Kopf an Kopf
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Sören Wunderlich als John Falstaff in Sankt Falstaff am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung
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Bewertung:
Er wirft sich in Pose und positioniert sein durchscheinendes Hemd so, dass seine beeindruckende Bauchmuskulatur hervorsticht. Ed (Daniel Stock) freut sich auf seine Verabredung. Er strahlt Harri (Paul Michael Stiehler) einladend entgegen, als dieser auf hochhackigen Herrenplateauschuhen tänzelnd eintrifft. Offensichtlich hatten beide vor, intim miteinander zu werden. Doch wen hat Harri da im Schlepptau, auf den er entschuldigend hindeutet? John Falstaff (Sören Wunderlich) scheint durch eine dicke Oberkörperumhüllung sichtlich beeinträchtigt, bewegt sich tapsig und wirkt derangiert. Ed ist sichtlich wütend. Prompt meint Falstaff, er müsste vor dem Kennenlernen noch ein gewisses Örtchen aufsuchen und tritt durch eine Tür im Bühnenhintergrund ab. Ed ruft eifersüchtig aus, Harri solle sich doch wenigstens einen wohlhabenden Gönner angeln, wenn er sich schon einen Sugar Daddy zulege. Harri zärtelt an Ed herum und meint beschwichtigend lächelnd, Falstaff sei aber ein guter Zuhörer und unterhaltsam. Beide werden noch ein böses Spiel mit Falstaff spielen, das jedoch auch für sie böse enden könnte.
Falstaff lernte Harri bewusstlos am Boden liegend und vollgedröhnt mit Drogen oder Alkohol durch Mund-zu-Mund-Beatmung kennen. Er nahm ihn mit mit nach Hause, und es entstand eine Freundschaft, ein Flirt oder so etwas wie Liebe. Erst spät erkennt Falstaff, dass Harri der Sohn des Quasi-Königs Heinz, oder im Volksmund auch „Heinzheit“ (Wilhelm Eilers), ist. Der Königssohn Harri setzt seine Attraktivität gezielt ein und findet durchaus Gefallen an Skrupellosigkeit und Machtspielen. Harri wird mit seinem ehrgeizigen, aber tumben Konkurrenten Percy (Riccardo Fereirra) konfrontiert, Sohn des strengen Vorsitzes (Sophie Basse) des Quasi-Königs. Es knallt ganz köstlich beim Krach der Königskinder, wenn sich der Hitzkopf Percy und der Schönling Harri zunächst ordentlich mit bösen Zungen und später auch richtig duellieren.
Ewald Palmetshofer hat Henry IV aus Shakespeares historischen Königsdramen frei mit Gegenwartssprache aktualisiert und dabei die Rolle des Falstaff als Titelfigur Sankt Falstaff [UA am 22.01.2025 im Resi München] aufgewertet. Sören Wunderlich macht sich als Titelheld im wahrsten Sinne des Wortes nackig. Hingebungsvoll bemüht Falstaff sich um Harri, er schlägt warnende Hinweise der Kneipenwirtin Frau Flott (ebenfalls Sophie Basse) in den Wind, lässt auch Ed gewähren und stellt Harri raumgreifend nach, um ihm schließlich ins Gewissen zu reden. Wenn Falstaff energisch den zierlichen Harri plötzlich emporhebt, erschlafft dessen Körper wie gebannt und seine Herrenplateuschuhe drehen sich kraftlos in der Luft.
Wilhelm Eilers wirkt als Quasi-König Heinz – in Shakespeares etwa 400-seitiger Tragödie Henry IV – recht gutmütig, blauäugig und phlegmatisch behäbig. Er deutet verschiedentlich an, dass er das Zepter krankheitsbedingt nicht mehr lange in der Hand behalten wird. Eilers zeichnet die Figur des Quasi-Königs wenig autoritär, legt auf der Suche seines Nachfolgers jedoch die Hand auf das Knie des potentiellen Kandidaten Percy und wird auch mitunter bei seinem hübschen Diener (Jacob Z. Eckstein) in leisen Andeutungen zudringlich. Letztgenannter dient dem König als rechte Hand, aber auch als sein „Mundwerk“. Imke Siebert hat schließlich die ein bisschen undankbare und recht didaktisch auf unsere Zeit bedachte Rolle von Kate respektive Puppe, wenn sie aus weiblichem Blickwinkel ungerechte Machtunterschiede zwischen den Geschlechtern betont und auf die fehlende Empathie zwischen Machthabenden und ihren Untergebenen abhebt.
Tilmann Köhler findet in seiner über dreistündigen Adaption starke Bilder, wenn die zeitlos erscheinende Bühne anfangs einer Art großem, offenen Holzkubus gleicht. Die Bausteine werden jedoch regelmäßig als fahrbare Elemente verschoben und fügen sich für geänderte Raumeindrücke neu zusammen. Zu Beginn liegt auf Karoly Riszs Bühne ein Haufen von durcheinander ausgebreiteten Accessoires, Kleidern und Requisiten. Nacheinander treten Akteure auf, die sich das eine oder andere greifen, es überziehen oder umwerfen. Wie heißt es doch so schön, Kleider machen Leute (Kostümbild: Susanne Uhl). Um eine Pappkrone streiten gleich mehrere Akteure. Riccardo Ferreira legt nach dem belustigt-irritierten Blick anderer Akteure einen dunklen Ganzkörper-Fatsuit wieder ab. Sören Wunderlich tritt als letzter auf, ihm bleibt nur noch der dunkle Fatsuit.
Den verspielten Zugang zum Plot hält Köhler bis zum Schluss durch. Mindestens die Hälfte der Akteure verkörpern mehrere Figuren, die jedoch nicht immer gut unterscheidbar sind. Die Personenführung lässt insbesondere gegen Ende etwas nach, wenn bald alle Akteure hin zum Publikum blicken oder sprechen. Auf mitunter derbe Weise geht es um Politik, Macht, Herrschaftskritik und Widerstand. Vor und nach der Pause gibt es einen Dauer-Gag, bei dem ein junger Thronanwärter mit offensichtlichem Harndruck daran gehindert wird, Wasser zu lassen. Stattdessen wird er gebeten, in die Zukunft zu denken, die Hände zu reichen und in die Materie und andere Gefilde einzudringen. Ins Leere laufende Dialoge ufern im fast durchgehend zweihebigen Versmaß Palmetshofers aus. Metaphern in schwadronierenden Ausrufen lauten dann schon mal, man setze auf „Beton statt Sand“. Einige männliche Figuren zeigen mitunter, raffiniert gekleidet, viel Haut. So trägt Daniel Stock eine Art transparentes Netzstrickstoff-Hemd, das seinen muskulösen Oberkörper betont. Insgesamt eine erstaunlich freche, jedoch schlussendlich ein bisschen langatmige Vorführung mit starken Momenten und einem guten Schuss Witz und kühnem Charme.
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Sören Wunderlich als John Falstaff und Paul Michael Stiehler als Harri in Sankt Falstaff am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung
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Ansgar Skoda - 28. Oktober 2025 ID 15532
SANKT FALSTAFF (Schauspielhaus Bad Godesberg, 25.10.2025)
von Ewald Palmetshofer
Regie: Tilmann Köhler
Musikalische Leitung Schauspiel: Matthias Krieg
Bühne: Karoly Risz
Kostüme: Susanne Uhl
Video: Lars Figge
Licht: Ansgar Evers
Dramaturgie: Nadja Groß
Kampfchoreografie: Atef Vogel
Besetzung:
John Falstaff/#1 ... Sören Wunderlich
Harri/#2 … Paul Michael Stiehler
Der Quasi-König/#3 ... Wilhelm Eilers
Frau Flott/Der Vorsitz/#4 … Sophie Basse
Das Mundwerk/Franz/#5 ... Jacob Z. Eckstein
Das Hirn/Ed/#6 ... Daniel Stock
Hitzkopf/#7 ... Riccardo Ferreira
Puppe/Kate/#8 ... Imke Siebert
UA im Residenztheater München: 22. Januar 2025
Premiere war am 17. Oktober 2025.
Weitere Termine: 31.10./ 08., 13., 27.11./ 10., 20.12.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
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