Clivia
von Dostal
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Erika Simons als Clivia am Theater Osnabrück / Foto (C) Jörg Landsberg
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Bewertung:
Schauplatz Boliguay, ein fiktiver Staat in Südamerika. Gerade hat ein Regierungswechsel stattgefunden, der die korrupte Führungsriege durch einen integren Präsidenten samt Stab ersetzt hat. Die Staatsgrenzen werden gegen den kapitalistischen Feind durch eine Mauer gesichert, eine Einreiserlaubnis ist äußerst schwer zu bekommen.
„Leidtragender“ der politischen Situation ist ein amerikanischer Großindustrieller, der Anleihen auf Ölbohrungen in Boliguay besaß und sich ausgezeichnet auf Lobbyarbeit versteht. Da er sich nun kurz vor der Insolvenz ahnt, klügelt er einen perfiden Plan aus, um durch einen Putsch die alte, ihm nahestehende Regierung zurück an die Spitze zu befördern. Der zwielichtige Geschäftsmann Potterton, der auffallend große Ähnlichkeit mit dem derzeitigen Präsidentschaftskandidaten in den USA aufweist, versucht als Financier eines Filmprojektes eine Einreiseerlaubnis in den Staat zu bekommen und engagiert eigens hierfür zwei bekannte Schauspielgrößen. Während der männliche Hauptdarsteller zufällig Kenntnis von Pottertons wahren Absichten gewinnt, ist die weibliche Hauptdarstellerin Clivia Gray, eine Filmdiva, wie sie im Buche steht, völlig ahnungslos. So willigt sie ein, als der Vorschlag aufkommt, eine Scheinehe mit einem boliguayischen Staatsbürger einzugehen, um eine Dreherlaubnis jenseits der Mauer zu erhalten. Der Plan scheint aufzugehen, doch was die Amerikaner zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen: Der Bräutigam ist der Präsident Olivero persönlich, dessen Geheimdienst von dem bevorstehenden Staatsstreich weiß und nun versucht, die Beteiligten ausfindig zu machen.
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Bernd Mottl hat in Zusammenarbeit mit den Dramaturginnen Ulrike Schumann und Elisabeth Zimmermann die Operette einer sehr unkonventionellen Inszenierung unterworfen. Die Bearbeitung spielt mit Überzeichnungen und komischen Darstellungen und nutzt diese, um der vordergründig heiteren Handlung sehr subtil ein Transportmittel an die Seite zu stellen. Eingebettet in eine Liebesgeschichte mit Happy End steht eine Gesellschaftskritik im Zentrum, die auf die Methoden und Auswirkungen des imperialistischen Kapitalismus abzielt. Uraufgeführt wurde die Operette in den 30er Jahren, erinnert in der vorliegenden Bearbeitung stark an die Zeiten des kalten Krieges und lässt schließlich erkennen, dass dieser ideologische Konflikt nach wie vor tobt – er wird nur auf anderer Ebene ausgefochten. Geradezu genial und erschreckend zugleich ist also die Tatsache, dass eine derart klamaukig erscheinende Darstellung eine solch facettenreiche Gesellschaftskritik zu kommunizieren vermag und mit einem völlig unverhofften Erkenntnisgewinn aufwartet. Parodistisch wird die Szenerie vielschichtig ad absurdum geführt und bestätigt die Aktualität des Stoffes.
Grelle Kulissen herrschen auf der Bühne vor, das Bild wirkt sehr überladen. Auf den zweiten Blick jedoch offenbart sich so manches Detail, das die eigentliche Intention verrät. Friedrich Eggert, der für die Bühne und die Kostüme gleichermaßen verantwortlich zeichnete, hat auf subtile Weise weitaus mehr aus der Rahmengestaltung geschaffen, als es zunächst den Anschein hat.
So ist die Bühne vollständig von Blattwerk und Blüten eingerahmt, welche vordergründig gesehen die dschungelähnliche Vegetation vor Ort darstellen. Tatsächlich handelt es sich bei den Blüten aber um Clivien, welche den zunächst ungeahnten Stellenwert der gleichnamigen Hauptprotagonistin betonen. Ähnlich verhält es sich mit den Wolkenkratzern, die mal mehr, mal weniger Platz auf der Bühne finden, wenn Potterton von seinen Geschäften berichtet und die Zukunft des kleinen südamerikanischen Staates veranschaulicht. Über den Gebäuden thronen symbolisch die Logos der Global Player. Zu sehen sind u.a. die derzeitigen Meinungsmacher in den Medien und der Wirtschaft, von gezwitscherter, ungefilterter Nachrichtenflut bis hin zur Kreditgesellschaft, deren ehemaliger Slogan noch in so manchem nachklingen mag und so einiges über die vermeintliche Zukunft unserer Konsumgesellschaft und tendenzielle Entwicklungen von Wertevorstellungen aussagt: "Es gibt Dinge, die kann man nicht kaufen. Für alles andere gibt es..." Einen Geniestreich stellt in diesem Kontext die Präsentation der neuen Präsidentenstatue dar, welche Potterton als Geschenk feilbietet: Zunächst verhüllt mit einem als Anspielung auf die USA-Flagge zu erkennenden Laken, sind die vertrauten Umrisse der Lady Liberty zu sehen. Präsentiert wird die Statue von zwei leicht bekleideten Damen mit Playboy-Hasenohren, ein Outfit, das dem American Dream geschuldet ist. Nach der Enthüllung der Statue zeigt sich ein ganz anderes Bild – der Präsident als Revolutionär mit hochgehaltener Waffe. Die gegensätzlichen Auffassungen von Freiheitsidealen sind mehr als deutlich, zwei Welten mit völlig unterschiedlichen Moralvorstellungen prallen hier aufeinander – selbstverständlich mit gebotener Zurückhaltung im Hintergrund, denn der Geschäftsmann Potterton schmeißt weiterhin in verschwenderischen Zügen seine Party. Großzügig ist hier Raum für Interpretation geschaffen worden: Quo Vadis?
Auch die Kostüme verfügen über viel Aussagekraft und runden letztlich so die Handlung auf eine eigene und doch sehr gelungene Weise ab: Potterton sieht man den texanischen Kapitalisten gleich an. Clivia kleidet sich standesgemäß in schillernde Gewänder, und die Amazonenarmee Boliguays trägt Uniformen, die eindeutig an die Kleidung der Pioniere eines anderen Staates erinnert, der sich als Gegenspieler des Kapitalismus dem Sozialismus zuwandte und diesen durch eine Mauer zu „schützen“ versuchte. Die Fronten sind also bereits auf dieser Ebene geklärt.
Die Protagonisten selbst überzeugen sowohl durch Gestaltung der Rollen als auch durch die schauspielerische und gesangliche Umsetzung. Miss „Clivia Gray, USA“ ist Sinnbild der Hollywood-Industrie: Eine Filmschönheit, umgeben von viel Luxus und Oberflächlichkeit, die letztlich die innere Leere nicht zu füllen vermag. Ganz unverhofft verliebt sie sich tatsächlich in ihren Scheinehemann und gibt ihr ehemaliges Leben ohne zu zögern auf, um an seiner Seite bleiben zu dürfen. Erika Simons scheint die Rolle auf den Leib geschrieben zu sein, sie glänzt in jeglicher Hinsicht auf der Bühne. Präsident Olivero erscheint als bodenständiger Mann, der das Wohl seines Volkes als Ideal hochhält und persönliche Risiken eingeht, um für dieses einzutreten. Jan Friedrich Eggers ergänzt Simons ideal, und auch musikalisch zeugt so manches Duett der beiden Liebenden davon. Die Cousine Oliveras, Jola, die als Leutnant ebenfalls einen hohen Rang bekleidet, wird sehr charmant und impulsiv von Almerija Delic dargestellt, die der Rolle definitiv den nötigen Charakter verleiht. Schön zeigt sich dies, als sie im Laufe der Handlung mit dem Regenbogen-Journalisten Lelio Down kokettiert. Eben noch die starke Frau, die ihren Verehrer auf Abstand hält, wird sie unumwunden zur sentimentalen Geliebten. Mark Hamman alias Lelio Down ergeht es ähnlich. Hat er zunächst unzählige Versuche unternommen über die Grenze zu kommen, da er hier die Chance auf eine phänomenale Reportage witterte, schlägt sein Interesse alsbald um, und seine Auserwählte Jola wird zum alleinigen Objekt der Begierde. Sehr authentisch gibt sich zudem der Lobbyist Potterton, der von Klaus Fischer gespielt wird und der Rolle einen typisch saloppen und egozentrischen Part angedeihen lässt.
Musikalisch wird die Operette vom Osnabrücker Symphonieorchester unter der Leitung von Daniel Inbal und dem Opernchor begleitet. Die Osnabrücker Dance Company übernimmt die tänzerischen Einlagen, welche allesamt skurril und mit einem Augenzwinkern gestaltet sind, und sorgen so für eine gehörige Portion Slapstick, ganz im Sinne der mehrstufigen Bedeutungsebene der Inszenierung. Das Spiel mit Geschlechterrollen, affektiert grinsende, solariumgebräunte Tänzer und Kellner sowie die beiden Pudel mit Diamanthalsband, wohl die obligatorischen Schoßhündchen der Filmdiva, sind hier nur einige wenige Beispiele, die für viel Gelächter beim Publikum gesorgt haben.
Alle Beteiligten haben gemeinsam eine kurzweilige und einfallsreiche Fassung der Clivia geschaffen, die trotz oder gerade wegen der verwendeten komischen Motivik mehr Tiefgang aufweist, als der erste Eindruck ahnen lässt und in Hinblick auf gesellschaftspolitische Momente einige Fragen nachhaltig aufwirft.
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Clivia am Theater Osnabrück / Foto (C) Jörg Landsberg
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Sina-Christin Wilk - 18. Juni 2016 ID 9388
CLIVIA (Theater am Domhof, 16.06.2016)
Musikalische Leitung: Daniel Inbal
Inszenierung: Bernd Mottl
Bühne und Kostüme: Friedrich Eggert
Choreografie: Otto Pichler
Choreinstudierung: Markus Lafleur
Dramaturgie: Ulrike Schumann
E. W. Potterton, Finanzmann ... Klaus Fischer
Clivia Gray, Filmstar ... Erika Simons
Juan Damigo, genannt Olivero ... Jan Friedrich Eggers
Jola, seine Cousine ... Almerija Delic
Lelio Down, Reporter ... Mark Hamman
Caudillo, Gastwirt / Diaz, Hauptmann ... Jacques Freyber
Valdivio, Kriminalinspektor / Regisseur ... Silvio Heil
u.v.a.
Dance Company des Theaters Osnabrück
Opernchor und Statisterie des Theaters Osnabrück
Osnabrücker Symphonieorchester
Premiere am Theater Osnabrück: 30. April 2016
Weitere Termine: 19., 22. 6. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-osnabrueck.de
Post an Sina-Christin Wilk
scriptura-novitas.de
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