Glamour der
Femme Fatale
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Chicago an der Oper Bonn | Foto © Thilo Beu
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Bewertung:
Wie heißt es doch so schön: Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse kommen überall hin! Im Musical Chicago haben brav-biedere Frauenfiguren keine Chance. Im Haupthandlungsort – dem Frauentrakt eines Gefängnisses – agieren sie skrupellos, habgierig, gerissen. Und harte und rücksichtslose Täterinnen bieten auch im Scheinwerferlicht eine herrliche Projektionsfläche. Zu lasziven Jazz singen sie über ihre ruchlosen Verbrechen. Ehemänner erblassten und darbten dahin. In der Metropole Chicago regen die Verbrecherinnen zu Phantasien an. Sie erlangen gar öffentlichen Ruhm.
Das Musical kam 1975 am Broadway zur Uraufführung. Die gleichnamige Verfilmung von 2002 wurde mit ganzen sechs Oscars prämiert. Gil Mehmert inszeniert die zynische Geschichte über Verbrechen, mit denen man Bekanntheit erlangt, an der Oper Bonn pointiert und höchst unterhaltsam. Auch die Eitelkeiten und Skrupellosigkeit im Showbiz werden effektvoll vorgeführt.
Die Nachtclubsängerin Roxie Hart erschießt ihren Geliebten, weil er ihr gute Beziehungen im Showbiz nur vorgegaukelt hat. Im Gefängnis Cook County Jail begegnet Roxie Velma Kelly, eine bekannte Sängerin und ebenfalls Mörderin. Den Frauenblock des Gefängnisses betreut Mama Morton, die gegen gute Bezahlung sehr viel für ihre Schützlinge tut. Alle drei Frauen taxieren einander und überlegen, ob sich Freundschaftsdienste im Knast lohnen könnten.
Jens Kilians durchstehendes und funktionales Bühnenbild deutet im Hintergrund eine Skyline mit Hochhäusern an. In der Mitte befindet sich eine Drehbühne mit Showtreppe. Rechts und links davon ist eine Live-Band im Halbkreis auf mehreren Ebenen postiert. Die dreizehnköpfige Jazzband ist rhythmisch und szenisch hervorragend auf die Tänzer abgestimmt, die in effektvollen Choreografien von Jonathan Huor agieren. Ausgewählte Requisiten markieren Ortswechsel. Die Produktion wird mit dem Hit „All that Jazz“ stilvoll eröffnet. Bettina Mönch trägt als Velma Kelly den Gassenhauer nuanciert vor, während sie senkrecht vom Bühnenhimmel herabgelassen wird – auf einem dunklen Doppelbett. Später dient ein im Boden eingelassenes überdimensioniertes und hochklappbares Paragraphenzeichen als Anklagebank respektive Hinrichtungsort. Falk Bauers Kostüme erinnern an die Mode der 20er Jahre.
Elisabeth Hübert kann sich als Roxie Hart neben Bettina Mönchs ausdrucksstarker Velma Kelly behaupten. Sie mimt voller Verve ein kühles „Blondchen“ lebhaft zwischen Naivität und Gerissenheit. Als Gefängnisaufseherin Mamma Morton besticht Dionne Wudu mit Sexappeal und stimmlich forciert. Anton Zetterholm verkörpert den jungen, schmierigen und arroganten Staranwalt Billy Flynn schauspielerisch und gesanglich zum Niederknien. Flynn weiß, wie man Täterinnen vor der Jury in das rechte Licht setzt, um mildernde Strafen oder Freisprüche geltend zu machen. Auch Enrico De Pieri dürfte als Amos Hart in Erinnerung bleiben. Noch von Roxie als „Schussel Dussel Mann“ besungen, hat er als Versagertyp und liebender Durchschnittsehemann am Ende alle Sympathien auf seiner Seite. Er punktet mit seinem leisen Pantomime Auftritt als trauriger Clown in „Mister Zellophan“. Hier bedauert er, dass ihn niemand zur Kenntnis nimmt – ein gelungener Kontrapunkt der eher lauten und temporeichen Vorführung. Auch Countertenor Victor Petersen überrascht als affektierte Klatschreporterin. Die Vorlage des Musicals beruht ja realhistorisch auf Aufzeichnungen einer Gerichtsreporterin, Maurice Dallas Watkins, die 1924 über zwei Mordfälle schrieb.
Die kurzweilige Show-Revue beleuchtet zynisch und satirisch den Umgang mit Verbrechen in Chicago; hier als ein Hotspot des Kapitalismus gezeichnet. Anders als in Kontinentaleuropa spielen im amerikanischen Justizsystem Schöffengerichte im Strafrechtsverfahren eine große Rolle. Daher ist der mündliche Vortrag von Anwälten, wie hier Billy Flynn, vergleichsweise emotional. Es wird versucht auf die Schöffen, die keine Berufsrichter sind, Einfluss zu nehmen. Diese Show-Elemente macht sich das Musical zu nutze.
Die Szenen wechselten so rasch, dass für atmosphärische Tiefe – etwa für die Szenen im Frauengefängnis oder die Kriminalität Chicagos – selten genug Raum ist. Nichtsdestotrotz bietet die Vorführung auch musikalisch unter der Leitung des Dirigenten Jürgen Grimm Unterhaltung auf höchstem Niveau.
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Elisabeth Hübert als Roxie umgeben von Tänzern in Chicago an der Oper Bonn | Foto © Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 7. Oktober 2021 ID 13192
CHICAGO (Oper Bonn, 03.10.2021)
Musikalische Leitung: Jürgen Grimm
Inszenierung: Gil Mehmert
Bühne: Jens Kilian
Kostüme: Falk Bauer
Choreografie: Jonathan Huor
Besetzung:
Velma Kelly … Bettina Mönch
Roxie Hart … Elisabeth Hübert
Mamma Morton … Dionne Wudu
Billy Flynn … Anton Zetterholm
Amos Hart … Enrico de Pieri
Mary Sunshine … V. Peterse
u.a.
Premiere war am 29. August 2021.
Weitere Termine: 14., 23.10./ 1.11.2021
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
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