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Premierenkritik

Mahler

trifft

Jelinek



Das Lied von der Erde an der Staatsoper Stuttgart | Foto (C) Matthias Baus

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Einen Mangel an Fantasie bei der Bewältigung der Herausforderungen, die Corona dem Opernbetrieb stellt, kann man Viktor Schoner nicht nachsagen. Ursprünglich war Die Frau ohne Schatten von Richard Strauss geplant. Als sich herausstellte, dass sie unter den gegebenen Umständen nicht realisierbar sei, hat man umdisponiert und ein Werk gewählt, das für den Konzertsaal, nicht für die Oper gedacht ist: Das Lied von der Erde von Gustav Mahler. Das wiederum hat man, auf den ersten Blick nicht gerade naheliegend, aber thematisch begründbar, mit Elfriede Jelineks Text Die Bienenkönige verknüpft, der eigentlich, 1976, als Hörspiel bekannt wurde und zwei Jahre danach in Form einer Erzählung veröffentlicht wurde. Diesen Science-Fiction-Text über eine Welt nach der Katastrophe, den die pessimistische, bedrückende Grundhaltung mit Mahlers Zyklus verbindet, sollte laut Ankündigung Corinna Harfouch sprechen. An ihre Stelle ist nun Katja Bürkle getreten, die vor ihrer steilen Karriere in München zum Ensemble des Stuttgarter Schauspiels gehörte. Und weil die Orchesterbesetzung, die Mahler für seinen sinfonischen Liederzyklus vorschreibt, wiederum unter den aktuellen Abstandsregeln, nicht in den Graben passt, hat man sich für die von Rainer Riehn vervollständigte Bearbeitung von Arnold Schönberg entschieden, die mit einem Kammerorchester auskommt. Zugegeben: Befriedigender wäre es, wenn solche überraschenden Konstellationen das Ergebnis künstlerischer Überlegungen wären. Andererseits kann man jedoch bewundern, was unter äußeren Zwängen an Kreativität frei gesetzt wird. Machen wir uns bewusst: auch ohne eine Pandemie sind Opern- und Theaterspielpläne sowie einzelne Inszenierungen von zahlreichen Restriktionen determiniert. Claus Peymann durfte bei einem Stück von Thomas Bernhard in Salzburg die Notbeleuchtung im Saal nicht ausschalten, und Einar Schleef flehte auf den Knien um die Erlaubnis, länger spielen zu dürfen, auch wenn die Zuschauer die letzte Straßenbahn nicht mehr erreichten. Ein kleines Ensemble verlangt andere Entwürfe als ein großes, eine kleine Bühne mit geringer technischer Ausstattung andere als ein riesiger Bühnenapparat, ein knappes Budget andere als eine üppige Subvention. Schnitzlers Professor Bernhardi oder Wagners Ring des Nibelungen werden nicht deshalb vergleichsweise selten aufgeführt, weil sie schlechter wären als andere Werke, sondern weil sie von kleinen und mittleren Häusern kaum besetzt werden können. Andererseits hätte Jerzy Grotowski sein „Armes Theater“ vielleicht nie „erfunden“, wenn er nicht mit einem winzigen Raum hätte auskommen müssen. Auch Arnold Schönbergs Bearbeitungen von Orchesterwerken für die Gegebenheiten seines „Vereins für musikalische Privataufführungen“ gehören in diesen Zusammenhang.

Vor der Musik, die man sich in einem Opernhaus erhofft, also der wortreiche Monolog. Katja Bürkle spricht ihn im enigmatischen Bühnenbild von Jo Schramm mit dem gleichen ungebrochenen Naturalismus, mit dem sie die Gesten, vor allem der Arme und Hände, wählt. Irritierend ist allerdings die Auswirkung des Mikroports. Da hat man sich in den fünfziger Jahren den Kopf zerbrochen über Techniken des Raumklangs bei der Schallplatte, und im Theater müssen wir erleben, wie eine Person sich im Raum bewegt, die Räumlichkeit ihrer Stimme aber zerstört wird. Sie kommt immer aus den Boxen.

Ehe die Schauspielerin das Ende von Jelineks Text erreicht, betreten zwei Sängerinnen und zwei Sänger – Simone Schneider, Evelyn Herlitzius, Thomas Blondelle und Martin Gantner – von oben her die Bühne, sehen sich um, setzen sich und essen und trinken aus kleinen Schüsseln wie Bauarbeiter. Da ist nichts mehr naturalistisch. Die Kostüme (Claudia Irro und Bettina Werner) und das Licht lassen eher an eine Verfilmung von Tolkien oder an einen Comicstrip denken als an die heute kaum noch inspirierenden, auf chinesischen Gedichten basierenden Texte von Hans Bethge.

Das Erlebnis des Abends aber ist das reduzierte Staatsorchester Stuttgart unter der Stabführung von Cornelius Meister. Die Klangfarben von Mahlers monumentalem Werk zwischen den Genres kommen gerade in der kleinen Besetzung voll zur Geltung, die Soloinstrumente setzen Akzente wie Lokalfarben in einem Gemälde. Gerne würde man sich noch stärker auf die Musik konzentrieren. Nach einer halben Stunde fragt man sich nämlich zunehmend, was gewonnen ist, wenn die Sänger über die Bühne torkeln. Noch in dieser Woche wird an der Stuttgarter Oper Don Giovanni konzertant aufgeführt. Ob sich dafür Das Lied von der Erde nicht eher angeboten hätte?



Das Lied von der Erde an der Staatsoper Stuttgart | Foto (C) Matthias Baus

Thomas Rothschild – 28. Oktober 2020
ID 12563
DAS LIED VON DER ERDE (Staatsoper Stuttgart, 27,10.2020)
Gustav Mahler / Arnold Schönberg, Das Lied von der Erde
Elfriede Jelinek, Die Bienenkönige

Musikalische Leitung: Cornelius Meister
Regie: David Hermann
Bühne und Licht: Jo Schramm
Kostüme: Claudia Irro und Bettina Werner
Dramaturgie: Ingo Gerlach
Mit: Simone Schneider, Evelyn Herlitzius, Michael König, Thomas Blondelle und Martin Gantner sowie Katja Bürkle
Mitglieder des Staatsorchesters Stuttgart
Premiere war am 27. Oktober 2020.
Weitere Termine: 29.10. / 07., 14.11.2020


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-stuttgart.de


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