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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

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Italienisch



GERMANIA wie sie leibt und lebt... sieht eher wie eine Walküre aus | Foto (C) Barbara Aumüller


Haben Sie gewusst, dass es dann außer Freischützoder Meistersinger noch 'ne dritte "Nationaloper" für Deutsche gibt? Sie stammt nicht etwa aus der Feder Webers oder Wagners - nein: Zwei Italiener (Komponist Alberto Franchetti, Librettist Luigi Illica) haben sie "uns" angediehen, und sie heißt Germania! Ist das nicht kurios? So dachten auch vielleicht die Teamworker im Hause in der Bismarckstraße, als sie sich zum saisonalen Großstart mittels dieser kapriziösen Heimsuchung entschlossen. Lasst uns schauen was dabei herausgekommen ist...

Zuvor der Brüller dieses denkwürdigen Abends: Königin Luise schreitet vor zur Rampe, und sie sagt "wer will am Schicksal des Vaterlandes verzweifeln, so lange die Frauen und die Wiesen Blüten tragen". Allgemeines Schenkelklopfen. Sinnstiftender Kontext ist die Völkerschlacht bei Leipzig resp. was mit ihr davor oder danach zusammenhängt. Das Alles kann und muss man sich in den Geschichtsannalen nach und nach zusammenklauben. Auch im diesmal hundertpro vorzüglichen Programmbuch steht so manches Klar- oder Zurechtrückendes drin. Also geht es, scheinbar, in diesem Mörderschinken um viel Blut und noch mehr Tod. Dem Textzulieferer fiel seiner Zeit auf jeden Fall unsäglich Vieles zu dem Thema ein. So viel, dass man letztendlich nicht mehr weiß worum es wirklich und "in echt" in diesem librettistisch grauenvollen Blendwerk geht; vielleicht auch nur um das hier:

Ricke ist verlobt mit Friedrich Löwe, den sie lange nicht mehr sah. Und Friedrich Löwe's Freund, Karl Worms, hat sich verliebt in Ricke. Karl & Ricke sind seither ein Paar. Doch Friedrich kehrt zurück. Er will sich mit dem Exfreund duellieren. Die Kollegen des Luisenbundes - Friedrich Löwe und Karl Worms gehören diesem Zirkel an - verbieten das, für sie liefe das Ganze dann auf einen Brudermord hinaus. Statt dessen sollten sich die potenziellen Duellanten doch viel lieber auf dem Schlachtfelde (die Völkerschlacht bei Leipzig, wie gesagt) beweisen. Hm.



Bruno Caproni als Karl Worms (Herr in der Mitte) trieb sich mit den Tugendbündlern nur im Untergrund herum, zur Strafe wird er jetzt von der Napoleonpolizei verhaftet
Foto (C) Barbara Aumüller


Ja und man kann es dreh'n und wenden wie man will - nicht Fisch, nicht Fleisch. Das Stück an sich ist eine Katastrophe! Dieser Text mit seiner ganz und gar "geglückten" Undramaturgie ist unverdaulich. Herz und Schmerz vereinen sich versatzstückhaft zu einem kunstwerklichen Brei von selten oder nie geles'ner Idiotie. Es ist ja nicht zu fassen! Nein, im Ernst: Wer ist da bloß auf die Idee gekommen, hier und heute - wurden wir nicht eben erst durch eine "Terrorwarnung" Zeugen des Jahrhunderts in dem "Nebenkriegsschauplätzchen" Deutsche Oper - so'nen Brocken szenisch auf die Bühne (Inszenierung: Kirsten Harms, Bühne/Kostüme: Bernd Damovsky/Gabriele Jaenecke) zu wuchten? Warum dieser beispiellose Aufwand, der 'ner Minderheitenklientel am Ende nullerleie Einsichten und weniger noch geistige Erbauung bringt?? Wieso nicht ausschließlicher Weise konzertant???



Nacht-und-Nebel-Spiel vor umgekipptem Pferd mit Carlo Ventre (Friedrich Löwe, liegend) sowie Lise Lindstrom (Ricke, stehend) - Foto (C) Barbara Aumüller


Womit dem ehrgeizigen Unterfangen nachträglich Gerechtigkeit und Freudentaumel widerfahren soll und muss, denn: Musikalisch ist die Aufführung in hohem Maß geglückt!!! Zuvörderst durch's Orchester. Ja, die Damen und die Herren dieses Klangkörpers sind fast nicht wieder zu erkennen. Wann hat man sie in der jüngsten Zeit so homogen, so lupenrein, so freudvoll musizieren hören wie an diesem Abend - und (so wie es, wenn man in den Graben blickt, heraufzukommen scheint): sie lieben ihren neuen Chef Renato, und auch er liebt sie; es hat also gefunkt! Beherzt und überbordend lässt Palumbo diese aufregende Partitur Franchettis, dieses merkwürdigen Tonsetzers ohne ein eigenes Gesicht (seine Musik bedient sich abwechselnd nicht nur der Stile von Puccini, Wagner oder Strauss) aufleben; das macht hörerische Freude, das schafft mitreißende Stimmung, das berückt im Ganzen angenehm. Ihm stehen mindestens dann drei als singulär zu nennende Gesangspersönlichkeiten kongenial zur Seite. Carlo Ventre (Friedrich) überbietet sich geradezu als tenoraler Hochseilaktbeherrscher. Lise Lindstrom (Ricke) singt mit gleißerischer Helle, beißt mitunter giftig in die Höhenschicht. Bruno Caproni (Karl) vermag mit seinem durch und durch die Saalgemäuer ausfüllenden Bass die Ohren zu beeindrucken.
Der Rundfunk übertrug diese Premiere live. Es bleibt zu hoffen, dass der Mitschnitt technisch gut gelang. Das würde 3 CD's zum Kauf für späterhin ergeben. Überfällig wären sie.
Summa summarum: Unter genereller Aussparung von distanziertem Witz oder verstörerischer Drastik hat ein großer Opernabend stattgefunden, den (geschlossnen Auges!) zu erleben wir getrost empfehlen möchten.


Andre Sokolowski - 16. Oktober 2006
ID 2736
https://www.andre-sokolowski.de

GERMANIA (Deutsche Oper Berlin, 15.10.2006)
Musikalische Leitung: Renato Palumbo
Inszenierung: Kirsten Harms
Bühne: Bernd Damovsky
Kostüme: Gabriele Jaenecke
Besetzung:
Giovanni Filippo Palm ... Ante Jerkunica
Federico Loewe ... Carlo Ventre
Carlo Worms ... Bruno Caproni
Crisogno ... Markus Brück
Ricke ... Lise Lindstrom
Jane ... Sarah van der Kemp
Lene Armuth ... Ceri Williams
Jebbel ... Jacquelyn Wagner
Il Pastore protestante Stapps ... Arutjun Kotchinian
Luigi Adolfo Guglielmo Lützow ... Harold Wilson
Carlo Teodoro Körner ... Paul Kaufmann
La Signora Hedvige ... Ceri Williams
Il Capo della Polizia tedesca ... Hyung-Wook Lee
Una donna ... Nicole Piccolomini
Chor der Deutschen Oper Berlin
(Choreinstudierung: Ulrich Paetzholdt)
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 15. Oktober 2006.

Weitere Infos siehe auch: http://www.deutscheoperberlin.de






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