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Konzertkritik

Echo-

Fragmente


in der Philharmonie de Paris


Philharmonie de Paris | Foto (C) Steffen Kühn

Bewertung:    



In Paris scheinen die Deutschen auch in der Musik angesagt zu sein: Ingo Metzmacher dirigiert Le Château de Barbe-Bleue und La Voix Humaine von Béla Bartók und Francis Poulenc in der Opéra Garnier, heute am Tag darauf ein Konzert in der nagelneuen Pariser Philharmonie um das deutsche Multitalent Jörg Widmann. Sein Stück Echo-Fragmente gibt dem Abend sogar den Titel:

Er startet mit dem Barockkomponisten Jean-Féry Rebel. Sein 280 Jahre altes Stück Les Elémens ist wie geschaffen für die hervorragende kammermusikalische Akustik des modernsten Konzertsaales in Frankreich. Ein schlackenloser Streicherklang eröffnet den 1. Satz. Das Alte Musik-Ensemble Les Arts Florissants stemmt sich richtig rein in die farbige Musik. Dirigent Paul Agnew führt die Streicher aber immer wieder zu einem modern – abstrakten Klang. Wunderbar macht sich das im Kontrast mit den im Barock singenden Querflöten.

Das war eine tolle Einstimmung auf das 2006 uraufgeführte Stück Echo-Fragmente von Jörg Widmann. Es arbeitet mit dem Kontrast zwischen neuer und alter Musik. Sehr effektvoll musizieren das Orchestre de Paris und Les Arts Florissants da zusammen. Nach dichten Aktionen des Solisten (Widmann spielt selbst die Klarinette) werden nach und nach die anderen Stimmen angeregt. Harfe, Banjo, Akkordeon, Celesta und historische Hörner eifern da um die Wette. Stimmungen und Farben des Solisten springen hin und her, werden übernommen und weiterentwickelt. Wolfgang Rihm´s Schüler Widmann versteht es wie sein Lehrer in seinen Kompositionen neben den modern-abstrakten Ideen auch narrative Momente mit den für Zuhörer wichtigen Erinnerungswerten zu erzeugen. Die Emotionen werden angesprochen, kommen nicht zu kurz wie in vielen zeitgenössischen Kompositionen. Und das Publikum bedankt sich dafür. Der ausverkaufte 2.400 Plätze fassende Saal versinkt in Bravos und Jubelrufen, wie man es bei zeitgenössischen Stücken sehr, sehr selten erlebt.

*

Nach der Pause startet das Programm nun gerade mit einem etwas verkopften zeitgenössischen Stück: Jonathan Harvey´s Wheel of Emptiness für 16 Musiker steigert in ca. 14 Minuten kontinuierlich den Energiehalt der Aktionen. Vertikale Strukturen, sehr perkussiv, erzeugen Tempo. Die abstrakten Pattern werden von hohen Blechbläsern kontrastiert. Gut gespielt und interessant anzuhören, kann das Stück nicht die Emotionalität des 1. Teils erzeugen. So hofft man auf das letzte Stück: Charles Ives' Symphonie Nr. 4. Der Aufwand stimmt erstmal erwartungsvoll; neben dem Solisten am Konzertflügel zwei weitere Konzertflügel, 100 Personen starkes Orchester, ebenso 100 Personen starker Chor. Der Schlagapparat ist vielfach besetzt und und und. Im ersten Teil versucht sich der Chor gegen den Klangapparat zu stemmen, was ihm leider nicht gelingt, zu unsauber ist da die Abstimmung von George Jackson (der für Daniel Harding einspringen musste). Im zweiten Satz hat Charles Ives den Orchesterapparat maximal genutzt. Marschähnliche Sequenzen donnern durch den Saal, die Schlagwerke werden, man muss schon sagen, nahezu brutal eingesetzt. Gewaltige Orchestertuttis türmen sich auf und werden von plötzlichen leisen solistischen Aktionen noch überhöht. Aber das Konzept der Partitur geht heute in diesem Saal mit diesem Orchester nicht auf. Die existentiell lauten Klänge treiben die Zuhörer in die Flucht, manche halten sich die Ohren zu. Der von Ives‘ erdachte Klangkosmos kommt nicht zum Leuchten.



Da sind wir vielleicht am Ende doch noch beim Gebäude:

Die Akustik der neuen Philharmonie de Paris wurde, wie üblich in den letzten 10 Jahren (siehe Walt Disney Concert Hall Los Angeles, Elbphilharmonie Hamburg, Pierre Boulez Saal Berlin; um einige zu nennen), von den immer gleichen Experten aus Japan geplant. Ziel dabei ist es, möglichst jeden Ton an jeder Stelle des Saales von jedem gleich hören zu können. Wie das hier funktioniert, konnte man bei Widmann erleben, wo man jedes Anblasen, jedes Lippenschürzen an der Klarinette hören konnte. Scheinbar passt diese Idee von Akustik nicht zu solchen Titanen wie Ives` 4. Sinfonie. Das ist eigentlich gar nicht schlecht, so könnte man in Zukunft die Programme auch danach auswählen, welches Stück in welchem Saal am besten klingt. Wir bekämen einen Erlebniswert zurück, wenn nicht in allen Konzerthäusern dieser Welt immer diegleichen Stück gespielt werden.



Das Innere der neuen Philharmonie de Paris | Foto (C) Steffen Kühn

Steffen Kühn - 6. April 2018
ID 10624
PHILHARMONIE DE PARIS (Grand Salle Pierre Boulez, 05.04.2018)
Jean-Féry Rebel: Les Elémens
Jörg Widmann: Echo-Fragmente für Klarinette und Instrumentalisten
Jonathan Harvey: Wheel of Emptiness für 16 Musiker
Charles Ives: Symphonie Nr. 4
Jörg Widmann, Klarinette
Simon Crawford-Phillips, Klavier
Ensemble Intercontemporain
Les Arts Florissants
Dirigent: Paul Agnew
Choeur de l'Orchestre de Paris
Chorleitung: Lionel Sow
Orchestre de Paris
Dirigent: George Jackson


Weitere Infos siehe auch: https://philharmoniedeparis.fr


Post an Steffen Kühn

http://www.hofklang.de

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