Berlin 9. September 2006, Theater Reissverschluss
DER JUDE VON MALTA
Tragische Farce von Christopher Marlowe
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Szene aus DER JUDE VON MALTA mit Sebastian Zimmler sowie Georg Böhm (darunter) - Foto (C) Theater Reissverschluss
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Garantiert nicht jugendfrei
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Barrabas ist DER JUDE VON MALTA. Schon der Name. Jüngst, im fragwürdigen Film Mel Gibsons um die detaillierte Kreuzigung des Christus, bietet Pontius den "blutrünstigen" Juden eine alles andere als menschlich anrührende Kreatur ersatzweise zum Tausch an: Barrabas für Jesus. Doch die "blutrünstigen" Juden wollen keinen Kriminellen (Barrabas saß ein als Mörder, wohl gemerkt!), sie wollen Ihn, um den sich das Gerücht verübter Wundertaten schon so lange spult, Sein Blut... Die Assoziation in puncto Barrabas als Name springt so zwanghaft auch auf diesen Zug.
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Christopher Marlowe, ein paar Stunden früher noch als Shakespeare auf die Welt gekommen, lebte bis zu jener nie so richtig aufgeklärten mörderischen Wirtshausszene, während der es ein paar Tote, unter anderem auch ihn höchstselbst, gegeben haben sollte, 29 Lenze lang. Sein halbes Dutzend Stücke - alle noch viel kriegerischer, krasser, komischer als die von Will - bestechen bis zur Gegenwart vor allem durch den halbwüchsigen Draufhau ihres Schreibers, dass es einem daher also gar nicht bange werden dürfte, wenn sich ein Theater, das fast ausschließlich mit jugendlichen Darstellern (18 bis 28) arbeitet, den ungestümen Christopher - zum zweiten Male immerhin! es brachte bereits EDWARD II heraus!! - sehr frohgemut zur Brust nimmt.
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Allerdings, es ist das "schwierigste" der Marlowe-Stücke, das sich jetzt Joachim Stargard und die von ihm selbst erstanzte Truppe vom Theater Reissverschluss - es spielt/gastiert seit 1983, sehr erfolgreich, auf verschiedenen in-/ausländischen Bühnen und wird auf den jugendlichen Stamm von Jahr zu Jahr dann stets reanimiert - erkoren haben. "Schwierig" nicht nur wegen des so leicht zu missverstandnem Antisemitismus abgewatschten, aber völlig anti-antisemitistisch anmutenden Textes. (Dieses beispielhaft jetzt aufzublättern, nachzuweisen, zu entkräften ist hier nicht der Platz und die Gelegenheit.) "Schwierig" vor allem auch, weil es so viele Rollen/Rollenfutters gibt; und es sind Rollen, die vielleicht nach Schauspielern gestandnerer Couleurs verlangen als das hier, also in dieser jugendlichen Runde, jemals einzulösen möglich wäre.
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Nichts für ungut! Dafür dass das Stück, zumindest hier in Berlin, auf Jahre hin (zurück und vor gezählt) gar nicht gesichtet wurde/wird, ist es eine tatsächliche Bereicherung, es nun mit dem Theater Reissverschluss ganz life gezeigt gekriegt zu haben. Sehr beeindruckend das von dem Stargard choreografisch wie ein Stilleben gebaute Anfangs-/Schlussbild, wo die ganze Mannschaft - um den Juden Barrabas versammelt - einfach da steht und, die einen mit, die andern ohne Waffen, aufeinander einzuschlagen droht: Ausdruck des so genannten Kampfes der Kulturen - - worauf so und so die Antwort, und egal aus welcher Richtung, völlig unzureichend bliebe.
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Sebastian Zimmler (auch als Lodowick) scheint Georg Böhm (als Barrabas) vollends im Griff zu haben; wenn er sich da mal nicht täuschte! - Foto (C) Theater Reissverschluss
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Georg Böhm als Barrabas - was für 'ne Hammerrolle - scheint von seinem Typ her viel zu lieb und gut, als dass er diesem mörderischen Schlitzohr je das Wasser reichen könnte. Wiebke Mollenhauer spielt die Abigail, ihr kauft man dann schon eher die gestörte und zerstörte Tochter dieses mehr und mehr zum Amoktäter Auflaufenden ab. Auch David See (Del Bosco, Sklavenhändler, Pilia-Borza) fällt vor allem wirklich dann durch schauspielernde Seitenvielfalt aus dem Rahmen. André Schön gibt Ithamore, Barrabas' gekauften Türkensklaven, und auch er fällt auf. Johannes Hubert schließlich, der den Gouverneur Ferneze spielt, besticht am besten in der Darstellung der körperlichen Angst, als es ihm selbst urplötzlich an den Kragen geht.
DER JUDE VON MALTA ist ein sehr verfängliches Experiment. Man wird sich nie für eine eindeutige Lesart dieses Stücktextes entscheiden können. Und als Alles dann (politisch, philosophisch, psychoanalytisch) ist er sicherlich uninszenierbar. Auch im Großen übrigens. Die Stargard-Leute nun, und wenigstens, legten sich sehr erkräftigend ins Zeug! Hut ab, ihr Freunde!!
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Andre Sokolowski - red / 10. September 2006 ID 00000002644
www.andre-sokolowski.de
DER JUDE VON MALTA
Tragische Farce von Christopher Marlowe
Inszenierung: Joachim Stargard
Lichtdesign und technische Leitung: Petra Könitzer
Produktionsleitung: Johannes Hubert
Darsteller: Georg Böhm (Barrabas), Johannes Hubert (Ferneze), Denise Ilktac (Katharina, Bellamira), Marius Kranzkowski (Matthias, Selim, Kaufherr), Wiebke Mollenhauer (Abigail), André Schön (Callapin, Ithamore, jüdischer Händler), David See (Del Bosco, Pilia-Borza, jüdischer Händler), Sebastian Zimmler (Lodowick, Jacomo, Kaufherr)
Eine Produktion vom Theater Reissverschluss Berlin
Premiere am 7. September 2006 im Theater Zerbrochene Fenster
Schwiebusser Str. 16, 10965 Berlin
Nächste Vorstellungen: 8. bis 11. sowie 14. bis 17. September 2006
Weitere Infos siehe auch: http://www.tzf-berlin.de
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