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Neue Stücke

Antipolitik und

die große

Ratlosigkeit



Lena Geyer in Das beispielhafte Leben des Samuel W. von Lukas Rietzschel am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung

Bewertung:    



Eine gehisste Deutschlandfahne füllt die ganze Bühnenrückwand aus. Die Figur einer Raumpflegerin (Ursula Grossenbacher) betritt die Bühne und wird prompt mit einem Tisch konfrontiert, auf dem Pizzakartons, geöffneter Chipstüten und anderer Überbleibsel wild verteilt oder gestapelt liegen. Sie greift die Hinterlassenschaften hastig, wirft sie in eine Mülltüte und ruft angewidert aus: „Alles Machos.“ Ein starker Auftakt für das Thema des Theaterabends:

In Das beispielhafte Leben des Samuel W. setzt sich der ostdeutsche Autor Lukas Rietzschel mit der AfD auseinander, ohne diese zu verurteilen. Als Grundlage seines Textes dienen Interviews mit etwa hundert Ostdeutschen, unter anderem Anhängern der AfD. Max Immendorf inszenierte das Werk nun am Theater Bonn mit düsteren Bildern, witzigen Momenten und einer diffuser werdenden, gegen Ende gar grotesken Personenführung.

Vor der Kommunalwahl soll sich in einer mittelgroßen Stadt der aussichtsreichste Kandidat einer offensichtlich radikalen Partei, Samuel W., mit dem amtierenden Bürgermeister, Bernd, ein Rededuell liefern. Die eintreffende Moderatorin bittet die Raumpflegerin, Boden und Tisch zu wischen, obwohl diese schon Feierabend hat. Während die Moderatorin auf die Kandidatin wartet, beginnt sie von der eigenen Kindheit zu erzählen, die auch von Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit unter ihren Verwandten geprägt war. Die Raumpflegerin ist interessiert und fragt nach. Während sie mittlerweile den Boden der Bühne wischt, erzählt sie bald selbst von unterirdischen Feuern im Bergbau, die stanken und ungesund waren.

Achim (Christoph Gummert), ein Freund von Samuel W., tritt hinzu und beteiligt sich am allgemeinen Geplauder. Achim meint, sein Berufswunsch wäre als kleiner Junge Frührentner gewesen, weil gefühlt alle seine Onkel und Tanten nach der Maueröffnung dieses Schicksal ereilt hätte. Bernd (Paul Langemann) trifft zum Termin ein und wird von der Moderatorin der Sendung (Lena Geyer) vorbereitet. Ein Freund oder Berater von ihm (Christian Freund) rät Bernd, nicht den Handschlag mit dem rechtspopulistischen Herausforderer zu üben. Als Bernd diesen Ratschlag ablehnt, stellt der freundschaftliche Berater Stoffblumen in die Wasserflasche, die für Bernd während des Rededuells gedacht waren.

Während Bernd, ungeduldiger werdend, auf Samuel W. wartet, fragt er den einen oder anderen, ob sie schon gewählt hätten. Ein plotschig auftretendes absurdes Ost-Sandmännchen (Bernd Braun) lacht nur und tritt hustend ab. Eine Aushilfskraft im Interviewstudio (auch Christian Freund) meint, nein, er gehe nicht wählen. Ihm zufolge sollte man nur noch in Social Hubs leben, denn die Demokratie habe ausgedient. Bernd ist zunehmend irritiert, spricht jedoch bald mit der Klassenlehrerin von Samuel W. (auch Ursula Grossenbacher). Diese erkannte früh die Radikalisierungstendenzen ihres Schülers und wünscht Bernd für die anstehende Wahl viel Erfolg. Um möglichen Hintergründen von Nichtwählern oder Politikverdrossenen nachzuspüren, tritt Bernd bald auf das Publikum zu. Er fragt: Warum wählt man den eigenen Untergang? Welche Visionen hat Samuel W.? Was sind seine Ziele? Was möchte er bewirken? Warum wird man Bürgermeister – möchte man die Gesellschaft verbessern oder das eigene Ego pushen? Die Fragen ermüden etwas, da Samuel W. sich auch weiterhin nicht blicken lässt. Wenn Bernd schließlich resigniert einen englischsprachigen Schlager über das Weinen hört, drückt dies einzig seine Hilflosigkeit gegenüber den Gefährdern der Demokratie aus.

Darsteller verrenken sich alsbald auf Podesten, ein Arbeiter entblößt sich und zeigt dabei Blutergüsse am ganzen Körper. Die glaubhaft wandlungsfähige Ursula Grossenbacher darf noch eine Wahlorganisatorin verkörpern, die feststellen muss, dass Samuel W. für das angestrebte Amt nicht mehr zur Verfügung steht, weil der rechtsradikale Bürgermeisterkandidat plötzlich als Innenminister vorgesehen ist. Im Schlussbild erinnern von den Figuren in Reihen positionierte graue Bühnenelemente deutlich an die Betonstelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin (Bühne: Valentin Baumeister).

*

Leider lässt das Stück offen, wie ein guter Umgang mit Rechtspopulismus und dem Aufstieg der AfD aussehen könnte. In sehr unsicheren Zeiten verbreitet Rechtspopulisten wie Donald Trump oder die AfD Gefühle von Krise und Untergang, indem sie polarisieren, hetzen, aufputschen und dramatisieren. Sie nutzen Gefühle der Wut und Machtlosigkeit in der Bevölkerung, ohne tatsächliche Gefahren anzugehen. Samuel W. hat in dem Stück Anhänger wie Achim, die jedoch ein bisschen farblos bleiben, während er selbst gar nicht in Erscheinung tritt. In Ostdeutschland hat die AfD Wahlerfolge, auch weil sie Stammtische, Gesprächsrunden oder Filmabende organisiert, während andere Parteien Unterstützer und Präsenz verlieren. Der Autor hätte in seinem Stück mehr Fokus darauf setzen können, dass Bernd, der Gegenkandidat von Samuel W., gegen Desinformation, Hassrede oder Verschwörungsmythen eintritt und sich so von seinem Konkurrenten abhebt. Immerhin fragt Bernd uns Zuschauer nach möglichen Sorgen und versucht emotional zu kommunizieren. Wenn Bernd authentisch vermittelt hätte, dass er sich um den Wohlstand, die Einkommen und Sicherheit seiner Mitbürger sorgt, hätte er so manchen von seinem politisches Vorgehen überzeugen und sich gegen den Widersacher behaupten können. Denn eine planvolle Agenda einer AfD oder eines Samuel W. ist langfristig nicht erwartbar.

Zumindest kam diese Inszenierung nicht mit dem didaktischen Zeigefinger daher, uns zu erklären, wie es geht und wie die Probleme zu lösen wären. Stattdessen wirkte sie aber leider genauso ratlos wie die Mitte der Gesellschaft im Umgang mit Populismus und Rechtsextremismus.



Das beispielhafte Leben des Samuel W. am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung

Ansgar Skoda - 25. Oktober 2025
ID 15525
DAS BEISPIELHAFTE LEBEN DES SAMUEL W. (Werkstatt, 18.10.2025)
von Lukas Rietzschel

Regie: Max Immendorf
Bühne: Valentin Baumeister
Kostüme: Maria Strauch
Dramaturgie: Carmen Wolfram
Sounddesign: Christian Freund
Mit: Bernd Braun, Christian Freund, Lena Geyer, Ursula Grossenbacher, Christoph Gummert und Paul Langemann
UA am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau: 20. Januar 2024
Premiere am Theater Bonn: 16. Oktober 2025
Weitere Termine: 31.10./ 07., 16., 27.11./ 12., 20.12.2025


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de


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