Broadway-Hit
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Die Schattenpräsidentinnen am Deutschen Schauspielhaus Hamburg | Foto (C) Thomas Aurin
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Bewertung:
2022 feierte die Komödie POTUS: Or, Behind Every Great Dumbass Are Seven Women Trying to Keep Him Alive von Selina Fillinger - Die Schattenpräsidentinnen Oder: Hinter jedem großen Idioten gibt es sieben Frauen, die versuchen, ihn am Leben zu halten (in der deutschen Übersetzung Nico Rabenalds) - Premiere am New Yorker Broadway. POTUS steht für: President of the United States. Als ihre erste Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg bringt die Regisseurin Claudia Bauer nun die deutsche Erstaufführung als muntere Farce mit einem Ensemble aus sieben Schauspielrinnen des Hauses heraus. Es geht um sieben Frauen im Umkreis eines fiktiven US-Präsidenten, in dem man aber recht deutlich verschiedenste Eigen- und Unarten vergangener amerikanischer Staatsoberhäupter (man denke nicht nur an Trump) erkennen lassen.
Fillinger hat ihr Stück „für jede Frau, die sich jemals als Nebenrolle in einer männlichen Farce wiedergefunden hat“ geschrieben, wie es in der Widmung zu ihrem Text heißt. Es sind durchweg Frauen, die durch eine spezielle emotionale bzw. auch professionelle Nähe zum Präsidenten gekennzeichnet sind. Der Reihenfolge nach sind das seine Stabschefin Harriet (hier gespielt von Sandra Gerling), seine Presse-Sekretärin Jean (Josefine Israel), seine Sekretärin Stephanie (Angelika Richter), seine Geliebte Biene (Linn Reusse), seine Schwester Bernadette (Bettina Stucky), die Journalistin Chris (Amal Keller) und seine Ehefrau Margaret (Sachiko Hara).
Auch zum Bühnenbild und der Spielweise hat die Autorin Angaben gemacht, die das Hamburger Produktionsteam aber weitestgehend ignorierte. Was dem Unternehmen sicher nicht schadet. Wir schauen also für einen Tag hinter die Kulissen des Weißen Hauses, wobei nur die sieben Frauen als handelnde Personen auftreten und der Chef der freien westlichen Welt lediglich mal mit den Beinen aus einer Kiste herausschaut. Wie es dahin kommt, zeigt diese hochgradig temporeiche Farce, die satirisch kein Blatt vor den Mund nimmt und bereits zu Beginn mit expliziter Wortwahl provoziert.
Die Kostüme von Vanessa Rust sind comichaft überzeichnet wie das ganze Auftreten der Damen. Die Bühne hat Andreas Auerbach als drehbare Kulissenwand gestaltet. Vorn zeigt sie mehrere Türen, und hinten gibt sie die Sicht in die Damentoiletten des Weißen Hauses frei. Eine weitere wesentlich größere Tür verbirgt das Büro des Präsidenten, die vor allem von seiner Sekretärin Stephanie mit nahezu körperlichem Einsatz gegen jeden außerterminlichen Eindringling verteidigt wird. Und so kommt im Eifer des Gefechts bei allen Damen so nach und nach heraus, wie sie zum Präsidenten stehen, welche Mühen es sie gekostet hat, um in ihre Positionen zu gelangen und dort auch zu bleiben. Dass sie durchaus im Stande wären, aus dessen Schatten herauszutreten, klingt dabei nur kurz an.
Das Wort des Anstoßes, das der Präsident in einer Pressekonferenz vor laufenden Kameras und chinesischen Diplomaten fallen ließ, druckst Josefine Israel als Presse-Sekretärin Jean gequält hinter dem Vorhang hervor. Ein erstes Rededuell mit der Stabschefin umkreist neben einem für den Präsidenten recht hinderlichen „Analabszess“ mehrfach den peinlichen Wortlaut „hinterfotzig“, mit dem der Präsident lapidar das Zuspätkommen seiner Ehefrau rechtfertigen wollte. Um die drohende Staatskrise, die sich noch zu einer globalen auszuweiten droht, in den Griff zu bekommen, unternehmen die Frauen hinter dem Präsidenten alles nur Erdenkliche. Ein furioses komödiantisches Feuerwerk, das die sieben Schauspielerinnen hier abbrennen und über 1 3/4 Stunden auch am Leben halten können. Wie den besagten Idioten aus dem Titel, mit dem natürlich jeder Mann in einer entsprechenden Leitungsposition ohne die entsprechenden Kompetenzen gemeint sein kann.
Zu allem Ärger um schlecht laufende politische Entspannungsgespräche und andere Fettnäpfchen, in die der Präsident reichlich getreten ist, sehen sich die drei Präsidentenretterinnen noch einer sehr wissbegierigen Journalistin gegenüber, die alles daran setzt, eine ganz große Story in die Zeitung zu setzen. Nebenbei kämpft die alleinerziehende Mutter mit der Milchpumpe und ihrem Exmann am Telefon. Das Chaos komplettieren die auf ihre Begnadigung wartende, wegen Drogendelikten verurteilte Schwester des Präsidenten, die sehr energisch und unorthodox den Laden aufmischt (eine Paraderolle für Bettina Stucky) und die zum Vorstellungsgespräch ins Weiße Haus bestellte neue Geliebte des Präsidenten. Linn Reusse (neu im Ensemble) gibt Biene, die naive Schönheit vom Lande, die es aber faustdick hinter den Ohren hat. Sie hält einen Haufen aufgebrachter Feministinnen in Schach und befriedigt versehentlich zwei Kriegsveteranen anstatt zwei Agenten des Secret Service.
Das Publikum lernt einiges über den Wahnsinn des täglichen Politikbetriebs, oder dass LmaA auch „Landfrauen für moderne alternative Agrikultur“ heißt. Dass sich die sieben Frauen hier zunächst gegenseitig in die Haare kriegen anstatt zusammen gegen den Mann zu arbeiten, der ihre Hilfe nicht im Mindesten verdient hat, ist reine Ironie. Die Autorin nimmt da kein Blatt vor den Mund. Zusammen finden die Frauen erst, als der Präsident versehentlich von einer Suffragettenbüste niedergestreckt am Boden liegt. Allerdings nur um den Vorfall möglichst zu vertuschen und Zeit zu schinden. Am Ende ist alles wie vorher und der große Idiot wieder oben auf. Aber der erste Schritt, das Patriarchat zu stürzen, ist gemacht. Stück und Inszenierung funktionieren ja gerade ohne männliche Anwesenheit bestens. Das liegt vor allem am bösen Witz und dem gut aufgelegten Frauenensemble. Die Musikarrangements von Peer Baierlein sowie die von den Schauspielerinnen live gesungenen Songs tragen ihr übriges bei. Ein großes, nicht immer ganz politisch korrektes Vergnügen.
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Die Schattenpräsidentinnen am Deutschen Schauspielhaus Hamburg | Foto (C) Thomas Aurin
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Stefan Bock - 7. Mai 2024 ID 14736
DIE SCHATTENPRÄSIDENTINNEN (Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 05.05.2024)
Regie: Claudia Bauer
Bühne: Andreas Auerbach
Kostüme: Vanessa Rust
Musik: Peer Baierlein
Licht: Susanne Ressin
Video: Riccarda Russo
Dramaturgie: Christian Tschirner und Ludwig Haugk
Mit: Sandra Gerling, Josefine Israel, Angelika Richter, Linn Reusse, Bettina Stucky, Amal Keller und Sachiko Hara sowie DJ Pro Zeiko
DEA war am 11. April 2024.
Weitere Termine: 11., 18., 31.05.2024
Weitere Infos siehe auch: https://schauspielhaus.de/
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