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nachDRUCK # 6

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Feuilleton

Volksbühne Berlin, 18. Dezember 2005

Forschen und singen

DIE FRUCHTFLIEGE von Christoph Marthaler

Sehr gut möglich, dass der neue Bunte Abend Christoph Marthalers zu einem unabänderlichen Kult-Muss eingefleischter Fans des Schweizers wird - doch nicht nur diese von weither Gereisten, wie es gleich zur ersten Vorstellung nach der bereits umjubelten Premiere letzten Freitag zu beobachten gewesen war, würden dereinst behaupten wollen: Wer DIE FRUCHTFLIEGE nicht sah, hätte von Marthaler am Ende nicht sehr viel verstanden; sie ist sicherlich die Quintessenz seiner seit einer Ewigkeit so einmalig wie konkurrenzlos funktionierenden Theaterspezies ... nämlich der des Marthaler'schen Skurriloriums.

Ja, was geschieht?

Ein Forscherteam von sieben Wissenschaftlern - es beschäftigt sich erklärter Maßen mit den Sexualgepflogenheiten einer Fruchtfliege - wirkt miteinander. Es verbringt die Arbeitszeit in dem von Anna Viebrock insgesamt gewohnt-genial als Chemikalienkabinett wie auch als Umkleidekabine konzipierten multifunktionalen Bühnenraum: Jedem der Sieben ist ein Wandbord, eine aufklappbare Sitzbank oder eine Spindtür zu zwei Riesenkleiderschränken zugeordnet. Weiße Kittel werden an- und ausgezogen, unten drunter ein sehr individuell geprägtes Kleidungssammelsurium, Durstgefühle werden mittels Frischmilch aus der Flasche ab und zu gestillt. Die Forschertätigkeit dieser Bekittelten erscheint dem Zuschauer jedoch fast beiläufig, es wirkt geradezu kontraambitioniert; o ja, da hat ein Trott schon länger Fuß gefasst, das ist für Außenstehende fast körperlich zu spüren, ziemlich merkwürdig das Ganze: Was - was ist da los??


Wahrscheinlich wurde soweit alles Wesentliche zwischenzeitlich mitgeteilt weswegen man, seit Jahren und Jahrzehnten, dazu überging sich "nur noch" singerischer Weise auszutauschen - manchfach unter Einbeziehung exzessiver Soli oder launiger Duette ... kollektives Musizieren also. Das scheint einzig noch der Lebenssinn dieser als Gruppe mehr denn losen Zwangsvereinigung zu sein.

Auf einer dem Programmblatt beigelegten Titelliste stehen mehr als 35 allbekannte Klassikmelodien - absolute Lieblingsnummer ist "Isoldes Liebestod"; wen wunderts eigentlich, ging Marthaler nicht schon während der Tristan und Isolde (Bayreuth diesen Sommer) mit der FRUCHTFLIEGE allmählich schwanger?


Drei mal (mindestens!) werden die Wagnerklänge von dem irrsinnig-perfekt improvisierenden und intonierenden Marthaler-Pianisten Stefan Wirth für szenische Gestaltungsmöglichkeiten feil geboten. Eine dieser Möglichkeiten nutzen beispielsweise Ueli Jäggi und Bettina Stucky, um sich einen Apfel peu à peu vertilgend und mit bodenwälzerischem Impetus der allumhergeifernden Liebe hin und her zu geben; wohl das choreographisch einprägsamste Kabinettstück dieses fulminanten Schauspielergebarens.

Wie dann überhaupt auch von den andern Mitakteuren (Susanne Düllmann, Olivia Grigolli, Matthias Matschke, Josef Ostendorf und Winfried Wagner) die entscheidendsten, gewichtigsten Impulse für das stets gewohnte und nicht minder kalkulierte Garantiegelingen Marthaler'scher theatralischer Totalgesinnung auszugehen schien.


Ein Hoheliedchen auf den unbemühten Tiefsinn!!!


Andre Sokolowski, 19. Dezember 2005
ID 2181
www.andre-sokolowski.de

Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne-berlin.de






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