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Premierenkritik

20. Juni 2010, Staatsoper Hannover

DIE WALKÜRE

Inszenierung: Barrie Kosky


Zwillingsszene aus dem 1. Akt der WALKÜRE an der Staatsoper Hannover - Foto (C) Thomas M. Jauk


Von Schnarchzapfen bis Zapfenstreich

Barrie Kosky scheitert an Wagners “Walküre”


Gehen wir kurz zurück auf Los, als uns Barrie Kosky den wohl gelungensten Ring-Auftakt seit Jahren präsentierte: Die Rheintöchter (diesmal mehr als drei) als Revuegirls in einem Rhein aus Puder, Strass und Straußenfedern. Das war ein Anfang, dem wirklich ein Zauber inne wohnte. Zwar konnte das vorgelegte Tempo über den Abend nicht gehalten werden, missfielen einige Plattheiten (Alberich vergewaltigt Mime, der “Riesen-Wurm” als Darkroom-Bukkake-Nummer), aber es gab auch weitere tolle Einfälle (Fasolt und Fafner als siamesische Zwillinge), und man war gespannt, wie Kosky es schaffen werde, aus diesen recht verschiedenen Fäden ein geschlossenes Netz zu spinnen.

Wenn jetzt der Schlussvorhang über der neuen Hannoveraner Walküre fällt, ist diese Frage beantwortet: Es wird ihn nicht geben, den Zusammenhang. Alle bisher gezeigten Schauplätze gleichen sich darin, dass sie nicht zueinander passen. Weder stilistisch noch inhaltlich. Der Ring als Flickenteppich? Wagners Tetralogie als lose zusammengeklebte Nummernrevue? Der Gedanke Stuttgarts (Millennium-Ring) im ausgeklügelten Detail? Was auch immer Kosky hier vorschwebte: Die Umsetzung ist - zumindest bei dieser Produktion - gewaltig in die Hose gegangen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes...


Die Mordszene im 2. Akt aus der WALKÜRE (Staatsoper Hannover): Hunding wird sogleich den Siegmund killen - Foto (C) Thomas M. Jauk


Die Wälsungen treffen in Hundings Wohnzimmergruft aufeinander. Dort geht der Blick zuerst an die Decke. Zwar gab der Werkeinführer den Hinweis, dass die Interpretation der gleich zu sehenden Beule dem Zuschauer überlassen werde (Astloch? Geschwür?), aber so viel Fantasie will Kosky dann doch nicht zulassen: Zu “... heraus aus der Scheide zu mir!” verschwinden beide Hände Siegmunds in der Öffnung und Nothung erlebt - unter den Sturzbächen einer geplatzten Fruchtblase - seine Geburt. Daraufhin lüpft Sieglinde das Hausfrauenröckchen, und unter dem zweiten Schwall besagter Säfte macht es sich das Zwillingspaar hinterm Sofa gemütlich. Der Vorhang fällt schnell - Gott sei Dank. Für den dritten Aufzug streut Kosky den Walküren etwas Juckpulver in den Schlüpfer und lässt sie wie eine Horde aufgeschreckter Hühner durch eine Tankstelle flitzen. Blutig beschmierte Rockerbräute tanzen Ringel-Ringel-Reihe oder setzen sich in pornolesbische Posen (“Die Stute stösst mir der Hengst”) - eher Auweia statt Heiaha! Das Ganze wirkt wie eine Low-Budget-Parodie auf Splatterfilme. Und der zweite Aufzug? Ist gähnend langweilig geraten. Klaus Grünberg erdachte sich einen dunklen Gang, der viel Platz zum Dauerlauf bietet. Eine bezwingende oder zumindest schlüssige Personenführung? Pustekuchen! Dafür holt Hunding gleich mehrmals mit dem Gürtel gegen Sieglinde aus, rüttelt Brünnhilde am Geländer Walhalls, nimmt Wotan für den “Feuerzauber” den Zapfhahn selber in die Hand.




Arg gestresste Wotan-Miezen in dem 3. Akt von der WALKÜRE an der Staatsoper Hannover - Foto (C) Tomas M. Jauk


Auch musikalisch steht der Abend unter keinem guten Stern. Kelly God ist eine unsauber intonierende Sieglinde, Albert Pesendorfer singt einen viel zu grob geschnitzten Hunding, Einspringer Renatus Mészár flüchtet sich als Wotan in vibratolastige Sprechgesänge und Khatuna Mikaberidzes Fricka hadert mit Phrasierung und Textgenauigkeit. Die Hojotoho!-Rufe lassen aufhorchen, doch nach kurzer Zeit ist festzustellen: Brigitte Hahn gerät immer wieder an stimmliche Grenzen. Ihr liegt die Brünnhilde schlichtweg zu hoch. Einzig Vincent Wolfsteiner vermag mit seinem Siegmund zu bezaubern, passen Timbre wie Stimmumfang zur Rolle. Das Niedersächsische Staatsorchester gibt unter seinem GMD Wolfgang Bozic eine unkonzentrierte Vorstellung: Kaum ein Leitmotiv, welches ohne verfehlte Einsätze oder verrutsche Töne erklingt. Für mich der Wagner-Tiefpunkt der scheidenden Spielzeit. Ich habe gelitten.



Heiko Schon - red. 23. Juni 2010
ID 00000004688
DIE WALKÜRE (Staatsoper Hannover, 20.06.2010)
Musikalische Leitung: Wolfgang Bozic
Inszenierung: Barrie Kosky
Bühne: Klaus Grünberg
Kostüme: Klaus Bruns
Besetzung:
Siegmund ... Vincent Wolfsteiner
Sieglinde ... Kelly God
Hunding ... Albert Pesendorfer
Wotan ... Renatus Mészár
Brünnhilde ... Brigitte Hahn
Fricka ... Khatuna Mikaberidze
Gerhilde ... Karen Frankenstein
Ortlinde ... Joana Caspar
Waltraute ... Monika Walerowicz
Schwertleite ... Sandra Fechner
Helmwige ... Arantxa Armentia
Siegrune ... Mareike Morr
Grimgerde ... Valentina Kutzarova
Rossweisse ... Julia Faylenbogen
Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
Statisterie der Staatsoper Hannover

Weitere Infos siehe auch: http://www.staatstheater-hannover.de





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