14. September 2006, Radialsystem V (Berlin)
DIALOGE 06 von Sasha Waltz,
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Eröffnung eines neuen Musentempels in Berlin: RADIALSYSTEM V... sehr schön am rechten Spreeufer gelegen - Foto (C) Sebastian Bolesch
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Rasante Ortsbegehungen mit Sasha Waltz, die hie und da ganz kurz mal nach dem Rechten sieht
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Triumphaler kann kein neuer Musentempel "aufgemacht" sein als wie dieser: Er heißt RADIALSYSTEM und wird, in dieser technokratischen Bezeichnung, zusätzlich dann noch mit einer Römischfünf ergänzt. Befindet sich in Nähe Berlin-Ostbahnhof, war früher mal so was wie eine Pumpstation oder so ähnlich... alle diese Sachen um den Bau an sich, seine Historie, seine Umgestaltung, seinen Architekten, sein Gesamtkonzept als grenzensprengende Institution etc. pp. kann nachgelesen und studiert werden, auch auf der hausinternen Website (www.radialsystem.de); das Alles wolln wir uns daher ersparen, weil:
Es ist von einem Glückstag auszugehen und zu sprechen, der nicht schöner und befreiender wie dieser hätte werden können. Und nachdem der tolle Bau am Wochenende von zig Tausenden Besuchern "roh" erklommen wurde, hatte er jetzt sozusagen künstlerische Öffnungszeit erfahren. Froh gelaunt war so zu einem Happening geblasen worden: DIALOGE 06 geheißen; nun, viel nichtssagender konnte man diesem Ereignis kaum gerecht werden - aber der Name tut auch nichts zur Sache, denn:
Der Einzug Sasha Waltz' mit ihrer Compagnie in das sympathische Gemäuer - und auch hier wird sie wohl in der Zukunft, an der Seite der nicht minder weltberühmten Akademie für Alte Musik Berlin, ihre so vielversprechend vielseitigen Tanz- und genreübergreifende Projekte "herstellen", entwickeln, proben und zur Aufführung gelangen lassen - ist gelungen! Und den ersten Abend nennt sie so dann auch "eine begehbare Installation". D. h.:
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Die Hausgäste, sprich die Premierengänger, haben ein sehr intensives Lauf- und Stehprogramm zu absolvieren. Es geht also hin und her und rauf und runter - das Gebäude, 5etagig, ist sehr weitläufig und ziemlich groß, und um es vollends zu begehen, bräuchte man vier Beine und zwei Köpfe, mindestens - ja, seinen individuellen Rundgang, beispielsweise, hat der Schreiber dieser Zeilen so erlebt:
Vier Eckpunkte der so genannten Halle, als der größten Plattform des Gebäudes, werden von verschieden großen Instrumentalistengruppen eingenommen. Diese halten, unterschiedlich lang und lautstark, einen Ton. Der trägt und trägt und bricht nicht ab; das Werk stammt von James Tenney, und die Musiker der Akademie für Alte Musik Berlin sowie der exklusiv für diese Aufführung gastierenden musikFabrik stellen sich also vor. Das ist der offizielle Anbeginn des Abends, und die Hundertschaften Publikum werden so nach und nach dann "angelockt". Und großes Lauschen, Staunen und Flanieren sind jetzt erst mal angesagt. Man geht dahin, wohin die meisten gehen. In der Mitte klumpt es plötzlich, und die Leute werden immer mehr und äugen durch 'nen kleinen Schacht hinunter; man braucht sehr viel Kraft und Zuversicht, um nicht der Letzte sein zu wollen, der, wie alle anderen, von da aus nach dem Unten sieht - - ich sehe sie! sie (Sasha Waltz) hat ihr Regiebuch unterm Arm geklemmt, ich folge ihr, sie hat sich durch das Gafferknäuel, grazil und flink so wie sie ist, schnell ihren Weg gebahnt und sieht fast kaltschnäuzig hinunter, scheint kurz durchzuzählen, blickt ganz kurz nach rechts und links, und schon enthuscht sie wieder. In dem Schacht: drei Frauen-/Männerleiber, die sich, wie unter der Zeitlupe gefangen, abwechselnd in einem Wasser- und in einem Farbbecken, in-/aufeinander kontaktiert, bewegen, räkeln, wälzen... ha! macht Lust & Appetit!! ('ne halbe Stunde später übrigens, wenn man die Stelle nach 'nem ersten Rundgang wiederholt erreicht, ist dieser Guck-Schacht spurlos weg, als wenn's ihn nie gegeben hätte) = so Geniestreich Nr. 1.
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So anmutig und schön wie eh und je... Sasha Waltz & Guests - Foto (C) Sebastian Bolesch
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Geniestreich Nr. 2, global = Denn überall im Hause, einschließlich der Treppenhäuser und des Kiesdaches und des Foyers, gibts pausenlos dann was zu sehen und zu hören. Oft auch kriegt man's gar nicht sofort mit; zum Beispiel wenn man, viel zu spät (um noch zu "helfen"), Suizidabsichtige auf Mauersimsen, jederzeit dann sprungbereit, erkennt... Midori Seiler liefert ein halsbrecherisches Bach-Solo auf ihrer Violine ab, hierzu entblättern sich drei Tänzer aus Papiertüten... Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola zerrt den Lautenspieler Björn Colell, der wahrlich hierzu spielt, an seinen Füßen über das Parkett... Christine Chapman / Christian Beus spielen Soli auf dem Horn und dem Fagott, hierzu ein Tänzerpaar - er ausgestattet mit 'ner Peitsche, sie (ein Tier?) gefügig machen wollend - , Sasha Waltz mischt sich in das Geschehen ein, kriecht zum Dompteur auf allen Vieren und "ersetzt" das Tier... Die Sängerinnen/Sänger vom achtstimmigen Vocalconsort Berlin beim Vortrag eines Madrigals; Xuan Shi, abseits, tanzt hierzu...
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Einer der absoluten Höhepunkte und Geniestreich Nr. 3 = Michael Weilacher, der so geniale Schlagzeuger von der musikFabrik, flankiert durch sein fast halbstündiges Solo (abwechselnd auf je drei Baumstämmen und "herkömmlichem" Apparat mit Kesselpauken usw.) das Geschehen um die vier auf Heizkörpern zu stehen und sich zu bewegen habenden weiß kostümierten Tänzerinnen; zwei gesellen sich hinzu - während dann in der Halle nebenan, allmählich, zum Finale hingerüstet wird mit einem Ausschnitt aus "King Arthur" Henry Purcell's.
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Die Akustik obendrein, die reinste Offenbarung!!
Alles tobt!!!
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Andre Sokolowski - red / 14. September 2006 ID 2656
www.andre-sokolowski.de
DIALOGE 06 - RADIALE SYSTEME (Sasha Waltz)
Eine begehbare Installation
Choreographie/Regie: Sasha Waltz
Kostüme: Beate Borrmann
Licht: Martin Hauk
Ausstattung: Thomas Schenk
Maske: Sybille Nowak
Ausführende:
Akademie für Alte Musik Berlin
musikFabrik
Sasha Waltz & Guests
Vocalconsort Berlin
Premiere am 14. September 2006
Nächste Vorstellungen: 15. bis 17. sowie 27. bis 30. 9. 2006
Radialsystem V
Holzmarktstraße 33
10243 Berlin
Weitere Infos siehe auch: http://www.radialsystem.de
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