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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Von hüben

nach drüben



Paul Michael Stiehler als Paul und Julia Kathinka Philippi als Paula in Die Legende von Paul und Paula am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

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Es gibt viele Lesarten für den DDR-Klassiker aus dem Jahr 1973. So könnte das Publikum dieser Frau böse sein, wenn ihre Augen nicht so verschmitzt leuchten würden: Nachdem sie ihrer kleinen Tochter „Trauriges Kind“ von Keimzeit als Schlaflied vorgesungen hat, schiebt Paula (Julia Kathinka Philippi) das schlafende Kind im fahrbaren Bett flugs von der Bühne. Ihre lebensfrohe Sehnsucht nach Glück und Leidenschaft führt Paula im Stückverlauf mehrfach in einen Konflikt mit ihrer Verantwortung als Mutter kleiner Kinder. Die alleinerziehende Verkäuferin geht aus. Im Bühnenhimmel werden bunte Lichterketten angeknipst. Die drehbaren Wandelemente eröffnen mit mehreren Eingängen und seitlich platzierter Live-Band eine Party-Atmosphäre. Paula hat nur noch Augen für den Sänger Colly (Riccardo Ferreira), der mit ungebremster Leidenschaft „Ohne dich (schlaf ich heute nicht ein)“ von der Münchner Freiheit schmettert. Der Sänger, der den Flirt alsbald hemmungslos erwidert, tritt von der Bühne. Bald liegen er und Paula sich hingebungsvoll in den Armen, zu den Klängen von „Komm schlaf bei mir“ von Rio Reiser, nun mit anderen, schwelgerisch-romantischen Vocals von Philip Breidenbach, Leitung der Live-Band. Unscheinbar im Hintergrund bändelt etwa zeitgleich Paul (Paul Michael Stiehler) gerade schüchtern mit der ebenfalls zaghaften jungen Ines (Imke Siebert) an. Paul und Paula haben sich noch nicht bewusst wahrgenommen. Doch eine Zusammentreffen ist vorhersehbar, wohnen sie doch in der gleichen Straße.

Roland Riebeling (am Theater Bonn bekannt für seinen gefeierten Sezen Aksu-Liederabend Istanbul) inszeniert nun mit Ulrich Plenzdorfs Die Legende von Paul und Paula erneut ein Theaterstück mit viel Gesang und Live-Musik. Die Aufführung im Bad Godesberger Schauspielhaus erzählt die Geschichte von Heiner Carows gleichnamigen Kultfilm von 1973, einer der erfolgreichsten Filme der DDR. Paula beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit dem verheirateten Familienvater Paul. Stück wie Film erzählen von der romantischen Sehnsucht nach privatem Glück, Freiheit und Selbstbestimmung. In dem Liebesdrama wird deutlich, dass sich die Figuren für ihre Wünsche wenigstens teilweise von gesellschaftlichen Erwartungen und Konventionen abwenden und die Erfüllung der Wünsche mitunter unerreichbar ist.

Auf der Bühne verführt die unbekümmerte Paula ihren Namensvetter in einem farbig leuchtenden Kleid mit meterlangen Tüllschleier, während ihn das Gewissen plagt. Das sind bildliche Referenzen an die Filmvorlage. Dazu spielt die Band effektvoll mit verbundenen Augen „Das Projektil“ von Keimzeit, zurückgenommen im Stil der Bee Gees. Anders als im Film findet das Regieteam hier eine stilvollere Musikuntermalung als das legendäre, unzweideutige „Geh zu ihr (und lass deinen Drachen steigen)“ von den Puhdys. Sie erklärt: „Wir lassen es dauern, solange es dauert. Wir machen nichts dagegen, nichts dafür. Wir fragen uns nicht allerlei blödes Zeug. Nur die Namen. Ich bin Paula." Seine Antwort: "Ich bin Paul."

Das Aneinanderherantasten zwischen den beiden ist spannend, da Paul anfangs der Vernunftgeleitetere ist. Im Zwischenspiel eines Pianisten setzen sich Paul und Paula als Konzertbesucher selbst ins Publikum und beobachtet kurzzeitig das Bühnengeschehen. Während Paula emotional überschwänglich klatscht, lobt Paul die Schlusskadenz und ordnet das dargebotene Werk Emilie Mayer zu, die er einen weiblichen Beethoven heißt.
Die Paare harmonieren in den unterschiedlichen Besetzungen gut. Es gibt schöne Ensemble-Gesangsdarbietungen, etwa von Sillys „Wo bist du?“, bei dem Gesangspassagen von wechselnden Akteuren auch zweistimmig dargeboten werden. Ein Erlebnis ist auch ein Duett zu Gundermanns „Gras“ von den Figuren Ines und Paul, szenisch noch eindrücklicher vorgetragen als in Solbergs Liederabend Unplugged.

Beeindruckend ist auch die gelungene Personenführung der Kinderdarsteller. Die Kinder werden oft mit einbezogen und sorgen für starke Theatermomente, etwa wenn es tiefgründig um zwischenmenschliche Harmoniebedürfnisse und um menschliche Vergänglichkeit geht.

Dem Stück, das als ein Märchen der Sehnsucht nach Freiheit eines eingesperrten Volkes angesehen werden kann, wird hier die Dimension der Kinder in ihrem Bedürfnis nach Liebe und Geborgenheit hinzugefügt. Paul hält zunächst an seiner Verantwortung als Vater und Ehemann fest. Bald glaubt Paula zu erkennen, dass auch sie ihre Kinder vielleicht doch zu sehr hintenan gestellt hat.

In einem sehenswerten Monolog unterhält sich Paula mit einem Teddy in ihrer Hand darüber, ob sie vernünftig sein und den gut situierten, älteren Herrn Saft heiraten oder ihrem Wunsch nach Selbstverwirklichung folgen sollte. Wenn Herr Saft Paula seinen Kfz-Betrieb zeigt, öffnet sich der Bühnenhintergrund wie zu einer Werkhalle. Größere Requisiten werden hinter der Hauptbühne von rechts nach links gefahren; die Live-Musiker lärmen und sorgen so für eine maschinell anmutende Geräuschkulisse. Erst als Paul mitbekommt, dass Paula mit Herrn Saft anbändelt, ändert er seine Einstellung und kämpft für die Liebe. Es ist ergreifend, wenn sich Paul schlaksig, verloren und sichtlich bewegt im Türrahmen Paulas fläzt und seinen Trennungsschmerz hinaussingt, mit Rio Reisers „Für immer und dich“; vorher gestand er bereits, er habe aus Verschossenheit „solide Panik“.

Motive der Vorlage wie das Segel-Setzen, das schnelle Fahren und das Werden und Vergehen von Liebe, die ganzen Ambivalenzen und das Träumerische von Gefühlen gestaltet Riebeling in Bonn eindrücklich. Eine filmhistorisch wichtige Szene, wenn Paul die Tür zu Paulas Wohnung mit einem Beil aufreißt - in heutiger DDR-Analogie zum Mauerfall symbolisch bedeutsam - wird in Bonn mit fliegenden Splittern effektvoll nachgestellt.
Einige Szenen, wie etwa der Todesfall auf dem Jahrmarkt, werden jedoch recht lange ausgespielt. Songs, wie das den Kindern vorgesungene „Käfer aufm Blatt“ von den Zöllnern wirken unpassend, da sich eine Sinnhaftigkeit für die Kinder augenscheinlich nicht erschließt, sondern sie eher zum Zertreten von Käfern anregt. Janko Kahle singt den Schlager „Verdamp lang her“ von BAP ein bisschen zu stimmschwach, was allerdings entsprechend seiner Rolle durchaus auch Charme hat.

Aus dem Original-Filmsoundtrack wird am Ende noch vom gesamten Ensemble der ostdeutsche Klassiker „Wenn ein Mensch lebt“ von den Puhdys dargeboten, fast noch ergreifender als das gefühlvolle Cover von Jasmin Tabatabai.

Insgesamt ein gelungener Theaterabend voller Melancholie und Schwermut, aber auch mit viel Kraft und Optimismus.



Paul Michael Stiehler als Paul und Julia Kathinka Philippi als Paula in Die Legende von Paul und Paula am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

Ansgar Skoda - 24. Februar 2024
ID 14625
DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA (Schauspielhaus Bad Godesberg, 23.02.2024)
Regie: Roland Riebeling
Musikalische Leitung: Philip Breidenbach
Live-Musik: Philip Breidenbach, Mike Roelofs und Nico Stallmann
Bühne: Tom Musch
Kostüme: Nini von Selzam
Dramaturgie; Nadja Groß
Besetzung:
Paul ... Paul Michael Stiehler
Paula ... Julia Kathinka Philippi
Ines ... Imke Siebert
Colly ... Riccardo Ferreira
Herr Saft / Schwiegervater ... Janko Kahle
Ulrike ... Anastasia Schröder
Micha ... Tomas Hoschek (Termine)
Eddy ... Marian Schlesinger
Steffi ... Mette Schneider
Premiere am Theater Bonn. 23. Februar 2024
Weitere Termine: 28.02./ 08., 17., 21.03./ 14., 19.04.2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de


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