Liebe und Ehe -
das geht nicht
zusammen
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Mathias Hausmann und Camille Schnoor in Eugen Onegin im Staatstheater am Gärtnerplatz | Foto (C) Christian POGO Zach
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Bewertung:
Wer ist Onegin? Er ist ein reicher Dandy, der gelangweilt durch die gesamte russische Literatur des 19. Jahrhundertes flaniert. Ein „überflüssiger Mensch“, der nichts Besseres zu tun hat, als in Salons zu verkehren, halbherzige Liebschaften zu unterhalten und sich zu duellieren. Letzteres führte oft zur Katastrophe. Auch bei Puschkin, der - nach vorangegangenen etwa 30 Duellen – mit 37 Jahren dabei umkam. Übrigens wegen eines Flirts seiner leichtlebigen Ehefrau.
Das Duell prägt auch Puschkins berühmten Versroman und Tschaikowskys lyrische Oper. In einer der musikalisch schönsten Passagen beklagen Lenski und Onegin dessen Sinnlosigkeit. Onegin muss sich nämlich ausgerechnet seinem eifersüchtigen Freund Lenski stellen, nur weil er Lenkis Verlobter Olga scherzhaft den Hof gemacht hatte. Zuvor hatte er die Liebeserklärung ihrer Schwester Tatjana von oben herab zurückgewiesen. Er sei für die Ehe nicht geschaffen...
Das Duell findet statt. Lenski kommt um. Onegin reist daraufhin jahrelang rastlos durch die Welt. Dann trifft er Tatjana wieder – in St. Petersburg als Ehefrau eines bedeutenden und reichen Mannes. Aus der jungen, unerfahrenen Landpomeranze ist eine weltgewandte Schönheit geworden. Nun verliebt sich Onegin. Sie aber weist ihn zurück.
Tschaikowsky hat am Libretto, das viel vom Originaltext enthält, selbst mitgearbeitet. Den Onegin kannte er auswendig, und zum Thema hatte er einen sehr persönlichen Bezug. Wegen seiner Homosexualität – sie ist noch heute in Russland verpönt – stand er zunehmend unter gesellschaftlichem Druck. Das führte zu einer katastophalen Pro-Forma-Ehe mit einer schwärmerischen Studentin, der der Komponist und Musikprofessor rasch entfloh. In dieser Zeit entstand die wunderbare Musik des Eugen Onegin. Tschaikowsky schrieb an einen Schüler: „Ich halte Ausschau nach einem intimen, aber kraftvollen Drama, das aufgebaut ist aus dem Konflikt von Umständen, den ich selbst erfahren und gesehen habe, einem Konflikt, der mich wirklich berührt.“
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Eugen Onegin ist eine lyrische Oper, ein Kammerspiel geworden. Um es in Zeiten von Corona aufführen zu können, ließ das Gärtnerplatztheater eigens eine reduzierte Orchesterfassung erstellen. Dieser schlanke "Onegin light" ist sehr gelungen. Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz - dynamisch und psychologisch einfühlsam dirigiert von Antony Bramall - präsententiert einen Klang, der nichts vermissen lässt, geradezu geschaffen scheint füe dieses Werk.
Passend dazu das einfache, sparsam möblierte Bühnenbild (Regie und Bühne: Ben Baur), ein großes portierengesäumtes Halbrund, gebaut aus riesigen Fensterläden. Sie lassen nur hin und wieder Licht (Michael Heidinger) ins Halbdunkel eines Innenraumes, dem keine der handelnden Figuren entkommt. Die Gesellschaft ist ihr Schicksal. Die Konvention trägt denn auch schwarz. Nur die junge Tatjana schwärmt in unschuldigem Weiß (Kostüme: Uta Meenen). Als Frau in Rot überstrahlt sie später eindrucksvoll alle Anwesenden.
Gesungen wurde auf russisch, in der höchst melodischen Originalsprache. Auch dies ein Verdienst dieser Inszenierung. Wie steif hätte das Deutsche gewirkt! Der Bariton Mathias Hausmann beeindruckt in der Titelrolle nicht nur durch den virilen Schmelz seiner Stimme und Gestaltung, sondern auch durch die schauspielerische Leistung der Wandlung vom arroganten Verführer zum geradezu lächerlichen Liebhaber. Großer Szenenbeifall für Camille Schnoor als Tatjana: ein dunkel gefärbter, kraftvoller Sopran voller Inbrunst und Leidenschaft. Großartig jugendlich und herrlich verdruckst: Lucian Krasnec als Lenski. Spontane Begeisterung auch für den Bass Sava Vemić, der als Ehemann Tatjanas nur einen einzigen Auftritt hat. Doch was für eine Arie!
Eine schlicht und ergreifend glänzende Aufführung. Und das unter den erschwerten Bedingungen von Corona. Bravo!
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Mathias Hausmann und Camille Schnoor in Eugen Onegin im Staatstheater am Gärtnerplatz | Foto (C) Christian POGO Zach
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Petra Herrmann - 9. Oktober 2020 ID 12518
EUGEN ONEGIN (Gärtnerplatztheater, 08.10.2020)
Musikalische Leitung: Anthony Bramall
Regie und Bühne: Ben Baur
Choreografie: Lillian Stillwell
Kostüme: Uta Meenen
Licht: Michael Heidinger
Dramaturgie: Michael Alexander Rinz
Besetzung:
Larina ... Ann-Katrin Naidu
Tatjana ... Camille Schnoor
Olga ... Anna-Katharina Tonauer
Filipjewna ... Anna Agathonos
Eugen Onegin ... Mathias Hausmann
Lenski ... Lucian Krasznec
Fürst Gremin ... Sava Vemić
Ein Hauptmann ... Martin Hausberg
Saretzki ... Timos Sirlantzis
Triquet ... Juan Carlos Falcón
Chor und Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Premiere war am 8. Oktober 2020.
Weitere Termine: 10., 15., 18., 22.10. / 01.11.2020
Weitere Infos siehe auch: https://www.gaertnerplatztheater.de/
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petra-herrmann-kunst.de
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