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nachDRUCK # 6

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MITLEID nach Wagner

Ein Leckerlie für Atheisten



Martin Gerke als Amfortas hat die Schnauze voll vom vielen Leiden, und sein schöner roter Schal soll sicherlich die nimmermüde Wunde sein, auf jeden Fall ist er ein hochbegnadet spielender und singender Akteur in MITLEID! an der Westberlinischen Neuköllner Oper - Foto (C) Matthias Heyde


Recht so! Diesem faulen Budenzauber (O-Stück / O-Handlung) zu Leib zu rücken, ist an sich schon eine hübsche - wenn auch nicht gerade neuig-epochale - Zuidee. Es haben ja schon ganz ganz andere Persönlichkeiten über die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg seit seiner Uraufführung festgestellt, dass PARSIFAL (als Stück und Handlung) nicht besonders taugte, allenthalben die Musik in ihm fürs Machen irgendwie legitimiert sein müsste/muss, denn:

Wagners sog. Bühnenweihfestspiel ist wohl nicht mehr und auch nicht weniger als eine altersweisheitlich beschwerte und mit viel viel Wehgeschrei durchwachsene Musik - vielleicht die allergrößte Sinfonie der Welt; über fünf Stunden Dauer misst der zu bewältigende Notenberg.

So oder ähnlich müsste es auch Miriam Salevic gedacht sowie empfunden haben, als sie sich zu ihrem antiösterlichen Mischprojekt unter dem Titel "MITLEID!" burschikos entschloss:

Sie schrumpft das handlungsbreiige Gesummse Richard Wagners auf exakte 90 min zusammen. Emily Laumanns hat ihr hierzu die Studiobühne der Neuköllner Oper - und im multikulturellsten Teil von Westberlin, am U-Bahnof Karl-Marx-Straße - mit all dem abendländisch-überkommnen Religions- und Prozessionskitsch zugemüllt, dass es hinwieder lustig-lustvoll stimmte, und als eingestandne Atheistenblase obendrein (das meinte: mich!), dem fetischierten Schnickschnack optisch ausgesetzt zu sein. So ähnlich ging's ja auch beim Schlingensief in dessen kunterbunter Sicht der Dinge (Bayreuth 2004) zu - den haben beide Frauen sicherlich gesehen... Apropos: Das ist dann auch, und zusätzlich, ein allerliebster Unzufall, dass ausgerechnet Frauen sich mit diesem unsäglichen Kastrationsgebaren derart intensiv beschäftig(t)Ien wie hier in diesem vorgeführten Fall...



Ulrike Schwab als Kundry hat es wirklich nicht so wollen wollen, dass ihr Roman Lembergs Parsifal so inaktiv zu Füßen liegt, auf jeden Fall wird sie sich sicherlich demnächst einmal, wann ist ja wohl egal, als echte Kundry irgendwo auf einer großen Bühne wiederfinden - Foto (C) Matthias Heyde


Also: Der Zuschauer betritt den Raum; und gegenüber einer Art von Hühnerstange, wo dann später und gelegentlich die vier vorzüglichen Akteure quasi wie die Hühner auf der Stange hocken werden, sind die Sitzblöcke im Hufeisen gestellt. Abseits, und am Salonflügel, probiert sich Roman Lemberg (Pasifal) als brillantesk improvisierender Klavierbegleiter, kehrt, wenn er dann höchstpersönlich auf das Podium tritt, den spastischsten aller Autisten aus sich raus, muss sich viel Körperliches von den andern bieten lassen, und er selbst, im schwarzen Messgewand, das ihm natürlich späterhin fast ganz vom Leib gerissen wird, ist schlank und schön wie'n deutscher Baumläufer. Und insgesamt, selbstrednerisch, Erotik pur; am allerstärksten wohl von Martin Gerke (als Amfortas) ausgehend, ihn lernen wir gleich zu Beginn der Kurzhandlung als eigentlichen Leidgeweihten mit viel sexuellen Hintersinnen kennen, und so schreit er alle "wichtigsten" Passagen aus der Endlospartitur stakkatohaft aus sich heraus, das Allbekannte halt: "Erbarmen!" usw. usf. Ulrike Schwab (als Kundry) sowie Herdis Anna Jonasdottir (Blumenmädchen) wechseln sich in allen frau-gemeinten Vor- und Nachbetrachtungsweisen zum Problemfall Parsifal/Amfortas - Mann muss Mann von seinen Monatsblutungen erlösen - imposanter Weise ab; sie singen wie die Heidelerchen, es ist schwerlich auszumachen, wer von beiden den betörendsten aller Soprane dieses kurzweiligen Abends hätte; beiden traute ich, in jedem Falle, eines Tags die "wahre" Kundry zu.



Amfortas (Martin Gerke) sollte ruhig mal einen kräftigenden Schluck aus Kundrys Sexphiole zu sich nehmen, meint Ulrike Schwab aus MITLEID! - Foto (C) Matthias Heyde


Viel Subtext wird gesprochen, er ist gar nicht mal verkehrt. Es wird im allgemeinsten Duktus auf das Widersinnige der insulanen Religionsausübungspraktiken verwiesen, ja, das Abendländisch-Selbstkritische unbedingt und inklusive. Nichts für Alzheimerpatienten (also Wagnerianer) - mehr dann was für autonom sich haltende und musikalisch hochbegbte Kinder wohlhabender Eltern mit Salonflügeln zu Hause; weil: Mit ohne Vorbildung begriffe man hier wahrlich nix.

Total erquickt gewesen!!!


Andre Sokolowski - 18. Februar 2008
ID 3705

MITLEID (Neuköllner Oper, 16.02.2008)
Konzept, musikalische Fassung, Texte und Regie: Miriam Salevic
Raum und Kostüm: Emily Laumanns
Musikalische Einstudierung: Aurélien Bello
Ensemble: Roman Lemberg (Parsifal), Ulrike Schwab (Kundry), Martin Gerke (Amfortas) und Herdis Anna Jonasdottir (Blumenmädchen)
Uraufführung war am 14. Februar 2008.
Weitere Termine: 20., 22., 27. 2. / 1. 5., 8., 14., 20., 21. 3. / 4., 5., 10. 11., 18.und 20. 4. 2008

Weitere Infos siehe auch: http://www.neuköllneroper.de



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