Es geht um Liebe.
Immer geht es
um Liebe.
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Dmitry Korchak (re.) und Andriana Chuchman (li.) als Orphée et Eurydice an der Hamburgischen Staatsoper | Foto (C) Kiran West
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Bewertung:
Was geschah:
Die berühmte Tänzerin Eurydice (Andriana Chuchman) wird nicht, wie im antiken Mythos, von einer Schlange gebissen, sondern kommt nach einer Auseinandersetzung mit ihrem Choreografen und Geliebten Orphée (Dmitry Korchak) durch einen Autounfall ums Leben.
Crash!! Sehr zeitgemäß steht ein demoliertes Auto auf der Bühne. Das Handy überbringt die schreckliche Nachricht.
Orpheus klagt, sie fehle ihm. Kann er sein Begehren bezwingen? Von Schmerzen zerrissen, irrt er durch unergründlichen Wälder. Der zarte Schleier der Verbindung, Hoffnung der Seele, entschwindet mehr und mehr. Nebelschwaden und mystisches Licht zeigen seine Schwermut.
Es ist ein Spiel ohne Ende, auch ein wenig kitschig, es geht ja schließlich um Liebe.
Doch im Tanz sind sie vereint, eins mit dem Orchester, dem Chor, der ganzen Atmosphäre.
Ein einziges Schweben und Getragenwerden, ein Verschmelzen mit dem Universum.
So zeigen uns die Tänzer nicht nur ihr außerordentliches technisches Können, sondern lassen uns tatsächlich in den Moment gleiten: den der Hochzeit, aber auch den des Todes.
Hinunter in des Hades Bauch: Gefühle erzittern, Leidenschaft und flammendes Inferno, da wo Pluto uns die dunklen Mächte der Emotionen leben lässt - im Schattenreich der Hölle.
Die aufgebrachten Furien versuchen noch Orphée abzuhalten, die Unterwelt zu betreten, doch dann gehen wir mit ihm in das Elysium, die Insel der Seligen, dort, wo Ruhe und Schönheit wirken.
Eurydice wird ebenfalls dorthin gebracht.
Kann jetzt endlich Liebe sein? Wird er als singender Held auftreten?
Wie in der Urfassung darf er sich nicht umdrehen und sie ansehen, bis beide zurück auf der Erde sind.
*
Opernsänger setzen diese ganze Dramatik in Gesang um, nicht wie in früheren Fassungen - in denen gab es nahezu Gesangsartistik sportiver Art, und Kastraten haben sich affektiert in Szene gesetzt - , sondern in gefühlvolle Arien, lyrisch und melodisch oder auch aus voller Brust.
Große Gefühle und der schöne Gesang überwinden denn alle Widrigkeiten.
Es gilt Eurydice in der Natur zu finden, vereinend im Tanz der Welt, jenseits von Zeit und Raum.
Die Hamburg Premiere sollte lt. John Neumeier nicht wie eine umstudierte Oper wirken, eher wie ein neu kreiertes Werk, doch wo es in der antiken griechischen Fassung um bedingungsloses Vertrauen in der Liebe geht, bei Gluck dann der Verdacht, Orpheus schaue sie nicht an, weil er sie nicht mehr liebe, wird hier die christliche Ethik bedient. Wieder ist sie es, Eurydike, die ihn verführt, sich verfügbar macht, wegen seiner scheinbaren Gleichgültigkeit ein zweites Mal stirbt. Der alten Erzählung nach dreht er sich um, sich ihrer zu vergewissern; er zweifelt an der Liebe an sich. Hier aber hasst sie sein Schweigen und fordert ihn auf, sie anzuschauen. Genau in diesem Blick liegt aber die Wahrheit, die Unvereinbarkeit ihrer Wesen, und sie muss ein zweites Mal sterben. Was bleibt, ist einzig und allein ihr Schal. Daraufhin hat er den Frauen abgeschworen.
„Hat sie mich doch wieder im Stich gelassen!!“ scheint der Anti-Held zu sagen.
Was sagt Assistent Amor (Marie-Sophie Pollak) dazu? Es ist, als ob diese übersinnliche Person all das beobachtet und festhält. Ist sie/er Ratgeber/in? Alles scheint vorbestimmt.
Durch diese Rolle entsteht der Impuls, Eurydice ein ewiges Leben zu geben, nach dem Motto: Der Gott der Liebe wird uns ewiglich vereinen.
Im Schlussakt also endlich die Leichtigkeit und Glückseligkeit, Ballett in seiner reinsten Form, dem Spitzentanz. Das Geistige des Himmels auf Erden erscheint uns als Ausdruck des „Unsagbaren“ in der Form von Kunst.
Und es ist für ihn Befreiung von der Schuld, denn er habe sich doch nur instinkthaft umgedreht. Oder war es Schwäche, die dann wiederum als Schuldzuweisung ausgelegt werden kann, dass er ihre Schritte nicht mehr hörte, sich ihrer nicht mehr gewiss war und sich umdrehte, weil er nicht mehr glauben konnte? Er, der Anti-Held, wie John Neumeier ihn sieht.
Nicht alles liegt in menschlicher Hand und man könnte an einen Gott glauben oder an ein Schicksal. Der Mensch Orpheus bleibt unsicher und kann sich nur im Spiegelbild erkennen, in der Betrachtung seiner selbst im Gegenüber. Aber wer an Gott glaubt, der hat es leichter, und die alte Paradiesgeschichte wird wieder und wieder belebt. Schließlich hat sie ihm den Apfel gereicht, wollte sie doch, dass er sich umdreht. Sein sexuelles Verlangen, welches aus den Augen sprach, lassen wir mal dahin gestellt.
So erzählen wir immer wieder die gleiche Geschichte, die eigentlich keine Handlung hat. Und deshalb wirken manchmal die Tänze endlos und dann doch auch zeitlos. Sie tanzen sich durch die Bühnenelemente, welche gleichzeitig vor und zurück geschoben werden und Raum und Zeit außer Kraft setzen.
Schöne Bühnenbilder, die eine leichte Wolke zaubern, geniale bewegliche Raumelemente mit Spiegeln inszenieren, welche verwirren und mit der Lichttechnik wundervolle farbige Stimmungen erzeugen. Hochzeit, Tod, Reue, die ganze Schmerzen reiche Palette menschlicher Gefühle.
Entscheidendes Element natürlich das Orchester mit all den Musikern, den Streichern, den Sechzehntelnoten, den ekstatisch und hysterischen Melodien und dem sphärisch klingenden Chor. Sie schufen ein gigantisches Klanggemälde. Applaus für Dirigent Alessandro De Marchi. Sie halfen mit ihrer Kunst, dass wir an unsere Unsterblichkeit erinnert wurden.
Hier haben wir also das Happy End, nach dem Motto: Alles wird gut!
Und die Oper geht gut aus, weil es so weiter gehen soll wie bisher.
Tosender Applaus.
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Orphée et Eurydice an der Hamburgischen Staatsoper | Foto (C) Kiran West
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Liane Kampeter - 18. Februar 2019 ID 11231
ORPHÉE ET EURYDICE (Hamburgische Staatsoper, 16.02.2019)
Inszenierung, Choreografie, Bühne, Kostüm und Licht: John Neumeier
Musikalische Leitung: Alessandro De Marchi
Besetzung:
Orphée ... Dmitry Korchak (Tänzer) und Edvin Revazov
Eurydice ... Andriana Chuchman (Tänzerin) und Anna Laudere
L‘Amour ... Marie-Sophie Pollak
Hamburg Ballett
Chor der Hamburgischen Staatsoper
(Choreinstudierung: Eberhard Friedrich)
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Premiere war am 3. Februar 2019.
Weitere Termine: 19.02. / 23.06.2019 // 22., 24., 29,01. / 01.02.2020
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper-hamburg.de
Post an Liane Kampeter
http://www.liane-kampeter.de
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