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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

Über die

Geschichte der

Seidenproduktion

in der

Niederlausitz



Feinstoff von Lars Werner, uraufgeführt am Staatstheater Cottbus | Foto (C) Marlies Kross

Bewertung:    



Das Tuchhandwerk und Textilgewerbe in der Niederlausitz hat eine Geschichte, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht. Eine regelrechte Blütezeit in der Region um Cottbus und den Spreewald begann ab 1700, was auf eine verstärkte Zuwanderung aus Sachsen und später auch durch hugenottische Glaubensflüchtlinge aus Frankreich zurückzuführen ist. Hier kommt der preußische König Friedrich der II. ins Spiel. Der „Alte Fritz“ befahl ab 1752 die Errichtung von mehreren Wollspinnhäusern am Rande von Cottbus. Der Förderpolitik des preußischen Königs, der Tuch für seine Soldaten brauchte, hatte die Stadt Cottbus ihren wachsenden Reichtum zu verdanken. Einen weiteren wirtschaftlichen Aufschwung gab es mit dem Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Bis in die DDR-Zeit war die Textilindustrie in Cottbus vorherrschend. Ein Ende nahm diese Entwicklung nach der Wiedervereinigung verursacht durch Billigimporte aus dem asiatischen Raum und die Verlagerung der Produktion ins benachbarte Polen.

Aufstieg und Niedergang einer Region, die vorwiegend auch von der Braunkohleförderung lebte, ist das Thema des Theaterstücks Feinstoff vom Kleist-Förderpreisträger Lars Werner aber nicht. Vier Versuche mit Seide heißt das Auftragswerk für das Staatstheater Cottbus im Untertitel. Das feine Stöffchen, das schon dem Alten Fritz gefiel, steht hier im Zentrum von vier Episoden, die sich aber nicht nur allein um das aus den Kokons der Seiden-Raupe gewonnene Edel-Textil ranken. Ein ziemlicher Parforceritt durch die brandenburgisch-preußisch-deutsche Geschichte mit mehreren, vorweggesagt vergeblichen Versuchen, die Seidenproduktion in der Niederlausitz anzusiedeln.

In der Inszenierung des jungen Regisseurs Rafael Ossami Saidy schlüpfen die Cottbuser SchauspielerInnen Sophie Bock, Thomas Harms, Johannes Scheidweiler und Susann Thiede in die verschieden Zeiten, Rollen und wechseln auch mal die Geschlechter. Es beginnt in der Kammerbühne Cottbus aber nicht mit Friedrich dem Großen, sondern 1943 in einer Cottbuser Schule, an der die Kinder für Führer, Volk und Vaterland, oder genauer gesagt für kriegswichtige Fallschirmseide zur Aufzucht der stoffspendenden Seidenraupen herangezogen werden. Die sorbische Schülerin Maren (Johannes Scheidweiler) liest mit ihrem Lehrer Petr Szczepanski (Thomas Harms), der sich in der Schule versteckt hält, ein verbotenes Theaterstück über den gescheiterten Versuch, in der Zeit Friedrichs II. Maulbeerbäume als Futterquelle für die Seidenraupen in der Niederlausitz heimisch zu machen. Maren wehrt sich gegen die Verpflichtung zur Betreuung der Raupen-Kokons durch den Direktor (Susann Thiede) und bringt sie in den Versteck-„Kokon“ des Lehrers zwischen den Wänden der Schule, wo die Raupen dann schlüpfen, was die Seide unbrauchbar macht. Styroporkügelchen rollen über die von Susanne Brendel mit Turnmatten, Garnrollen etc. vollgestellte Bühne. Nebenbei erfährt man noch von der Umsiedlung der in der Niederlausitz ansässigen Sorben durch die Nazis in andere Landesteile, um Sprache und Tradition der slawischen Minderheit zu unterdrücken.

Der Drang zur Freiheit und Subversion gegen die Herrschenden zieht sich durch die einzelnen Kapitel dieses Recherche-Stücks. Der zweite Teil erzählt die Geschichte der Dichterin des Stücks Morus Alba (Weißer Maulbeer), Charlotte Neuber, die als Waise von Friedrich II. an den Hof in Potsdam geholt wurde. Eine Aktion, bei der Waisenkinder Maulbeerbäume in der Lausitz pflegen sollen. Charlotte (Sophie Bock), die es eher zum Schreiben drängt, widersetzt sich der Heimleiterin (Susann Thiede) und will ihr Glück als Schriftstellerin am Hofe Friedrichs (Thomas Harms) versuchen. Das wird mit sehr viel Hang zur Klamotte gespielt. Die Figur eines Stadtplaners, wechselnd von allen mal verkörpert, rahmt die Handlung und führt wie ein DJ am digitalen Keyboard durch die Zeiten.

Nach der Pause zerfranst der Abend etwas im digitalen Videorauschen eines als Zwischenspiel gekennzeichneten Ausbruchs des Laki-Vulkans 1783 auf Island, dessen Aschewolken das klimatische Ende für die preußischen Maulbeerbäume in der Lausitz bedeuten. Um den durch Menschen verursachten Klimawandel geht es dann im dritten Kapitel, das in die DDR im Jahr 1983 führt. Die Stasi ist hier mit Spitzeln hinter den Mitgliedern der oppositionellen Cottbuser Umweltgruppe Morus Alba (nach dem Buch der Neuber benannt) her. Aus Verhören und Tonbandprotokollen der verhafteten Pauline Schmitz (Susann Thiede) erfährt das Publikum von der dunklen Seite der DDR-Diktatur. Das hat weniger mit Seide aber viel mit nach Mündigkeit strebenden Bürgern zu tun.

Dem abschließenden Exkurs in die vom Klimawandel veränderte Zukunft mag man Autor und Regisseur aber nicht mehr so recht folgen. Der etwas undurchsichtig werdende Text steckt im Nebel der Geschichte und fliegt über die Lausitz und Tesla City am Rande Berlins in ein von Schülern besuchtes Museum für Friedrich II. im Jahr 2154. Mit Taschenlampen suchen sie nach den Helden in den Lücken der Geschichte. Vom Rande ins Zentrum einer neuen Geschichte, wie der Text verheißt. Ob die Maulbeerbäume dann im feuchtwarmen Klima gedeihen, oder vom Wind, den die Kinder in Mikros pusten, über das versteppte Brandenburg verweht werden, bleibt das Rätsel dieses viel zu spielverliebten und leicht chaotischen Abends. Da wären weniger Einfälle sicher etwas mehr.



Feinstoff am Staatstheater Cottbus | Foto (C) Marlies Kross

Stefan Bock - 5. Dezember 2021
ID 13343
FEINSTOFF. VIER VERSUCHE MIT SEIDE (Kammerbühne, 03.12.2021)
Regie: Rafael Ossami Saidy
Bühne/Kostüm: Susanne Brendel
Musik: Simon Kluth
Dramaturgie: Ana Edroso Stroebe
Mit: Sophie Bock, Thomas Harms, Johannes Scheidweiler, Susann Thiede u.a.
Tonaufnahmen: Markus Paul sowie Emma Seeber, Hannah Schurig und Ole Dubrau
UA am Staatstheater Cottbus: 3. Dezember 2021
Weitere Termine: 15., 29.12.2021 // 07., 26.,01.2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatstheater-cottbus.de


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