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Uraufführung

In den Tod getrieben

DER MIETER von Arnulf Herrmann an der Oper Frankfurt

Bewertung:    



Ein Waschbecken, ein Spiegel, drum herum eine altmodische Tapete, daneben eine Tür: Schon in Roman Polanskis Psychothriller Der Mieter von 1976 mit dem Regisseur als Hauptdarsteller nach dem Roman Le Locataire chimérique von Roland Topor aus dem Jahr 1964 war das ein szenisches Leitmotiv. In der gleuchnamigen Oper von Händl Klaus (Text) und Arnulf Herrmann (Musik), inszeniert von Johannes Erath im Bühnenbild von Kaspar Glarner an der Frankfurter Oper taucht diese Kombination auf dem durchsichtigen Gaze-Vorhang auf, ist gebaut auf einer szenischen Insel mitten auf der Bühne oder wird projiziert. Beklemmung stellt sich so schon in den ersten Minuten ein, auch weil die Musik seltsam gestaucht klingt und wie ausgebremst wirkt. Georg, der neue Mieter, erfährt gleich zu Beginn, dass sich seine Vormieterin durch einen Sturz ins Glasdach das Leben genommen hat. Kaum hat er eine Einweihungsparty mit Freunden gegeben (darin der junge Tenor Michael Porter herausstechend), werden die Nachbarn krätzig und immer aufdringlicher: zu laut sei er, Damen-Besuch wäre sowieso verboten und wehe, er verhielte sich in Zukunft ab 10 nicht still und trage Filzpantoffeln, dann werde er seine Wohnung ganz schnell los. Auf einmal soll eine Nachbarin mit Sohn besonders lärmen, doch Georg kennt nur eine Mutter (Claudia Mahnke) mit behindertem Mädchen. Doch die verweigerte Unterschrift unter die Beschwerde zieht eine massive Drohung nach sich und das Mobbing wird allmählich zum Wahn.

Was Realität ist und was fortschreitende Psychose lässt sich kaum mehr unterscheiden, und auch die Musik – schon zu Beginn bedrohlich bläserbetont düster – kriegt kaum mehr die Kurve in die Normalität etwa eines Café-Hauses, in der der Kellner (abgründig: Sebastian Geyer) penetrant den Kakao und die Zigaretten der Vormieterin nun an den Mann bringen will. Da tropft es laut und unerbittlich wie aus gewaltigen Wasserhähnen, knirscht Glas, klopft es dröhnend und fährt immer mal wieder ein mächtiger Akkord ins Geschehen. Ob einzelne Nachbarn oder gleich ein ganzer Chor: Georg – das Anagramm von Gregor aus Kafkas Erzählung Die Verwandlung, in der ein junger Mann zum Käfer wird – fühlt sich immer mehr verfolgt und schließlich eingesperrt in eine Kiste – was dank einer Bühnenraum füllenden Projektion suggestiv erlebbar wird. Am Ende verwandelt er sich ganz in die Vormieterin namens Johanna (mit suggestiv irrealem Sphärengesang: Anja Petersen) und stürzt sich aus dem Fenster. Schon zuvor war Johannas Stimme einzig übriggeblieben, hatte quasi die Georgs ersetzt.

Leider zerfällt die bis dahin so konzise, alptraumhafte Inszenierung von Johannes Erath nun etwas. Zuvor hatte sie die Georg – den großartigen, ungemein intensiv spielenden und auch exzellent Falsett singenden Bariton Björn Bürger in Anzughose und Weste (Kostüme: Katharina Tasch), aber mit nackten, verletzlichen Füßen – stets im Focus. Doch statt das im Film so beklemmend gelungene Finale streng zu choreographieren, versucht sie Text und Musik zu übertrumpfen. Da kippt das von unten milchigweiß beleuchtete Podium nach vorne, auf dem Georg angeleint ist und symbolisch in die Tiefe stürzt, bevor es dieses Finale gleich nochmal und gedoppelt als Projektion gibt: Auch Händl Klaus‘ Text, nur gelesen ein fulminantes Sprach-Spiel-Stück, erweist sich mit Musik und Szene zusammen hier als retardierend und auch ein wenig redundant. Wer den Film freilich nie gesehen hat – und die Inhaltsangabe nicht gelesen hat, der kann kaum verstehen, dass sich Georg alias Johanna nach dem ersten Sturz schwer verletzt wieder die Treppen hochschleppt, um erneut zu springen.

Arnulf Herrmann lässt den Text oftmals skandieren, findet für die zudringliche Hausgemeinschaft, angeführt von Frau Bach (Hanna Schwarz) und Herrn Zenk (Alfred Reiter) und oft erweitert zu einem ganzen Chor, eindringliche Steigerungen und große Kontraste zwischen oftmals gleichzeitig Tief Raunendem und irrlichternd hohen Tönen. So sicher sie foranschreiten will, sooft verliert diese Musik immer wieder den Boden unter den Füßen, wie der introvertierte Georg selbst auch, der sich immer mehr und schließlich tödlich abhanden kommt und Kazushi Ôno reizt das alles am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters großartig aus.

Klaus Kalchschmid - 3. Dezember 2017
ID 10404
DER MIETER (Oper Frankfurt, 29.11.2017)
Musikalische Leitung: Kazushi Ōno
Regie: Johannes Erath
Bühnenbild: Kaspar Glarner
Kostüme: Katharina Tasch
Licht: Joachim Klein
Video: Bibi Abel
Sounddesign: Josh Jürgen Martin
Chor: Walter Zeh
Dramaturgie: Zsolt Horpácsy
Besetzung:
Georg ... Björn Bürger
Johanna ... Anja Petersen
Herr Zenk ... Alfred Reiter
Frau Bach ... Hanna Schwarz
Frau Greiner ... Claudia Mahnke
Frau Dorn ... Judita Nagyová
Körner ... Michael Porter
Krell ... Theo Lebow
Ingo / Kellner ... Sebastian Geyer
Herr Kögel ... Miki Stojanov
Philharmonia Chor Wien
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Uraufführung war am 12. November 2017.
Weiterer Termin: 07.12.2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.oper-frankfurt.de


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Neue Musik

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