Die
Über-
Stiefmutter
|
Jenufa - Premieren-Ankündigungsfoto (C) Benjamin Rinner im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN
|
Jenufa kann - neben Schneewittchen - als das Stiefmutterstück par excellence gelten. In beiden Fällen werden zwar die jeweiligen Stieftöchter sowohl bei Grimm als wie bei Janáček (nach Preissová) in deren Titeln namentlich gemacht, aber im Eigentlichen geht es um die Stiefmutter an sich. Der Regisseur der jüngsten Inszenierung dieses Werkes Christof Loy hat das, so wie wir finden, hochgenial in einer Vorgeschichte (der Jenufa-Oper) im Programmheft von der DOB beschrieben - derart hochgenial, dass wir es hier zitieren:
"Zwei Söhne hatte die alte Buryja, die Besitzerin der Mühle, und beide starben frühzeitig, beide Opfer ihrer Alkoholsucht. Auf den einen, den hübschen Toma, hatte schon immer die schüchterne und ernste Petrona ein Auge geworfen, doch der zeigte ihr die kalte Schulter und nahm sich ein anderes Mädchen aus dem Dorf. Diese gebar schon bald ein schönes Mädchen, das auf den Namen Jenufa getauft wurde. Doch kurz nach der Geburt starb die Mutter und der Witwer nahm sich eine neue Frau, die geduldsame Petrona, die sich zudem der kleinen Jenufa annahm, als wäre es ihr eigenes Kind. Toma aber verschleuderte bald nicht nur sein ganzes ererbtes Vermögen, sondern auch das Ersparte seiner neuen Frau. Die Tage, an denen er nüchtern war, wurden äußerst selten, und Petrona floh oft nächtens in die Wälder, um seinen Schlägen zu entgehen. Als er dann schließlich starb, schien ein Albtraum zu Ende. Nun baut Petrona sich eine neue Existenz auf, verrichtet Tagesarbeiten, um sich und ihre Strieftochter Jenufa zu ernähren. Bald trägt man ihr im Dorf das Amt der Küsterin an, man nennt sie nur noch die Küsterin..."
Sie bringt das Kind Jenufas um, weil sich der Kindesvater weder zu Jenufa noch zu seinem Kind bekennen wollte und sie so die "Ehre" der Familie eingefleckt zu sehen schien; der Hauptgrund war und ist natürlich eine generelle Animosität gegen ein Kind, das sie dann permanent an "Zeiten weit davor" erinnert hätte oder so...
Die Sopranistin Jennifer Larmore verkörpert dieses Exemplar von Mensch mit einer frostnarbigen Kälte als wie exzessiven Leidenschaftlichkeit, dass es dem Zuschauer abwechselnd kalt und heiß den Rücken runter rieselt; und das einzige und aber leider nicht unwesentliche Manko dieses fulminanten Darstellungsgelüsts besteht in seiner phonzähligen Unterdeckelung sprich: ihre Stimme ist für diese "Kraftrolle" zu leise.
Also: Loy belichtet die Jenufa von besagter Vor-und-Stiefmutter-Geschichte her. Ganz klar und in den Farben quasi rückverschwindend wird die Stieftochter sodann - als das Familien-und-Zusammenlebenmüssen-Endprodukt - in ihrer merkwürdig rasanten Alterungsgeschichte aufgezeichnet; hierfür dient ein Breitwand-Guckkasten (Bühne: Dirk Becker), der die weißgeputzte Sauber- als wie Wohnzelle der Küsterin markiert - von da aus gibt es hin und wieder einen Blick "nach draußen" (Horizontwand) und in eine durch drei Telegrafenmasten abgesteckte Landschaft a) mit goldnem Korn im Sommer, b) aus lauter Schnee und Eis... Jenufa-Stieftochter erscheint als Erstes sinnlich-schön sowie warm-wild in einem feuerroten Tanzkleid; später trägt sie ein zurückhaltendes mütterliches Schlafrockrosa; ganz zuletzt ist sie von ihrem schwarzen Outfit her kaum noch von ihrer Küsterin-Stiefmutter unterscheidbar (Kostüme: Judith Weihrauch)...
Michaela Kaune ist Jenufa. Sie ist nicht nur spielerisch, sondern auch stimmlich außerplanetarisch gut! Vielleicht ist es sogar die Rolle ihres Lebens; bisher jedenfalls!! Sensationell!!!
Erwähnenswert auch Hanna Schwarz als alte Buryja, Will Hartmann als Laca oder gar Nadine Secunde als pointenreiche Bürgermeistersfrau.
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin: in Bestform!
Donald Runnicles konnte und kann auf eine Jahre und Jahrzehnte währende (und insbesondere durch Jiri Kout bewerkstelligte) Janáček-Geübtheit des Ensembles bauen.
Was für'n Wurf!
Hingehen!
|
Andre Sokolowski - 4. März 2012 ID 5796
JENUFA (Deutsche Oper Berlin, 04.03.2012)
Musikalische Leitung DONALD RUNNICLES
Inszenierung CHRISTOF LOY
Bühne DIRK BECKER
Kostüme JUDITH WEIHRAUCH
Licht BERND PURKRABEK
Choreographische Mitarbeit THOMAS WILHELM
Dramaturgie CHRISTIAN ARSENI
Chöre WILLIAM SPAULDING
Besetzung:
Die alte Buryja HANNA SCHWARZ
Laca Klemen WILL HARTMANN
Steva Buryja JOSEPH KAISER
Die Küsterin Buryja JENNIFER LARMORE
Jenufa MICHAELA KAUNE
Altgesell SIMON PAULY
Dorfrichter STEPHEN BRONK
Frau des Dorfrichters NADINE SECUNDE
Karolka MARTINA WELSCHENBACH
Magd FIONNUALA MCCARTHY
Barena JANA KURUCOVÁ
Jano HILA FAHIMA
CHOR DER DEUTSCHEN OPER BERLIN
ORCHESTER DER DEUTSCHEN OPER BERLIN
Premiere war am 4. März 2012
Weitere Termine: 8., 10., 16. 3. / 20., 24. 4. 2012
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutscheoperberlin.de
http://www.andre-sokolowski.de
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
RUHRTRIENNALE
TANZ IM AUGUST
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|