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Premierenkritik

Kriegsspiele im

Herrenzimmer



Anna Alàs i Jové (als Simplicius) und Jakob Ahles (als Hauptmann) in Karl Amadeus Hartmanns Des Simplicius Simplicissimus Jugend an der Staatsoper im Schiller Theater - Foto (C) Gianmarco Bresadola

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Um uns herum sind derzeit Kriege oder kriegerische Auseinandersetzungen wie sie (in dieser momentanen Anhäufung und Fülle) seit Jahrzehnten nicht zu registrieren waren, und die Zivilisationen dieser Welt scheinen in ihrem Grundbestand, was Sicherheit/Stabilität betrifft, gefährdeter denn je. Der allseits aufgeklärte oder sich als aufgeklärt begreifende West-Abendländer nimmt durch stehende oder bewegte Bilder, die die Zeitungen, das Fernsehen oder die Social-Netzwerke ihm zeitnah liefern, am Geschehen (= Kriege, kriegerische Auseinandersetzungen) beobachtender Weise teil. Es existieren live gefilmte "Szenen", deren ungeheuerliche Ausmaße - schon rein verbal - zur Schockstarre gereichen; das ist wiederum perfidestes Kalkül Derjenigen, die sich mit Bildern ihrer Gräueltaten brüsten und den "ungläubigen Rest der Welt" in Angst und Schrecken treiben.

* * *

Als die Staatsoper im Schiller Theater ihr so ehrlich-engagiertes WERKSTATT-Vorhaben mit Hartmanns Antikriegs-Oper Des Simplicius Simplicissimus Jugend plante, war nicht abzusehen, welch verheerende Entwicklungen (seit Sommer diesen Jahres) weltweit stattgefunden haben sollten. Gestern (27. September 2014) war ich mir - als Zuschauer und Zuhörer des allzu selten aufgeführten Werkes - nicht mehr sicher, welche Art Katharsis mittels derartiger hochmoralisierender und -agitierender Verlautbarungen "zwangserreicht" sein könnte, mehr noch - - ich bezweifele und hinterfrage vehement die pädagogisch-zeitgemäße Aktualität, will sagen: Hartmanns Oper hat mit dem, was derzeit IST, gefühltermaßen kaum noch was zu tun und läuft sonach ins Leere.

Demnach muss über das reinweg museale Unterfangen des nun stattgefunden habenden Projektes kurz Bericht erstattet sein:

Die Grimmelshausen-Epopöe über den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) erfuhr anhand der Lebensgeschichte ihres Protagonisten Simplicius Simplicissimus prosaische Verdichtung und erhielt sodurch ein "unschuldiges" und vereinzeltes Gesicht - die Jugendjahre des Romanhelden sollten dann wiederum einen Extrakt (aus dem Roman) erzeugen, womit Dirigent und Hobbydichter Hermann Scherchen damals (ca. 1934) den noch ziemlich jungen und erfolgversprechenden Münchener Komponisten Karl Amadeus Hartmann (1905-1963) lockte; der "erkannte darin das Schicksal der eigenen Zeit – ein Jahr zuvor hatten die Nazis die Macht ergriffen. Hartmann, damals 29, sah hellsichtig, dass dies in die Katastrophe eines neuen Krieges führen würde. Er entschied sich für die innere Emigration und komponierte fortan für die Schublade." (Quelle: staatsoper-berlin.de)

Anna Alàs i Jové, die stimmlich umwerfend-phänomenale Hauptdarstellerin der WERKSTATT-Aufführung von gestern Abend, geht mit einem Staubwedel gegen die anwesenden Zuschauer in der von Bühnenbildnerin Sabine Kohlstedt nachempfund'nen Herrenzimmer-Bibliothek des Komponisten gestikulatorisch vor. Schon hier macht sich ein rein lektürerisches Eingeigeltsein (nicht nur jenes vermeintlich sich auf Jahre hin so eingeigelt habenden Münchener Tonsetzers) bemerkbar und deutet auf eingeigeltetstes Harmlossein des Ganzen, auch was nach und nach noch folgte, hin.



Des Simplicius Simplicissimus Jugend an der Staatsoper im Schiller Theater: Simplicius (Anna Alàs i Jové) droht mit dem Staubwedel - Foto (C) Gianmarco Bresadola


Die Staatsoper hatte sich auf die Erstfassung der Hartmann-Oper festgebissen [Hartmann hatte, wie man las, fast alle seine Werke, die er vor Beendigung des Zweiten Weltkriegs komponierte, nach Beendigung desselben, sicher auch mit moralinem Impetus, quasi nochmal geschrieben also korrigiert], und die Entscheidung sollte sich als eigentlicher Grundfehler erweisen, denn:

Hier (in der Erstfassung) bedient sich Hartmann jenes grottenschlechten Hermann-Scherchen-Textes, der dann - überproportional zur musikalischen Gereichung - durch die Opernsänger aufgesprochen werden muss; und wie bescheuert das dann insgesamter Weise klingt?! (Es ist fast wie bei allen diesen "Mischformen" - vom Freischütz über den Fidelio bis zur Fledermaus - ; sobald ein Opernsänger in die Pflicht genommen wird, sich zwischendurch an einem Sprechtext zu probieren, ja und meistens machen sie's auch noch mit ihrer Opernstimme, klingt es halt wie... Gut, vergessen wir's; dieser Konflikt bleibt ungelöst, es ist halt leider so.)

Der Jugendchor der Staatsoper Unter den Linden (Einstudierung: Frank Flade) sorgt für szenische Erfrischungen; er muss z.B. - eindeutiger-plumpig kann die Anspielung auf Hartmanns Lebenszeit nicht sein - die Bücherverbrennung auf dem damaligen Opernplatz veranschaulichen. Später dann, in absolvierter Zeitreise, tritt er zumal in Bomberjacken auf. Immer auch eine Soldateska, wann und wo auch immer, personifizierend... Ja, die Jungen haben spürbar großen Spaß am Spiel.



Des Simplicius Simplicissimus Jugend an der Staatsoper im Schiller Theater: Stilisierte Bücherverbennung (mit dem Jugendchor) - Foto (C) Gianmarco Bresadola


Auch gibt es einen echten Sprecher, also einen, der vom Fach her kommt: Schauspieler Thomas Schumacher liest die bedeutungsschweren (Scherchen-)Sätze zu Beginn und auch zum Schluss der Oper weg vom Blatt; und zwischendurch auch jede Menge Anderes.

Zur Höchstform - Gott sei Dank, dass ihm die Regisseurin Friederike Heller diesen Spielplatz zusätzlich noch bot! - gerät er, als er sich (für uns so ahnungslose Büchereibesucher) völlig unerwartet vom Zitator in ein Hurenluder umverwandelt und mit schlüpfriger Totalgebärde alle Aufmerksamkeit auf sich zieht; also nicht nur dasjenige der Soldateska (die er/sie sich auf/in ihn/ihm/sie/ihr sexuell ergießen lässt). Er ist schon eine echte Sportskanone, denn er macht auf offner Szene einen Salto rückwärts, dass man arg ins Staunen kommt! Genial gespielt!!



Des Simplicius Simplicissimus Jugend an der Staatsoper im Schiller Theater: Das Hurenluder (Thomas Schumacher) scheint völlig außer Rand und Band - Foto (C) Gianmarco Bresadola


Die Mitglieder der Staatskapelle Berlin spielen - was anders so nicht anzunehmen war - vorzüglich, elitär.

Der Dirigent des Abends ist der junge Adrian Heger; auch Respekt vor ihm.

Alles in Allem: Symptomales Unbeteiligtsein, starker Ermüdungszwang (außer beim Toni, wie gesagt).


Andre Sokolowski - 28. September 2014
ID 8129
DES SIMPLICIUS SIMPLICISSIMUS JUGEND (Werkstatt, 27.09.2014)
Musikalische Leitung: Adrian Heger
Inszenierung: Friederike Heller
Ausstattung: Sabine Kohlstedt
Licht: Olaf Freese
Dramaturgie: Detlef Giese
Besetzung:
Simplicius ... Anna Alàs i Jové
Gouverneur ... Jonathan Winell
Bauer, Feldwebel, Hauptmann ... Jakob Ahles
Landsknecht ... Bernhard Hansky
Einsiedel ... Magnús Hallur Jónsson
Sprecher ... Thomas Schumacher
Jugendchor der Staatsoper Unter den Linden
Mitglieder der Staatskapelle Berlin
Premiere war am 27. September 2014
Weitere Termine: 28. 9. / 1., 2., 4., 9., 11. 10. 2014


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper-berlin.de


Post an Andre Sokolowski

http://www.andre-sokolowski.de




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