Sylvain
Cambreling
verabschiedete sich vom Staatsorchester Stuttgart
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Foto (C) Marco Borggreve
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Der Austromarxismus und das Rote Wien, auf die die internationale Arbeiterbewegung einst stolz war, sind vergessen und spurlos verschwunden. Die österreichische Sozialdemokratie hielt bei den jüngsten Nationalratswahlen bei kümmerlichen knapp 27 Prozent der abgegebenen Stimmen. Geblieben ist der Hauptstrom, der von Lueger und Schönerer über Dollfuß und den Nationalsozialismus in die Gegenwart führt. Wer Österreich begreifen will, sollte die viel zu wenig beachtete Rede lesen, die der Komponist Georg Friedrich Haas vor knapp einem Jahr zum 50. Geburtstag des Steirischen Herbstes hielt. Darin heißt es unter anderem:
"Mein Vater war einer von jenen Hunderttausenden, vielleicht sogar Millionen von Österreichern und Österreicherinnen, die auch nach 1945 im Weltbild der Nazis verblieben sind. Er verstand den 8. Mai 1945 als Tag der Niederlage – er nannte es den 'Zusammenbruch'. Er empfand die Politiker der 2. Republik als Kollaborateure mit den sogenannten 'Siegermächten'. Er warf dem Verbotsgesetz vor, ihm in undemokratischer Weise das Recht auf freie Meinungsäußerung zu verweigern. Er war stolz darauf, 'trotz allem' seiner sogenannten 'Gesinnung' treu geblieben zu sein. Er fühlte sich bis an sein Lebensende an den Eid gebunden, den er 1942 als Soldat der Wehrmacht für 'den Führer' - geleistet hatte. (Den Namen Adolf Hitler sprach er nie aus.)
Die Illegalität war er gewohnt – schon vor 1938 war er Mitglied der damals verbotenen Hitlerjugend in Wien gewesen. Deren Techniken lauteten: erst Provozieren, dann Verstecken, zuletzt alles Ableugnen.
Die Geschichte des Nationalsozialismus in Österreich nach 1948 muss erst geschrieben werden. Die historische Forschung wird sich dazu neuer Methoden bedienen müssen, denn diese Geschichte ist schriftlos. Schriftlos wie Steinzeit.
Als die ehemaligen Mitglieder der NSDAP das Wahlrecht zurückbekamen, setzte ein Wettrennen um deren Stimmen ein. In einigen Bundesländern entschied der Ausgang dieses Rennens über die Machtverhältnisse – in Kärnten und im Burgenland gewann die SPÖ, in der Steiermark, in Oberösterreich und in Salzburg die ÖVP.
Man bot den Nazis Jobs an – im öffentlichen im halböffentlichen Bereich. Falls nötig, schaffte man einen neuen Dienstposten.
Sie waren wieder da. Und sie gingen so weit, wie man sie gehen ließ. Innerhalb weniger Jahre unterwanderten sie weite Teile des öffentlichen Lebens. Geheim. Oder – besser gesagt: halböffentlich.
Das Verbotsgesetz hatte versagt. Österreich hätte ein Überwachungsstaat werden müssen, um alle die ständigen Verletzungen dieses Gesetzes ahnden zu können. Wäre mein Vater jedes Mal, wenn er im Familienkreis das Verbrechen der Wiederbetätigung ausübte, zu einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt worden, hätte sich das insgesamt auf ein paar mal 10.000 Jahre summiert. Ich bin davon überzeugt: In diesem Raum sitzen mindestens 70 Personen, deren Eltern oder Großeltern da auf eine vergleichbare Summe gekommen wären – vielleicht sogar sie selber.
Der Staat hatte sich gegenüber den Nazis als machtlos erwiesen."
(Quelle: steirischerbst.at)
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Jetzt hat sich Sylvain Cambreling, der Generalmusikdirektor der Stuttgarter Oper in der Intendanz Jossi Wieler, der zusammen mit diesem zum Ende der Spielzeit das Haus verlässt, mit einem Konzert von seinem Stuttgarter Publikum verabschiedet, das kennzeichnend ist fur seine Ablehnung jeglicher Anbiederei und für die Ernsthaftigkeit seiner Arbeit, die ihn wiederum mit dem Intendanten und dessen Dramaturgie- und Regiekompagnon Sergio Morabito verbindet wie zuvor mit Gerard Mortier, aber auch mit Michael Gielen, dessen Nachfolger er - nach einem Zwischenspiel von Gary Bertini - an der Frankfurter Oper und dann beim SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg war.
Für sein Abschiedskonzert wählte Cambreling ein bislang nur in Japan aufgeführtes Violinkonzert des zitierten Georg Friedrich Haas und Anton Bruckners 7. Sinfonie, die er unter dem etwas willkürlichen Titel „Freiheit und Hoffnung“ zusammenfasste. „Ausbruch und Einkehr“ oder „Konzentration und Fülle“ wären als Motto nicht weniger einsichtig gewesen. Das Violinkonzert von Haas, dessen mikrotonale Kompositionen der Richtung der Spektralmusik zugerechnet werden, virtuos gespielt von Miranda Cuckson, enthält zwar ein paar gewittrige Passagen, insgesamt aber wirkt es hell und durchsichtig. Verglichen mit Toshio Hosokawas Erdbeben. Träume zu einem düsteren Libretto von Marcel Beyer auf der Grundlage einer der berühmtesten Novellen der deutschen Literatur, von Heinrich von Kleists Das Erdbeben in Chili (das eine Woche zuvor, ebenfalls unter der Stabführung von Sylvain Cambreling und in der Regie von Jossi Wieler und Sergio Morabito, an der Oper Stuttgart uraufgeführt wurde), weist das Violinkonzert subtile Bewegung auf, die für Spannung sorgt. Es lässt viel Raum für solistische Crescendi, für Reibungen zwischen der Solovioline und den Streichern im Orchester, sowie für Interventionen der Blechbläser, die bestätigen, welch ein vorzüglicher Klangkörper das Staatsorchester Stuttgart ist. Er kann sich erhobenen Hauptes neben dem viel gelobten Chor hören lassen.
Nach der Pause dann – Bruckners Siebte, dicht, machtvoll, auch pathetisch, aber frei von auftrumpfender Selbstdarstellung. Der dritte Satz leistet Richard Wagners Walküren Konkurrenz, und im kurzen vierten Satz zerstreut Cambreling alle Zweifel, ob Bruckner der Romantik zuzurechnen sei. Ein anspruchsvoller, würdiger Abschied.
Wie sagte Georg Friedrich Haas in seiner Grazer Rede: „Ja, Kunst kann missbraucht werden. Die Nazis haben Wagner, Bruckner und Beethoven für ihre Zwecke benutzt. Kunst kann aber auch der archimedische Punkt sein, an dem die Welt der Inhumanität aus ihren Angeln gehoben wird."
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Bildquelle: oper-stuttgart.de
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Thomas Rothschild - 9. Juli 2018 ID 10795
STAATSORCHESTER STUTTGART (Liederhalle Stuttgart, 08.07.2018)
Georg Friedrich Haas: 2. Konzert für Violine und Orchester
Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 7 E-Dur
Miranda Cuckson, Violine
Staatsorchester Stuttgart
Dirigent: Sylvain Cambreling
Weitere Infos siehe auch: https://www.oper-stuttgart.de/konzert/
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