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GAECHINGER CANTOREY im Forum am Schlosspark, Ludwigsburg
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Nur noch deutlich weniger als 20 Prozent der deutschen Christen besuchen regelmäßig den Gottesdienst. Selbst zu Ostern sind es gerade knapp 30 Prozent. In den Konzertsälen aber wird beharrlich am Kirchenjahr festgehalten. Die Leitkultur wird nicht befolgt, sondern von säkularen Institutionen in vorauseilendem Gehorsam und im Sinne einer Minderheit konstituiert. Die Passionen werden zu Ostern aufgeführt, als ließe sich schöne Musik nicht ebenso gut im Oktober oder im November hören wie die Frühlingssinfonie oder die Winterreise.
Nicht ganz so konservativ wie jene Programmgestalter, denen zu „Weihnachten“ nur Weihnachtsoratorium und zu „Kindern“ nur Peter und der Wolf oder Der Karneval der Tiere einfällt, ist einer der bekanntesten Chöre Süddeutschlands, die Gächinger Kantorei. Seit drei Jahren nennt sich das von Helmuth Rilling gegründete und fast 60 Jahre lang geleitete Vokalensemble zusammen mit dem Barockorchester der Internationalen Bachakademie Stuttgart Gaechinger Cantorey. Das kommt einer Revolution nahe, zumal es den Chor, der so heißt, gar nicht gibt. Er wird vielmehr stets neu zusammengestellt. Konstant ist nur sein guter Ruf. Der Name ist eine Fiktion wie „Wiener Philharmoniker“ oder „Berliner Philharmoniker“, als hätten die so benannten Klangkörper noch etwas mit den Orchestern von Arturo Toscanini oder Wilhelm Furtwängler zu tun. Das hieße ja, dass die einzelnen Musiker keine individuellen Künstler, sondern reproduzierbare Automaten, Instrumentalistenklone und die Dirigenten, ob Bruno Walter oder Karl Böhm, ob Herbert von Karajan oder Simon Rattle, ihre Dompteure wären.
Helmuth Rillings Nachfolger heißt Hans-Christoph Rademann, und es blieb ihm, da „vom Eise befreit sind Strom und Bäche“, vorbehalten, im Ludwigsburger Forum am Schlosspark mit Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion in der vierten Fassung von 1749 die Eröffnung der Ostersaison zu verkünden. Der Chor besteht aus sieben Sopranen, sechs Altos – unter ihnen, eher ungewöhnlich, ein Mann –, sowie je sechs Tenören und Bässen. Er ist mit dem Orchester klanglich hervorragend abgestimmt. Die Zusammenführung der beiden Ensembles in der Gaechinger Cantorey hat sich gelohnt. Die Vokalsolisten im nahezu vollen Saal des Forums waren Dorothee Mields (Sopran), Anke Vondung (Alt), die für die erkrankte Wiebke Lehmkuhl eingesprungen ist, der Tenor Nicholas Mulroy als Evangelist und die Bässe Peter Harvey als Christus und Matthias Winckhler als Pilatus. Eindrucksvoll arbeitet Rademann das Zusammenspiel von Gesang mit einzelnen Instrumenten, Instrumentengruppen und dem ganzen Orchester heraus. Auch den vor allem durch die Chöre evozierten dramatischen Charakter der Johannes-Passion unterschlägt er nicht. Mit guten Gründen hat Peter Sellars sie vor ein paar Jahren szenisch umgesetzt.
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Gaechinger Cantorey | Foto (C) Holger Schneider
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Thomas Rothschild – 22. März 2019 ID 11296
GAECHINGER CANTOREY (Forum am Schlosspark Ludwigsburg, 21.03.2019)
Johannespassion von J.S. Bach
Dorothee Mields, Sopran
Anke Vondung, Alt
Nicholas Mulroy (Evangelist), Tenor
Peter Harvey (Christus), Bass
Matthias Winckhler (Pilatus), Bass
Gaechinger Cantorey
Dirigent: Hans-Christoph Rademann
Weitere Infos siehe auch: https://www.bachakademie.de/de/gaechinger-cantorey.html
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