Für den Graben
|
|
Bewertung:
Erich Kästner war, das dürfte in interessierten Kreisen hinlänglich bekannt sein, nicht nur ein begnadeter Kinderbuchautor und Virtuose der leichten Muse, sondern hat 1931 auch einen großartigen Roman über das Leben an sich geschrieben, angesiedelt in der damaligen Gegenwart der Weltwirtschaftskrise und des aufziehenden Faschismus. Auch das Theater hat den Stoff von Fabian oder Der Gang vor die Hunde mitunter aufgerufen, dem Berichterstatter persönlich bekannt sind die Fassung von Bernadette Sonnenbichler (Düsseldorf, 2017) und die noch etwas gelungenere von Julia Hölscher (Dresden, 2013). Es mag noch mehr gegeben haben, aber was der Rezensent nicht kennt, beschreibt er nicht.
*
Nun also Jan Gehler am Weimarer DNT, und das ist sicher die reduzierteste Variante. Ein spartanisches Bühnenbild von Sabrina Rox, nur eine helle Mauer quer zur Bühne, davor ein Spielraum von kaum einem Meter, gefolgt von einem Graben und gesäumt von zwei Blöcken rechts und links, die Deckung für die Auftritte bieten. Einen Nachhaltigkeitspreis gibt es dafür in jedem Falle, auf dieser Bühne kann eigentlich alles gespielt werden, wenn man nur will. Gut, die Grenzen zur szenischen Lesung sind dann fließend, aber Gehler gelingt es, die Phantasie des Publikums (oder auch dessen Erinnerungsvermögen) zu wecken und das Bild damit zu beleben.
Auch der Personaleinsatz ist mit sechs Darstellenden an den Grenzen von Belastbarkeit und Verständlichkeit angekommen, außer Calvin-Noel Auer als Fabian müssen alle anderen mehrfach ran auf dem Besetzungsplan. Selbst die mittragenden Rollen von Cornelia (Carolin Wege) und Labude (Martin Esser) bekommen kein exklusives Gesicht. Dennoch bleiben sie sichtbar, ebenso wie die Moll (Katharina Hackhausen) und Mutter Fabian (Johanna Geißler), das ist schon beeindruckend. Bastian Heidenreich schließlich ist fast omnipräsent, er könnte zurecht „Ich bin das Volk!“ rufen.
Sparsam auch der musikalische Einsatz (Steph Krah). Entgegen der (leider sehr uninspiriert verlesenen) Einführung bleibt er hintergründig, nur chorische Einlagen fallen mir auf, die sind dann aber durchaus relevant.
Das Stück gelingt, weil es auch im Kopf stattfindet. Vielleicht gehen einige Handlungsstränge dabei verloren oder bleiben rätselhaft, wenn man das Buch nicht gelesen hat, aber ein roter Faden ist stets präsent. Der erwähnte Graben ist hier der 7. Mitspieler, aus ihm tauchen die Figuren auf, von ihm werden sie verschlungen und wieder ausgespuckt. Da assoziiert man gelegentlich Tucholskys Für den Graben, denn auch in diesem großstädtischen Schlachtfeld wird das Menschenmaterial en masse ge- und verbraucht.
Der Inhalt soll hier gar nicht ausgebreitet werden, das hat der Rezensent schon vor zehn Jahren gewohnt weitschweifig getan, und daran hat sich im Prinzip nichts geändert. Nur die zynische Quintessenz der Geschichte sei erwähnt: Die wichtigen Dinge im Leben verschwinden genau dann, wenn man ihren Wert begreift. Gott ist vermutlich nachtragend.
Ein guter, ein anrührender, fesselnder Theaterabend, mit großem Applaus belohnt.
|
Fabian oder Der Gang vor die Hunde am DNT Weimar | Foto (C) Candy Welz
|
Sandro Zimmermann - 23. September 2024 ID 14935
FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE (Deutsches Nationaltheater Weimar, 21.09.2024)
Regie: Jan Gehler
Bühne: Sabrina Rox
Kostüme: Julia Pommer
Musik: Steph Krah
Dramaturgie: Carsten Weber
Besetzung:
Jakob Fabian ... Calvin-Noel Auer
Stephan Labude, Malmy, Weckherlin, Frau 2 ... Martin Esser
Cornelia Battenberg, Irrgang, Kommunist, Frau 1 ... Carolin Wege
Irene Moll, Milma, Direktor, Ärztin ... Katharina Hackhausen
Justizrat Labude, Felix Moll, Münzer, Nationalsozialist, Kulp, Beamter ... Bastian Heidenreich
Mutter Fabian, Frau Sommer, Strom, Fischer, Ruth Reiter... Johanna Geißler
Premiere war am 15. September 2024
Weitere Termine: 05., 25.10./ 01., 17.11./ 19.12.2024// 09.01./ 16.02./ 04.04./ 09.05.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.nationaltheater-weimar.de
Post an Sandro Zimmermann
teichelmauke.me
Freie Szene
Neue Stücke
Schauspielpremieren
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
RUHRTRIENNALE
TANZ IM AUGUST
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|