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Premierenkritik

Der

geschundene

Lüstling



Ambrogio Maestri als Falstaff an der Hamburgischen Staatsoper | Foto (C) Monika Rittershaus

Bewertung:    



An einer Stelle halten Mrs. Ford, Mrs. Page, Mrs. Quickly und Nannetta ein Transparent hoch mit der Aufschrift „Fette Steuern für die Fetten“. Sie war wohl nicht der Grund für die lauten Buhs, die Calixto Bieito am Ende einstecken musste. Der einst für seine Provokationen bekannte Regisseur ist zahm geworden. Nicht Tabubrüche muss man ihm vorwerfen, sondern dass ihm zu Falstaff nichts eingefallen ist. Jedenfalls fast nichts. Eine Aufforderung zum Lutschen des Schwanzes reicht nicht (mehr) aus für einen Skandal.

Vor der Pause kreist The Boars Head auf der Bühne der Hamburger Staatsoper. Nach der Pause ist von dem Pub nur das Gerüst geblieben. Die Eiche, an der Falstaff durch Verkleidungsspuk erschreckt werden soll, ist ein Lederfauteuil mit kleinem geschmücktem Weihnachtsbaum. Der Lüstling wird geschunden, dass er einem nur leid tun kann. Beim Fugato des Schlusschors dann wird Verdis Bewegung der Musik in wohl dosierte Körperbewegungen umgesetzt. Es ist die eindringlichste Szene des Abends. Den Regisseur rettet sie nicht vor den Publikumsprotesten.

Dabei hat Falstaff seine Perücke abgenommen und in einen Suppenteller gelegt, ehe er dem Publikum klar macht, dass alles, seine grausame Kopfschur eingeschlossen, nur Spiel ist.

Die Sängerinnen und Sänger freilich, allen voran Ambrogio Maestri in der Titelrolle, für die er sich auch erscheinungsmäßig qualifiziert, und Nadezhda Karyazina als Mrs. Quickly, ernten verdienten Applaus. Die russische Mezzosopranstin besticht durch eine volle, klangschöne Stimme, eine makellose Intonation und darf im Rahmen einer zeitgenössischen Kostümkonzeption mit Lederhose, Modefrisur und roten Boxhandschuhen auch optisch reüssieren.




Falstaff an der Hamburgischen Staatsoper | Foto (C) Monika Rittershaus

Thomas Rothschild - 20. Januar 2020 (2)
ID 11945
FALSTAFF (Hamburgische Staatsoper, 19.01.2020)
Inszenierung: Calixto Bieito
Bühnenbild: Susanne Gschwender
Kostüme: Anja Rabes
Dramaturgie: Bettina Auer
Licht: Michael Bauer
Chöre: Eberhard Friedrich
Besetzung:
Falstaff ... Ambrogio Maestri
Ford ... Markus Brück
Fenton ... Oleksiy Palchykov
Dr. Cajus ... Jürgen Sacher
Bardolfo ... Daniel Kluge
Pistola ... Tigran Martirossian
Alice Ford ... Maija Kovalevska
Nannetta ... Elbenita Kajtazi
Mrs. Quickly ... Nadezhda Karyazina
Meg Page ... Ida Aldrian
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Premiere war am 18. Januar 2020.
Weitere Termine: 22., 25., 28.01. / 04., 08.02. / 25., 28.03.2020


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-hamburg.de/


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