Rückwärts
in die
Tiefe des
Raumes
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Moritz Ostruschnjak | Foto (C) Jubal Battisti
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Bewertung:
Der Choreograf Moritz Ostruschnjak ist in München längst kein Geheimtipp mehr: so viele erfolgreiche und ausgezeichnete Tanzperformances hat er seit 2013 kreiert. Für die Münchner Oper, Staats- und Stadttheater und natürlich die freie Szene. Schon vor 2 Jahren bekam er den Förderpreis Tanz der Stadt München. Seine letzte Arbeit in der Philharmonie des Gasteigs wurde für den deutschen FAUST-Preis nominiert.
Zunächst Sprayer, entwickelte er aus dem Breakdance heraus sein Interesse für modernen Tanz, studierte ihn in München und vervollständigte seine Ausbildung bei Maurice Béjart in Lausanne. Dann arbeitete er einige Jahre als Tänzer, bevor er sich der Choreografie widmete.
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Nun also sein neuestes Stück Terminal Beach.
Sechs Tänzer*innen bespielen den tiefen, leeren Raum des „Utopia“ (früher Reithalle) und einige karge Leitern an den Seiten. Kein Bühnenbild, sparsame Lichteffekte, löchrige Jeans, Sport-T-shirts. Zu Beginn ein Solo ohne jede Musik. Dann aber bauen sich Wellenberge von Minimal Music auf, die Tanzenden surfen auf dieser Brandung, bis die Wogen brechen. Stille, Schwärze, erschöpftes Atmen. Es folgt ein zweiter Anfang, Auftakt zu einer tänzerischen und musikalischen Collage aus hochgradig disparaten Elementen: Johnny Cash, dazu Machogesten, Bauch rein und raus, schrille Sirenenklänge zu geschwungenen Fahnen, die Fahnenstangen verwandeln sich in Hexenbesen, doch sie müssen das Feld räumen für poppige Rollschuhfahrten auf nur einem Bein. Getanzter Krebsgang führt zu den Klängen von Verdis „Chor der Gefangenen“, Elvis singt „the man in the sky“, und dann melden sich noch Netflix, Tiktok und Tinder zu Wort . Aber auch sie erzählen keine wirkliche Geschichte, und so stolpern die Protagonisten zunehmend gepanzert und orientierungslos durch eine unpersönliche Welt.
Copy & paste. Das ist Ostruschnjaks einleuchtendes Konzept zeitgenössischen Tanzes. Heute, wo man nichts mehr neu erfinden kann, weil alles schon mal da war, dazu unschlagbar perfekt, wendet sich Ostruschnjak ab von expressivem Ausdruckstanz und setzt auf die Arbeit mit Bewegungsmaterial, der „Playlist of Movements“. Er findet sie im Netz, dem virtuellen Massenspeicher, in dem sich alles irgendwie mischt, weil alles immer verfügbar ist. Banales, Erhabenes, Opulentes, Reduziertes. Da wird gesampelt, was das Zeug hält.
Viele Bewegungsabläufe werden übrigens vom Ende her gezeigt. Es geht also rückwärts. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass wir mehr nach vorne denken sollten, wenn wir uns nicht weiter in der Gegenwart aus Bits und Bytes verheddern wollen?
Im Ganzen ein durchaus unterhaltsamer und abwechslungsreicher Abend, getanzt von einem jungen, sehr lebendigen Ensemble. Macht Spaß!
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Miyuki Shimizu, Daniel Conan, Roberto Provenzano, Guido Badalamenti, Magdalena Agata Wójcik und David Cahier (v.l.n.r.) in Terminal Beach von Moritz Ostruschnjak Foto (C) Franziska Strauss
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Petra Herrmann - 14. Januar 2022 ID 13398
TERMINAL BEACH (Utopia München, 13.01.2022)
Choreografie: Moritz Ostruschnjak
Choreografische Mitarbeit: Daniela Bendini
Dramaturgie: Armin Kerber
Music mixing & editing: Jonas Friedlich
Lichtdesign: Michael Peischl
Produktionsleitung: Lara Schubert
Mit: Guido Badalamenti, David Cahier, Daniel Conant, Roberto Provenzano, Miyuki Shimizu und Magdalena Agata Wójcik
Uraufführung: 14. Januar 2022
Weiterer Termin: 15.01.2022
Eine Produktion von Moritz Ostruschnjak in Koproduktion mit dem Theater Freiburg
Weitere Infos siehe auch: http://moritzostruschnjak.com/
Post an Petra Herrmann
petra-herrmann-kunst.de
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