Münchner Philharmoniker
Valery Gergiev
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Bewertung:
Bernd Alois Zimmermann hat seine Werke immer in einem größeren Zusammenhang gesehen. Es ging um nichts weniger als um die Grundfragen des Menschseins und um das Leiden und die Vergeblichkeit der Mühe des Einzelnen. In seinem letzten Werk Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne, (von ihm als Ekklesiastische Aktion bezeichnet) verbindet er Texte aus der Bibel vom Prediger Salomon und aus der Erzählung Der Großinquisitor von Dostojewski. Aus der Gegensätzlichkeit dieser Texte - auf der einen Seite die Unerschrockenheit des Predigers, auf der anderen Seite eine Art negative Bilanz der römisch-katholischen Kirchengeschichte – schöpft Zimmermann seine musikalischen Mittel. Nachdenkliche, fast elegische Aktionen der Blechbläser werden jäh von ekstatischen Tuttis des Orchesterapparates unterbrochen. Wenn man ein Bild verwenden müsste, würden einem die avantgardistischen Architekturen der russischen Moderne wie zum Beispiel von Melnikov einfallen: zuckende, jeglicher Konvention entzogene Strukturen und bisher nicht dagewesene Zusammenhänge. Eine E-Gitarre grätscht dazwischen und attackiert den historischen Bass. Fünf Schlagwerke schillern unter den schroffen Streicherkaskaden. Die Musik ist sehr narrativ und unterstützt die beiden Sprecher und den Bassisten. Michael Rotschopf und Josef Bierbichler skandieren nahezu autark ihre Botschaften. Georg Nigl verdoppelt den Text und bricht in emotionalen Aktionen mit reinen Lauten die gesprochenen Worte. Valery Gergiev hat die Münchner Philharmoniker gut präpariert. Drei Posaunen sind im Saal verteilt und erzeugen einen wunderbaren Raumklang. Wunderbar, welche schroffen Aktionen er aus den sonst so weich klingenden Streichern herauskitzelt, besonders die Bässe überraschen mit abstrakten Aktionen. Chapeau!
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Aber was soll man nach solch einem Giganten spielen? Man hat sich für Anton Bruckners 9. Sinfonie entschieden, dramaturgisch wird das damit begründet, dass beide Werke musikalische Vermächtnisse der Komponisten sind. Bruckner hat den letzten Satz vor seinem Tod gar nicht mehr geschafft, und Zimmermann hat die Uraufführung nicht mehr erleben können, weil er sich das Leben genommen hat. Musiktheoretisch mag das interessant sein, doch ästhetisch funktioniert das nicht. So müssen sich die Münchner Philharmoniker im 1. Satz von Bruckner auch erstmal sammeln und auf diese komplementäre Klangwelt und Philosophie einstellen. Im 2. Satz mit der Dynamik der Musik kommt mehr Sicherheit in das Spiel, und nun musizieren die Münchner transparent und präzise, wie man es von diesem Orchester gewöhnt ist. Aber es bleibt bis zum Schluss ein Gefühl von Ermüdung: wo man sich sonst an der Intelligenz der Brucknerschen Kompositionen freut, stellt sich heute eine Art Langeweile ein, wenn man den schier endlosen Entwicklungen und Wiederholungen lauscht. Das mag eine ganz persönliche Sicht sein, denn natürlich ist die Begeisterung nach der über 60 Minuten dauernden Sinfonie im Saal riesengroß.
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Valery Gergiev und die Münchner Philharmoniker | (C) Kai Bienert
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Steffen Kühn - 8. September 2018 ID 10898
MUSIKFEST BERLIN (Philharmonie Berlin, 07.09.2018)
Bernd Alois Zimmermann: Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne, Ekklesiastische Aktion für zwei Sprecher, Bass solo und Orchester
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 9 d-Moll (Fassung 1894, Edition Leopold Nowak)
Michael Rotschopf und Josef Bierbichler, Sprecher
Georg Nigl, Bass
Münchner Philharmoniker
Dirigent: Valery Gergiev
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinerfestspiele.de
Post an Steffen Kühn
http://www.hofklang.de
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