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Premierenkritik

Im Trichter



Graf Öderland am Residenztheater München | Foto (C) Birgit Hupfeld

Bewertung:    



Man muss nicht unbedingt die Begeisterung teilen, die Max Frisch neben Heinrich Böll und Wolfgang Borchert über Jahre hinweg bei Deutschlehrern hervorgerufen hat und die zu teilen die Schüler verpflichtet waren, wenn sie nicht als Literaturbanausen gelten und mit schlechten Zensuren bestraft werden wollten. Graf Öderland allerdings zählte nicht zu den am meisten favorisierten Werken des Schweizers, und er selbst scheint seine Zweifel an seinem Lieblingsstück gehabt zu haben. Jedenfalls hat er drei Fassungen produziert, die auch auf Kritik der Zeitgenossen reagierten.

Graf Öderland, den Max Frisch „eine Moritat“ nannte und der diverse Assoziationen hervorruft – an Dostojewskis Verbrechen und Strafe, an die Dreigroschenoper, an Artmanns Blaubart-Gedichte –, handelt von einem Mörder, der für seine Tat kein Motiv hat und sich nur von einem einzigen Menschen verstanden fühlt: dem Staatsanwalt. Der Staatsanwalt, die eigentliche Hauptfigur des Stücks, bringt das Element des Absurden ein, das bei Frisch, nicht so radikal wie bei Beckett, Pinter, Havel oder Mrożek, aber doch im Geist der Dramatik seiner Zeit, eine Rolle spielt.

Was das Stück an Interessantheit, vielleicht auch bloß an Durchschaubarkeit und Eindeutigkeit vermissen lässt, kompensiert der Regisseur Stefan Bachmann durch Visuelles. Das ist erfrischend in einer Theaterlandschaft, in der gelegentlich in Vergessenheit zu geraten scheint, dass Theater eine Kunst (zumindest auch) fürs Auge ist. Olaf Altmann hat einen riesigen auf einer Kante ruhenden Trichter entworfen, der die ganze Bühne füllt und an den Aufbau eines alten Grammophons erinnert. Die Figuren blicken durch das Loch in der Mitte hinten und treten durch dieses auf. Man kann an Hitchcocks Vertigo denken. Dann trippeln oder rutschen sie die steile Innenwand des Trichters herab. Die ausgeklügelte Lichtregie von Roland Edrich verändert den ansonsten gleichbleibenden Raum.

Besonderes Lob gebührt der eklektischen Musik von Sven Kaiser, die er zusammen mit drei Musikern im Halbdunkel der offenen Bühne beisteuert. Elemente des Barock mischen sich mit perkussiven Passagen und Anklängen an Western-Filmmusik.

Die Koproduktion mit dem Theater Basel, die schon zum Berliner THEATERTREFFEN eingeladen war, hatte nun am Residenztheater ihre Münchner Premiere. Den Staatsanwalt spielt Thiemo Strutzenberger, der dafür den 3sat-Preis erhalten hat. Der bereits an mehreren renommierten Bühnen, unter anderem am damals von Andreas Beck, dem jetzigen Intendanten des Residenztheaters, geleiteten Wiener Schauspielhaus, erfolgreiche Österreicher, Jahrgang 1982, hat sich auch als Dramatiker einen Namen gemacht. Hier kann man ihn als formidablen grotesken Schauspieler bewundern. Und darüber rätseln, was ihn mit einem Mörder verbindet.




Thiemo Strutzenberger (mit der Axt) in Graf Öderland am Residenztheater München | Foto (C) Birgit Hupfeld

Thomas Rothschild - 23. Oktober 2021
ID 13236
GRAF ÖDERLAND (Residenztheater, 22.10.2021)
Regie: Stefan Bachmann
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Esther Geremus
Komposition und Musikalische Leitung: Sven Kaiser
Licht: Roland Edrich
Körperarbeit: Sabina Perry
Dramaturgie: Barbara Sommer
Besetzung:
Der Staatsanwalt ... Thiemo Strutzenberger
Elsa, ein Gendarm, der greise Staatspräsident ... Barbara Horvath
Dr. Hahn, ein Sträfling ... Simon Zagermann
Hilde, Inge, Coco ... Linda Blümchen
Der Mörder ... Steffen Höld
Mario, ein Gendarm, der General, Frau Hofmeier ... Michael Wächter
Ein Wärter, ein Concierge, der Kommissar, ein Student ... Moritz von Treuenfels
Der Vater, ein Boy, der Innenminister ... Vincent Glander
Die Mutter, der Fahrer, der Direktor ... Nicola Mastroberardino
Julia Bassler (Geige/ E-Geige)
Sven Kaiser (Piano)
Tobias Weber (E-Gitarre)
Cornelius Bergolte, Heinz Friedl und Bassklarinette/Klarinette)
Premiere am Theater Basel: 14. Februar 2020
Münchner Premiere: 22. Oktober 2021
Weitere Termine: 24.10. / 03., 04., 10., 21.11.2021
Eine Koproduktion von Residenztheater und Theater Basel


Weitere Infos siehe auch: https://www.residenztheater.de/


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