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nachDRUCK # 5

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Premierenkritik

Gay in U.S.



Foto (C) Daniel Nartschick

Bewertung:    



Der US-amerikanische Schriftsteller und Drehbuchautor Tony Kushner (62) tat in 1991/92 einen großartigen Bühnen-Zweiteiler unter dem Logo Angels in Amercia erdichten und ihn zielweisend als "schwule Variationen über gesellschaftliche Themen" [lt. der deutschen Fassung von Frank Heibert] untertiteln. Für den deutschsprachigen Raum wurden die beiden Stücke 1993, 1995 erstgespielt; Zürich begann mit Die Jahrtausendwende naht, und Wien folgte mit Perestroika. Homosexualität und Aids waren das Hauptthema der ambitionierten als wie überbordenden Theater-Epopöe, aus dem sich nach und nach das Übrige an Handlung(en) ergab. Es galt das unter Schwulen zu der Zeit pandemisch sich verbreitende und meistens tödlich abverlaufende Immunschwächesyndrom rund um die auslaufende Reagan-Ära zu "verarbeiten" und die gesellschaftlichen Phänomene, die dann mit und aus ihr liefen, als so eine Art poetische Bestandsaufnahme zu bewältigen. Das schien dem Kushner auf schier wundersame Weise zu gelingen; der Erfolg des Stückes (insbesondere im Herkunftsland) spricht Bände...

In Europa wollte man(n) nunmehr mit einer zweistündigen Oper, welche Péter Eötvös auf der Grundlage eines das Stück enorm verdichtet habenden Librettos komponierte, an den Broadway-Klassiker erfolgreich anknüpfen. Es funktionierte, irgendwie. Zwar wurde Angels in America seit seiner Uraufführung in Paris 2004 bisher "nur" 4 mal hierzulande (Hamburg, Frankfurt, Münster, Freiburg) nachgespielt - aber jetzt hat es wenigstens (und endlich!) auch die Hauptstadt wuchtmäßig erreicht; und wie es durch die UdK Berlin in einer sich wohl sehen und hören lassen könnenden Großproduktion gestemmt wurde, nötigt Respekt ab!! (Eötvös war im Übrigen persönlich zur Premiere anwesend!)

*

A. in A. ist:


"Die Geschichte von Prior, der schwerkrank von seinem Freund Louis verlassen wird. Mit den Engeln dennoch wütend und verzweifelt um sein Leben schachert.

Die Geschichte von Louis, der Prior in größter Not im Stich lässt. Dem Schatten seiner Schuld dann nicht entfliehen kann.

Die Geschichte von Harper, die ihre Angst und frustrierte Liebe zu ihrem Ehemann Joe in Valium und Halluzinationen ertränkt.

Die Geschichte von Joe, der krampfhaft versucht, nicht schwul und Harper ein guter Ehemann zu sein, bis er verzweifelt alle Ketten sprengt.

Und von Roy Cohn, schwuler Schwulenhasser und skrupelloser Anwalt an der Seite McCarthys im New York der 80er Jahre, Mentor Donald Trumps. Verleugnet sich selbst sogar noch während er an AIDS verreckt.

Sie alle werden heimgesucht von Dämonen der Schuld und Todesangst, Engeln der Hoffnung, Visionen eines Lebens am anderen Ende der Welt, Antarktika, Utopia, Atlantis, da, wo die Gefühle gefrieren und man darum weder traurig noch blind vor Angst sein kann.

Über allem schwebt das Ende, der Tanz auf dem Vulkan, das Leben in einer von Fortschritt, Krankheit und menschlichem Ehrgeiz zerstörten, verlorenen, von Gott verlassenen Welt, die sich selbst retten müsste und es doch nicht vermag. Die Engel prophezeien ganz nebenbei den Reaktorunfall von Tschernobyl, die Apokalypse.

Trotzdem. Der todgeweihte Prior kämpft um sein Leben: 'Bless me anyway'."


(Quelle: UdK Berlin)



* *

Eötvös imitierte Broadwaysound, indem er sämtliche ProtagonistInnen mit Mikrofonverstärkern singen lässt. Das klassisch aufgestellte Symphonieorchester der Universität der Künste Berlin (Dirigent: Christian Schumann) musiziert mit aufgestockt-ergänzendem Instrumentarium: Saxophon, Gitarre, E-Gitarre, Schlagzeug, Hammondorgel; teilweise auch hier (wahrscheinlich) mikrofonverstärkt. Der Ton-Weg zwischen Graben und Bühne also zwischen unten und oben erfolgt "barrierefrei" und ist, vom Klang her, hochvorzüglich austariert.

Die jeweiligen Szenen mit und zwischen den Beteiligten der nebenher laufenden Handlungen erfolgen Schlag auf Schlag, mitunter gibt es Parallelgeschehnisse; sie werden simultan verabreicht, A. i. A. wirkt durchkomponiert; wahrscheinlich ist's auch so.

Die Ausstattung von Iris Christidi und Sophie Peters (Bühne und Kostüme) ist spektakulär!! Vor einer Riesen-Erdscheibe im Hintergrund (worauf sehr artifizielle Videos von Rodrigo Velasco Sachnes und Kazik Pagoda abwechselnd zu sehen sind) prangt ein sehr klobig hingeprotztes Treppen-Ungetüm, an dessen "Wänden" und zu dessen "Füßen" Platz für Ortswechsel besteht; natürlich kann sich Xenia Cumento (= The Angel) auf den Stufen überirdisch laszivierend räkeln und bewegen und somit den divengleichen Superglitzerfummel, worein sie gezwängt ist, präsentieren. Allein dieser Auftritt sprach für die regielich investierte Ironie und den - trotz aller Teiltragik im Stück - dosiert verwendeten Humor Isabel Hindersins, die für die Inszenierung sorgte.

Sämtliche Ausführende (einschl. Vokalensemble) spielen/singen so, dass sie wohl glatt von zufälliger Weise anwesenden Mittelsleuten in Engagements an Staatsopern hinweggeholt sein sollten; absolutes Top-Niveau!!! Genannt sein müssen diesbezüglich: Benjamin Popson (= Prior Walter), Devi Suriani (= Harper Pitt & Ethel Rosenberg), Benjamin de Wilde (= Joseph Pitt), Alexander Fedorov (= Louis Ironson), Eduardo Rojas (= Belize, Mr. Lies, Bronx Woman), Daniel Nicholson (= Roy Cohn) als wie Verena Tönjes (= Hannah Pitt, Rabbi Chemelwitz, Henry). Sensationeller "Nachwuchs". Hoffnung auf der ganzen Linie.

Und ausflippende Begeisterung!!!!!



Angels in America mit Benjamin Popson als Prior Walter (im Rollstuhl) im UNI.T der Universität der Künste Berlin | Foto (C) Jacintha Nolte

Andre Sokolowski - 29. Juni 2019
ID 11533
ANGELS IN AMERICA (UNI.T, 27.06.2019)
Musikalische Leitung: Christian Schumann
Regie: Isabel Hindersin
Bühne: Iris Christidi
Kostüme: Sophie Peters
Video: Rodrigo Velasco Sanches und Kazik Pogoda
Besetzung:
The Angel ... Xenia Cumento
Harper, Pitt, Ethel Rosenberg ... Devi Suriani
Hannah Pitt, Rabbi Chemelwitz, Henry ... Verena Tönjes
Joseph Pitt ... Benjamin de Wilde
Prior Walter ... Benjamin Popson
Louis Ironson ... Alexander Fedorov
Belize, Mr Lies, Bronx Woman ... Eduardo Rojas
Roy Cohn ... Daniel Nicholson
Vokalensemble mit Johannes Blank, Kateryna Chekhova,
Pablo Helmbold und Aurora Marthens (Teil 1) sowie Marlene Metzger, Kamila Maria de Pasquale und Stanislav Prunskij (Teil 2)
Symphonieorchester der Universität der Künste Berlin
Berliner Erstaufführung war am 27. Juni 2019.
Weitere Termine: 29.-30.06.2019
Eine Produktion des Studiengangs Gesang/Musiktheater in Kooperation mit dem Symphonieorchester der UdK Berlin und den Studiengängen Kostümbild und Bühnenbild

Weitere Infos siehe auch: https://www.udk-berlin.de


http://www.andre-sokolowski.de

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