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Musik-Feuilleton

Berlioz-Konzerte

vor und nach

dem Brand der

Philharmonie

Berlin am

20. Mai 2008



Hector Berlioz (1803-1869) | Bildquelle: Wikipedia

REQUIEM op. 5

Wenn Sie als Staatsminister oder General oder was Ähnlichem gelebt oder gewirkt hätten, würden Sie sich dann - falls Sie "staatsaktiger" Weise in Ihr Grab getragen werden hätten müssten - eine Totenmesse exerzieren lassen wollen, die in etwa so, von ihren Instrumenten/Stimmen her, besetzt gewesen wäre: 12 Hörner, 16 Pauken, 4 Tam-Tams... 180 Instrumente für das sog. Hauptorchester; 38 Blechbläser für Fernorchester; 80 Soprane, 60 Tenöre, 70 Bässe für den Chor... summa summarum 400 (!) spielende/singende Akteure - - geben Sie es zu! Die Eitelkeit in Ihnen würde triumphieren: Ja, was sonst. / Berlioz' Grand Messe des Morts ist ein an immanenter Hohlheit nicht zu überbietendes Gewaltexempel. Eine bloße Auftragsarbeit. Eine außerordentliche Staatsaktion. Ein Megastück voll affektierter Wucht. Ein fast schon seelenloses Prahleropus, wenn man seine leisen (Flüster-)Stellen ignoriert... // Marek Janowski schien in jüngster Zeit der Einzige bisher zu sein, der diesem Machwerk seinen adäquaten Rahmen bot; vor ein paar Jahren führte er es im Berliner Dom auf, und er scheute sich in keinster Weise, die Besetzungsmaßstäbe Berlioz' tat-tätlich umzusetzen, und der Hörer kriegte schon dann eine Gänsehaut, wie überhaupt es schwerlich möglich ist, sich "Kirchenklängen" (Sakralbau & Nachhall), zu entziehen. Anders ausgedrückt: Berlioz' Grand Messe des Morts passt ganz und gar nicht in die Sinfoniesäle der Welt, und wenn sie noch so klangberühmt sind! /// Donald Runnicles brachte es - trotz der Mitwirkung des schier perfekt singenden Riesenchores aus Atlanta (200 Choristen!!!) - über einen Abgespieltheitsstatus nicht hinaus. Ernüchternd.


TE DEUM op. 22

Erdanziehungskräftiger lässt sich ein Un-Glaubensbekenntnis, aus der Feder eines eingestandenen (katholischen) Agnostikers, nicht fassen als wie dieses: "Diese Religion ist sehr liebenswert, seit sie niemanden mehr verbrennt, und machte mich ganze sieben Jahre glücklich; und obwohl wir seit längerem auseinander sind, habe ich mir doch immer noch eine zärtliche Erinnerung an sie bewahrt." (Berlioz, Memoiren) - und so komponierte er Te Deum 1848/49 (!), uraufführte es sechs Jahre später in der Kirche St. Eustache; zu dieser Zeit eröffnete gerade die Pariser Weltausstellung; 900 Mitwirkende wären es gewesen... / Claudio Abbado, der in jedem Mai ans Chefpult der Berliner Pilharmoniker für drei Konzerte seiner Wahl zurückkehrt, sollte sich nun dieses Mal mit einem einzigen zufrieden geben - schockbedingt! denn der Scharoun-Bau musste, brandheitshalber, zugeschlossen werden; kurzerhand trafen sich alle Ausführenden in der Waldbühne. Und ca. 17.000 zuhörende Mitgenießer (mehr als doppelt so viel wie für die drei Saalkonzerte inkl. Generalprobe veranschlagt warn) erlebten eine freiluftige Lobpreisung der glückvoll-schönsten Art. Ein Hohefest des Chorgesanges, auch. Präzis-paradehafter Taktschlag, alle Chöre wie aus einem Guss, kein Breien, keine Ausreiß- oder Schleppattacken... vom Logistischen her sowieso dann eine Meisterleistung: rechts und links, weit außen, die zwei Kinderchor-Blöcke (400 Kinder!), in der Mitte, breit als Rückfront sichtbar, die zwei Rundfunkchöre aus Berlin und München; unvergessliche Zusammespiele!! // Nachtigallgesänge mischten sich, von weiter hinten kommend, ins Te Deum ein, zum Weinen nah...


LA MORT DE CLÉOPATRE / SYMPHONIE FANTASTIQUE op. 14

Bei Wikipedia, diesem unverbindlichsten der Onlinelexika, ist sage und schreibe von 9 (!) Kleopatra's die Rede. Die siebte unter ihnen wäre wortwörtlich "als letzte Königin des ägyptischen Ptolemäerreiches auch der letzte weibliche Pharao. Von den Herrscherinen gleichen Namens ist sie die bekannteste". Und selbstverständlich ist dann auch ihre Geschichte so am spannendsten zu lesen; Julius Cäsar, Marcus Antonius und Kaiser Augustus waren die drei Herren, die in ihrem Leben eine Rolle spielten. Legendär ist ihre suizide Selbstverabschiedung; in einem nicht sehr oft gebrachten Shakespeare-Stück geht es darum... aber auch andere (am populärsten wohl das bunte Breitwandfilmchen mit Liz Taylor) hatten Ehrgeize, sich mit Cléopâtre im Künstlerischen zu beschäftigen. So auch Berlioz, der in der Jugend ein sehr schönes Monodram über die letzten Stunden dieser Dame komponierte. Diese Scène lyrique war der erste der zwei markerschütternden Programmpunkte, deren sich die Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle in dem dritten der Konzertreihen mit Werken Hector Berlioz' - im Hangar 2 des Tempelhofer Flughafens - gewidmet haben wollten. Und sie luden sich, für den Gesangspart, Susan Graham ein - und die trat auf, als wäre sie, und nicht nur stimmlich, eine Pharaonin selbst... schier unvergesslich auch, wie sie den letzten Atemzug aus sich zu hauchen sängerisch vermochte, eine Art Finalorgasmus. / Nach der Pause Berlioz' Blocksbergstreich, die Épisode de la vie d'un Artiste - sein bestes Stück!! Und wieder dieses Riesenaufgebot an Instrumenten; mit 6 Harfen auch, zum Beispiel. // Was bei Rattles Sicht der Dinge auffällig, und so noch nie gesehen, zu beobachten gewesen war, dass er die Steigerungen, nicht nur Satz für Satz, sondern auch "innen drinnen", als organische Entwicklung nimmt; so ist er, selbst elektrisiert von diesem Stück wie'n Trafohäuschen, dennoch nur an einigen und sehr markanten Stellen, äußerlich präsent; er lässt mitunter den gesamten Bläsertrakt (4.und 5. Satz) alleine spielen, während er sich zeitgleich auf die Streicher wirft, um ihnen die abruptesten Verhärtungen zum Blech, korrespondentisch, einzubläuen. Das erzeugt im Ganzen eine widerborstige und aufgeheizte Atmosphäre, dass man meinte, stellenweise selber in 'nem Hexenkessel eingetunkt zu werden. /// Mut zum Hässlichen, zum Ordinären sollte sich als Hauptmerkmal dieser bemerkenswerten Interpretation erweisen.

Von den drei Berlioz-Blöcken war dieser hier der einprägsamste und zugleich durchdachtetste! Grandios.


Andre Sokolowski - 30. Mai 2008
ID 3853


BERLINER PHILHARMONIKER mit Werken von Hector Berlioz

15. Mai 2008, Philharmonie:
REQUIEM
Atlanta Symphony Orchestra Chorus
(Choreinstudierung: Norman Mackenzie)
Joseph Kaiser, Tenor
Dirigent: Donald Runnicles


24. Mai 2008, Waldbühne:
TE DEUM
Chor des Bayerischen Rundfunks
(Choreinstudierung: Robert Blank)
Knaben des Staats- und Domchors Berlin
Rundfunk-Kinderchor Berlin
Berliner Mädchenchor
Mädchenchor der Sing-Akademie zu Berlin
sowie weitere Kinderchöre
(Kinderchoreinstudierung: Kai-Uwe Jirka)
Marius Brenciu, Tenor
Iveta Apkalna, Orgel
Dirigent: Claudio Abbado


29. Mai 2008, Hangar 2 (Flughafen Berlin Tempelhof):
LA MORT DE CLÉOPATRE
SYMPHONIE FANTASTIQUE
Susan Graham, Mezzosopran
Dirigent: Sir Simon Rattle

Weitere Infos siehe auch: http://www.berliner-philharmoniker.de




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