Theaterbetriebs-
nudelsalat
BÜHNENBESCHIMPFUNG von Sivan Ben Yishai
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(C) Esra Rotthoff
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Bewertung:
Das Maxim Gorki Theater hat sich von der israelischen Dramatikerin und Mülheimer-Theaterpreisträgerin Sivan Ben Yishai eine Bühnenbeschimpfung schreiben lassen. Natürlich soll das an Peter Handkes legendäre Publikumsbeschimpfung erinnern. Dreht dabei aber die Perspektive um mit dem Fokus auf die Institution Theater selbst. Der Text ist in drei unterschiedliche Teile gegliedert. Teil 1 beschäftigt sich in einem Fließtext mit dem Körper der SchauspielerInnen als Institution, Teil 2 kommt im Kurztext-Twitter-Format als Reflexion eines Theaterabends als Institution daher, und Teil 3 beschreibt in einer Art Parabel die Zukunft des Theaters auf einem angrenzenden Areal. Zwischengeschaltet sind kurze Texte über die Tradition der sich alle 20 Jahre vollziehenden Umformung, Dekonstruktion und Neuprogrammierung des Ise-jingū-Schreins. Auch das ist eine Parabel auf das sich immer wieder neuorientierende System des Theaters und seiner Formen. Das wurde als „eine offene Operation am Körper der Institution“ und multiperspektivischer Chor mit klugen Stimmen von Masha Gessen, Donna Haraway, Michel Foucault u.a. annonciert.
Regisseur Sebastian Nübling hat diesen tatsächlich etwas lang geratenen Text allerdings weitestgehend ignoriert und einen für das Gorki sehr typischen Theaterbetriebsnudelsalat kreiert. Aysima Ergün, Lindy Larsson, Vidina Popov und Mehmet Yılmaz vom Gorki-Ensemble versuchen sich zu Beginn in pinkfarbenen Clownskostümen an immer neuen Applausordnungen und Verbeugungen inklusive des bekannten Peymann-Schubsers und anderer Metoo-Andeutungen. Dazu brandet Applaus und jault Eric Carmens All By MySelf aus dem Off. Eine Parodie auf die Eitelkeit des Mimen, dem die Nachwelt bekanntlich keine Kränze flicht. Das drängt im Weiteren den eigentlichen Text in den Hintergrund zu Gunsten der Performance einzelner DarstellerInnen.
So macht Lindy Larson den als Souffleur agierenden Schauspieler Christian Bojidar Müller runter. Dem schließt sich Aysima Ergün als erst unter-, dann überforderte Schauspielerin an, was in eine manische „Gib-Gib-Gib!“-Brüllerei mündet. Zum gefühlt hundertsten Mal erfahren wir von einem sichtlich aufgebrachten Mehmet Yilmaz, der auf einen der vorderen Theatersitze steigt und erstmal ein paar Kantinenwitze über Schauspieler zum besten gibt, wie schrecklich das Leben eines unterbezahlten freischaffenden Künstlers ist und dass es dann in der Festanstellung nicht viel besser wird. Vidina Popov wagt dann noch eine kleine Gestalttanzeinlage, bis man den ironisch-witzig vorgetragenen selbstreferenziellen Quark, der besser in der Theaterkantine breitgetreten gehört, nicht mehr aushalten kann. Zum wiederholten Mal kokettiert das Gorki auf der Bühne mit den Anschuldigungen an die Intendantin wegen Machtmissbrauch. Das Problem gehört endlich gelöst, allerdings nicht als Running Gag einer Theateraufführung, wo man den Text noch selbst lesen muss.
Danach verlagert sich der Unsinn in den Zuschauerraum, wo Mitglieder des Gorki-Jugendclubs (Sofian Doumou, Zari Eder, Nele Jochimsen, Bashar Kanan) als ZuschauerInnen getarnt von den SchauspielerInnen zum verteilten Textablesen von der Bühnenrückwand animiert werden. Bleiben und aushalten oder gehen und Rotwein trinken, das sind hier die Gedankengänge im Text, die so langsam zum echten Entscheidungsnotstand werden. Als dann auch noch das übrige Publikum mit Aufstehforderungen in Geiselhaft genommen wird, ist man tatsächlich kurz geneigt, sich an der lustigen Bühneneschimpfung zu beteiligen und zumindest mal freundlich anzufragen, ob die da oben noch alle Latten am Theaterzaun haben. Einfach zu gehen ist da aber sicher die bessere Idee.
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Politisches Theater war mal das Markenzeichen des Gorki. Hier verrennt es sich zum Amüsement des Insiderpublikums in eine billige Show. Anstatt mit Klötzchen neue Theaterwolkenkuckucksheime zu bauen, sollte der Betrieb der Realität ins Auge schauen. Momentan haben zwei Theater im Osten Ensemble-Mitglieder wegen unerwünschter Kritik oder Gewerkschaftsarbeit nicht verlängert oder gar entlassen und Hausverbote verhängt. Macht was! Solidarisiert euch! Spielt! Redet nicht nur darüber.
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Stefan Bock - 19. Dezember 2022 ID 13970
BÜHNENBESCHIMPFUNG (Maxim Gorki Theater Berlin, 17.12.2022)
von Sivan Ben Yishai
Regie: Sebastian Nübling
Bühne und Kostüme: Amit Epstein
Musik: Lars Wittershagen
Dramaturgie: Valerie Göhring
Mit: Sofian Doumou, Zari Eder, Aysima Ergün, Nele Jochimsen, Bashar Kanan, Lindy Larson, Christian Bojidar Müller, Vidina Popov und Mehmet Yilmaz
UA war am 17. Dezember 2022.
Weitere Termine: 25.12.2022// 06., 19.01.2023
Weitere Infos siehe auch: https://www.gorki.de
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