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Treiben ohne

Halt und Ziel



Das Floß der Medusa am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

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Dramatische Musik und schwer verständliche Rufe deuten anfangs eine Notsituation an. Alle sitzen in einem Boot. Eine kleine Gruppe Menschen, Überlebende einer Katastrophe, treibt tagelang auf dem Meer. Rettung oder Land kommen nicht in Sicht. Wie lässt sich Menschlichkeit in Extremsituationen erhalten? Wie lässt sich Schiffbruch vermeiden, wenn die Solidarität untereinander schwindet und Eigensinn aufkommt, da lebensnotwendige Ressourcen knapp werden. Braucht es eine Führung und wer übernimmt Verantwortung? Wie lässt sich mit der Nähe umgehen, obwohl man sich Alleingelassen fühlt.

Georg Kaiser (1878-1945) war zu seinem Spätwerk Das Floß der Medusa (1945) von einer Schiffskatastrophe aus seiner Zeit inspiriert, der Versenkung des britischen Dampfers »City of Benares« mit über 200 Passagieren durch ein deutsches U-Boot am 17. September 1940. Der Schriftsteller benannte sein Drama nach dem gleichnamigen Gemälde von Théodore Géricault; neben Da Vincis Mona Lisa das vielleicht bekannteste Werk, das heute im Louvre hängt. Vorbild für Géricaults Ölgemälde war ein Unglück um 1816, bei dem die französische Fregatte »Méduse« vor der westafrikanischen Küste kenterte und Überlebende sich auf ein Floß retteten.

In der Werkstatt-Bühne bewegen sich zehn Akteure (davon acht jugendliche Laiendarsteller) dynamisch in ständigem Aufruhr. In ihrer Not rappen und singen (Musikalische Regie: Kutlu Yurtseven) sie über Zerfall und Würde, Ängste und Apokalypse. Die jungen Akteure ordnen flexible Bühnenelemente aus Holz stets neu zu einer Art Rettungsfloß (Bühnenbild: Valentin Baumeister) an, was einen Instandhaltungsprozess des Floßes bebildert. Aus den Einzelelementen lässt sich ein Ganzes kombinieren; aber das Floß lässt sich auch in Teile spalten; wie auch die Gruppe im Stückverlauf sich stets neu aufsplittet. Unterhalb des Bühnenelements liegen die Figuren nachts zusammen gekauert.

Die Schiffbrüchigen werden emphatisch und dynamisch gespielt. Im Stückverlauf gewinnen sie mehr und mehr Eigenständigkeit, da auch unterschiedliche Wertvorstellungen erkennbar werden. Gerade die am meisten auf Eigenbedarf bedachten rufen am großspurigsten mögliche Bordregeln aus. Eine Katholikin mit großen Ängsten sucht Trost in einer möglichen Vorsehung Gottes. Einer, der zuvor eine Führungsrolle übernahm (ausdrucksstark: Paul Michael Stiehler), bekommt Panikschübe. Er fürchtet eine dunkle Krake, die aus den Meerestiefen empor taucht, um alles zu verschlingen. Bald behauptet er, seine Beine nicht mehr spüren zu können und verdreht sie unnatürlich. Er wird ausgerechnet durch eine Frau beruhigt und getröstet (Linda Belinda Podszus), mit der er zuvor rivalisierte, weil sie ihm vorwarf, er würde die Mannschaft verausgaben. Wenn es um den zu knappen Proviant und die zu wenigen Schwimmwesten geht, entstehen unsolidarische Bündnisse und Komplizenschaften.

Regisseur Max Immendorf thematisiert in seiner Inszenierung nicht, wie es zu der Situation kam. Es gibt zwischen den Konfliktpartnern auch keine direkten Konfrontationen etwa zur ungerechten Verteilung der Schutzwesten und das Ausgehen des Proviants. Das Drama findet schöne Bilder für die Zerbrechlichkeit des Floßes und der Gemeinschaft, wenn Akteure Bretter aus den Bühnenelementen lösen und eine Frau blutet. Insbesondere die starke Bewegungschoreographie bleibt in Erinnerung.

Eigene Gedanken, welche das junge Ensemble selbst für die Produktion festhielt, behandeln mutige neue Visionen von Gemeinschaft, die nicht mehr auf dem Kapitalismus oder Kommunismus basieren. So regt Das Floß der Medusa nicht zuletzt auch dazu an, über Selbstlosigkeit und andere Formen der Vergemeinschaftung nachzudenken.



Das Floß der Medusa am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

Ansgar Skoda - 9. Mai 2023
ID 14187
DAS FLOSS DER MEDUSA (Werkstatt, 04.05.2023)
Regie: Maximilian Immendorf
Musikalische Regie: Kutlu Yurtseven
Bühne: Valentin Baumeister
Kostüme: Maria Strauch
Choreografie: Linda Belinda Podszus
Licht: Ewa Górecki
Theaterpädagogik: Susanne Röskens
Zeynep Hamaekers
Dramaturgie: Nadja Groß
Mit: Linda Belinda Podszus, Paul Michael Stiehler, Leilani Basu Weidner, Hektor Heyer, Daniel Meißner, Mette Schneider, Sinja Schulze Messing, Farina Schumann, Klara Siegel und Frieda Wirkus
Premiere am Theater Bonn: 15. April 2023.
Weiterer Termin: 12.05.2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de


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