kredenzt erscheint.
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Wie eine diese vorgetäuschten Epileptiker beaufsichtigende, umsorgende, ja therapierende Gruppe von Honorarheilpraktikern und Hilfspflegern haben sich eine Sopranistin und neun Musiker in das diffuse, wahrlich unerklärliche Geschehen mittenmang gewagt. Maribeth Diggle singt mitunter, und sie hält auch schön und brav die Töne, während ihre sie auf Saxofon, Perkussion, Bassgitarre und Bouzouki sehr gekonnt begleitenden Kollegen auch nicht richtig wissen was sie hier an Ort und Stelle mit den so vermeintlich Irren soll'n. Und vom Mentalen her ist man ja eingestellt gewesen auf Marienvesper; auch auf co-kompositorische Veränderungen ihrer selbst. Allein: Die letztlich uneinordbare Vermischung mehrerer sich wie auch immer definierender Versatzstile mit ein paar rausgepickelten Originalzitaten Monteverdis bräuchte eine sehr gewisslich nur durch exzessivste Korruption ertestbar willentliche Muse zur Gewöhnung.
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Der Gesamteindruck auf alle Fälle: niederschmetternd.
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Andre Sokolowski 2. März 2006 ID 2277
www.andre-sokolowski.de
VESPERO
Ein genreübergreifendes Projekt
nach Musik von Claudio Monteverdi
Les Ballets C. de la B.
Konzept und Regie: Alain Platel
Musik: Fabrizio Cassol
(nach der Marienvesper von Claudio Monteverdi)
in Zusammenarbeit mit Wim Becu und Tcha Limberger
Bühnenbild: Peter De Blieck
Kostüme: Lies Van Assche
Die Tänzer: Quan Bui Ngoc, Mathieu Desseigne-Ravel, Lisi Estaràs, Emile Josse, Iona Keweney, Samuel Lefeuvre, Mélanie Lomoff, Ross McCormack, Elie Tass, Rosalba Toores Guerrero, Hyo-Seung Ye
Musikalische Ausführung: Maribeth Diggle (Sopran), Tcha Limberger (Violine/Flöte), Vilmos Csikos (Kontrabass), Wim Becu und Adam Woolf (Barock Posaune), Doron Sherwin und Marleen Leicher (Zink), Fabrizio Cassol (Saxofon), Stéphane Galland (Perkussion), Michel Hatzigeorgiou (Bassgitarre/Bouzouki)
Premiere am 1. 3. 2006, weitere Aufführungen am 2. und 3. März
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper-berlin.de
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