Täterfällen
mit Äxten
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Josef Bierbichler als SS-Arzt Hans Münch - hackt unnachgiebig Holz, um sich von seiner Schuld \"im Körperlichen\" zu befreien. Foto: Matthias Horn
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Josef Bierbichler, diesem Bersekermimen, diesem blauäugigen Lieblingskind deutschen Theaters (deutschen Films), ist ein Geniestreich an der Schaubühne Berlin geglückt: Holzschlachten. Ein Stück Arbeit - die Idee bedeutete ihm das Konzept; die anderthalbstündige Vorstellung geht etwa so:
Hans Münch, ein für die Nazis praktizierender SS-Arzt im Vernichtungslager Auschwitz - Münch wurde in Krakau 1947 als der Einzige von 40 Angeklagten freigesprochen - nimmt sehr gegenwärtig, heute oder gestern oder vorgestern (sein Todesjahr ist/war 2001), auf einem Ledersessel Platz. Trägt einen grauen Anzug, Hemd, Krawatte, schwarze Halbschuhe. Um seine rechte Wange reift ein dünnes Schnurlosmikrofon in Richtung Lippenpaar. Zur Seite eine Flasche Mineralwasser. Fast atmosphärisch fängt er an zu reden; Zur Person und Zeugen des Jahrhunderts, ARD und ZDF, könnten in dieser Masche so verlaufen sein. Nur dass der Interviewer (Bruno Schirra interviewte Münch tatsächlich kurz vor dessem Tod, siehe Der Spiegel 40/1998) fehlt. Dreiviertelstundenmonolog. In dem es "ehrlich" und "zivil" zur Sache geht, z.B.: "Wer sich unbeliebt bemerkbar machte, wurde selektiert" oder "Die Arbeit hat mich nicht belastet, nein, im Gegenteil" oder oder oder; Münch redet sich die Seele aus dem Leib. Er offenbart sich selbst in seiner instinktiven Abneigung gegen das Fremde und die Fremden. Sein Bewusstseinsstand, Jahrzehnte nach dem unerklärlich anmutenden Freispruch, ist gefährlicher denn je geworden. Damals wollte er nicht mehr als Landarzt irgendwo versauern, und er leistete 'nem Münchner Freund, der ihn zur Waffen-SS werben wollte, die Gefolgschaft. Geld und Möglichkeiten waren das Motiv.
Schnitt, nach dem Fernsehauftritt.
Eine Filmsequenz zeigt Josef Bierbichler/Hans Münch in einem Traktor durch die Wälder fahren. Binnenschnitt. Es fallen Bäume. Binnenschnitt. Werden entästet und in kleinmanngroße Teilstämme zersägt, gestempelt (tätowiert!!), zu Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen, Violinsequenz, Film aus.
Die linke Bühnentür nach draußen öffnet sich, vier Bühnen-(Wald-)Arbeiter schleifen nach und nach die kleinmanngroßen Teilstämme heran; sie werden zu den Dutzenden im Riesenbühnenhalbrund (Ausstattung von Mira Voigt) hinzugestellt.
Münch/Bierbichler sind zwischenzeitlich exiliert. Sie hacken unnachgiebig Holz. Sie delirieren, sie vermeinen sich unter 'nem gelben Schwefelhimmel (O-Texte von Florian List). Sie spüren einen Dauerwahnzustand, sie sehen sich von wem verfolgt... Nebel kommt auf, erschleicht vom Bühnenhintergrund den stilisierten Wald nach vorn, flankiert von Mahlers Auferstehungssinfonie, Sepp B. legt sich zwischen und auf die Scheite zugehackten Holzes, splitternackt.
Ein neuer Täter-Text hat seine Probe zur Theatertauglichkeit beklemmend-herzlose bestanden.
Andre Sokolowski - 23. Juni 2006 ID 2473
HOLZSCHLACHTEN. EIN STÜCK ARBEIT (Schaubühne am Lehniner Platz, 22.06.2006)
Idee und Konzept: Josef Bierbichler
Ausstattung: Mira Voigt
Dramaturgie: Dag Kemser
Licht und Video: Michael Gööck
Violine: Mona Raken
Mit: Josef Bierbichler sowie Andreas Judee, Ingolf Hoffmann, Walfred Meier und Joachim Olsztynski (als Arbeiter)
Uraufführung war am 21. Juni 2006
Weitere Infos siehe unter: http://www.schaubuehne.de
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