Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Bayreuther Festspiele 2012

31. Juli 2012, Bayreuther Festspiele

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER



Logo der Ausstellung VERSTUMMTE STIMMEN (Die Bayreuther Festspiele und die Juden 1876 bis 1945) - noch bis 14. Oktober 2012 im Festspielpark Bayreuth unterhalb des Festspielhauses zu sehen) - http://www.verstummtestimmen.de



Über Neu- und Altlasten rund um den

Grünen Hügel

Als den Mega-Neuaufreger kurz vor Anlaufen des diesjährigen Spielplans sollten sich die derzeitigen Hauptverantwortlichen auf dem Grünen Hügel den als Holländer geplanten Evgeni Nikitin inszenieren. Letzterer hatte sich früher mal, in seiner durchgeknallten Heavy-Metal-Drummer-Phase, ein perverses Hakenkreuz auf seine rechte Brust auftätowiert; selbiges hatte er natürlich längst, nicht erst seit seiner Bayreuther Verpflichtung, reuig retuschieren lassen. Aber (Fluch über das Internet!) der Videoschnipsel, wo dieses Scheißhakenkreuz mit ihm untilgbar Jahr um Jahr zu sehen war und weiterhin zu sehen sein wird, hatte ihn einholerisch "entlarvt". Nun würde Keiner je auf die Idee verfallen sein, dass es sich bei dem Russen gar um einen eingefleischten Nazi handelte - das Hakenkreuz oder der Hitlergruß sind/bleiben immerhin auch außerordentlich beliebte Stilmittel für die Satire, beispielsweise - , ja und nicht einmal das ZDF, das diesen Videoschnipsel zuzüglich eines sehr menschelnden Porträts über den kindlich anmutenden Kraftprotz mit der Superstimme ausstrahlte, hätte wohl je die Absicht hegen wollen, ihn damit "zu Fall zu bringen"; nein, die Hakenkreuz-Entgleisung wurde allenthalben, um Nikitin zu zitieren, als "good crazy things" herabgeniedlicht - geht natürlich überhaupt nicht.

Jedenfalls: Der Folgeknatsch inflationierte prompt und hektisch. [s. Kolumne]

Und das Feuilleton schoss sich genüsslich nicht etwa auf den Nikitin, sondern auf die beiden Intendantinnen in Bayreuth ein. Es warf ihnen ein Ablenkungsmanöver vor, um so von einer überfälligen Gesamt-Aufarbeitung des braunen Nazi-Humus auf dem Festspielhügel wegzuführen - was gewissermaßen stimmt, denn: Wie erklärte es sich sonst, dass aktuell nicht sie (die beiden Wagner-Frauen), sondern die Stadt Bayreuth und die Richard-Wagner-Stiftung der Stadt Bayreuth mit einer akribisch recherchierten Ausstellung im Festspielgarten vor dem Festspielhaus auf Einzelschicksale verfemter und ermordeter jüdischer Künstlerinnen und Künstler, die bis 1933 zum Erfolg der Bayreuther Festspiele einen maßgeblichen Anteil hatten, aufmerksam zu machen gedachten?! [s. Verstummte Stimmen]

Dass der antisemitische Aspekt bereits zu Wagners Urzeiten (Das Judentum in der Musik) eine den Familienclan über Generationen hinaus bestimmende oder beschäftigende Größenordnung hatte, belegen - in dieser aufschlussreich gemachten Schau - auch O-Zitate Cosima Wagners (auf einer Tafel [übrigens gleich hinter der Breker-Büste!] zu lesen), die sie als eine der glühendsten Judenhasserinnen aller Zeiten brandmarkt. Die Verfemung, Vertreibung und spätere Vernichtung der Juden befand sich, so gesehen, nachweislicher Weise im Kalkül der Sippe; alles Dieses schreit natürlich nach bedingungsloser Aufklärung und Selbstkritik, der sich die Festspielleitung absolut und schonungslos zu stellen hat! Und dieser permanente Reinigungsprozess muss selbstverständlich und in allererster Linie quasi aus dem Inneren des Apparates nachvollziehbar sein; ja wie denn sonst?

* * *


Zur neuen Inszenierung:



Das sind Benjamin Bruns und Franz-Josef Selig (als Steuermann und Daland) in der Neuinszenierung des Fliegenden Holländer bei den Bayreuther Festspielen 2012 - (C) Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Das sind Michael König und Adrianne Pieczonka (als Erik und Senta) in der Neuinszenierung des Fliegenden Holländer bei den Bayreuther Festspielen 2012 - (C) Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Das sind Adrianne Pieczonka und Samuel Youn (als Senta und Holländer) in der Neuinszenierung des Fliegenden Holländer bei den Bayreuther Festspielen 2012 - (C) Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath



Bayreuths Haus- und Pultstar Christian Thielemann - dieser vor gar nicht allzu langer Zeit (gottlob bloß außerorts [s. Ein grauenhaftes Nazi-Stück von Strauss wurde gegeben...]) auffällige "Unpolitischste" aller derzeit hier wirkenden Akteure - hat zum ersten Mal Holländer dirigiert. Und was er da aus dem Orchestergraben durch das Festspielorchester zaubern lässt, kann sich doch hören lassen und ist sicher so noch nie zuvor gehört worden! Bei aller Massigkeit eines im herkömmlichen Sinne zu erwarten gewesenen Sturm-Drang-Klanges vermag es Thielemann in der beeindruckendsten Weise, eine Art von Filigranität der Einzelstimmen aus dem völlig Unbreiigen ihres vollinstrumentalen Ganzen sozusagen vorzustellen; Leise wird aus Laut geradezu gefiltert - hört sich wundervoll-ätherisch an...

Die ihm zur Seite stehenden gesanglichen Protagonisten - allen voran der umwerfend agierende Festspielchor (Choreinstudierung: Eberhard Friedrich) - sind im Wesentlichen stadt- und landbekannt; mit ihnen hätte man daher schon prinzipiell das Beste, was sie stimmlich aufzubieten in der Lage sind, erwarten dürfen. Nicht enttäuscht haben in dem Bezug Franz-Josef Selig (als Daland), Adrianne Pieczonka (als Senta), Christa Mayer (als Mary) und Samuel Youn (als Holländer). Aus diesem Kreise ragt, mehr oder weniger unetabliert, Benjamin Bruns (als Steuermann) besonders und erfreulich raus; seine Stimme hat lyrisch-sentimentale Qualitäten einer Extraklasse. Nicht zu vergessen Michael König (als Erik), den wir als Favorit des Abends auszuerkoren uns erdreistet haben, weil er seiner sonst so stiefmütterlich behandelten Rolle eines einseitigen als wie unverstandenen Liebhabers von Senta unerhörtes menschliches Gewicht verleiht.

Apropos Erik:

Seine Zeichnung der Figur ist wahrlich dann das Allerbeste, was die modernistisch überambitionierte Sicht des Regisseurs Jan Philipp Gloger auf den Holländer von diesem Festspielsommer so zu bieten hat. Er lässt ihn als Hausmeister Krause oder so in einen in chinesisch anmutendes Einheitsdrillich (Karin Juds Kostüme) ausstaffierten Werksarbeiterinnenkreis hineingeraten sein; man spinnt hier also keine Spinnräder, sondern ist ausgiebig und förderbandhaft mit der Güte-Endkontrolle eines serienmäßig hergestellten Tischbelüfters oder Miniventilators in Beschlag; Hausmeister Krause kommt mit einer Bohrmaschine ab und zu vorbei, ja und er wundert sich nicht schlecht darüber, dass sich ausgerechnet Senta ihren arbeitsbienigen Kolleginnen nicht angleichen bzw. unterordnen kann - stattdessen schmiert sie literweise rote Farbe auf von ihr gemachtes Pappzeugs: Holländer und Schiff darstellend - mega-gähn!!!

Als sich der Vorhang nach der Ouvertüre auftut, ist man wohlwollend geneigt gewesen zu vermuten, eine optisch singuläre Produktion zu sehen zu bekommen. Bühnenbildner Christof Hetzer hat sich da ein Meer von Licht- und Kabelströmen ausgedacht; also es flackert und und es flirrt gleich zu Beginn, so was wie Datensturm im Internetzeitalter... Und dann kommt auch schon der Holländer mit einem Trolley aus dem Hintergrund hervor und sagt bald an, woher/wohin es ihn verschlagen hat oder verschlagen wird etc. pp.

Das Alles (s.o.) wirkt bei Weitem allerdings nicht ungeahnt und unerwartet, eher hilflos. Derart "zeitkritische" Hinweise kommen dann heutzutage sowieso nur noch als Wink mit Zaunspfahl oder schlicht und einfach Holzgehämmere beim Rezipienten an - nichts wirklich Neues! Und schon gar nichts, was emotional elektrisieren würde!!

*


Nach dem szenisch weitaus aufregenderen und mehr noch spaßigeren Neuansatz des Tannhäuser vom letzten Jahr (mit jenem großspektakulären Bühnenbau des niederländischen Aktionskünstlers Lieshout!) werden wir jetzt - nach diesem seichten Tief - geduldig bis 2013 warten müssen, wenn dann (hoffentlich) der Castorf seine ganz spezielle Szenensicht der vielen Dinge aus dem Ring zur Diskussion stellt.

Kann nur wieder besser werden.


Andre Sokolowski - 2. August 2012
ID 6123
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER (Bayreuther Festspiele, 31.07.2012)
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Inszenierung: Jan Philipp Gloger
Bühnenbild: Christof Hetzer
Kostüme: Karin Jud
Besetzung:
Daland ... Franz-Josef Selig
Senta ... Adrianne Pieczonka
Erik ... Michael König
Mary ... Christa Mayer
Der Steuermann ... Benjamin Bruns
Der Holländer ... Samuel Youn
Der Festspielchor
(Choreinstudierung: Eberhard Friedrich)
Das Festspielorchester
Premiere war am 25. Juli 2012
Weitere Termine: 6., 12., 18. und 24. 8. 2012


Weitere Infos siehe auch: http://www.bayreuther-festspiele.de


http://www.andre-sokolowski.de

Zu den 20 EXEMPLARISCHEN WAGNERKRITIKEN
(Buch anklicken!)



  Anzeigen:



THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)