Alte Welt trifft Neue Welt
San Francisco Symphony
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Bewertung:
Das San Francisco Symphony Orchester wurde nach dem großen Erdbeben 1906 von engagierten Bürgern gegründet. Die Förderung von amerikanischer Musikkultur stand von Anfang an im Zentrum des Klangkörpers. Daneben das klassisch-romantische Repertoire der deutsch-österreichischen Musiktradition. Mit Beginn der Emigration aus Nazideutschland wurde dieser Strang noch verstärkt. Auch Arnold Schönberg musste Europa verlassen. Die Einflüsse der Neuen Welt haben auch auf sein Schaffen abgefärbt. Schönbergs Variationen op. 43 ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür. Hätte Schönberg in Europa solch ein Werk geschrieben? Das Stück war ursprünglich für Blasorchester konzipiert, die Fassung für Streichorchester wurde 1944 vom Boston Symphony Orchestra uraufgeführt. Man glaubt seinen Ohren nicht! Ein 100 % tonales Werk, in der Tradition Brahms´scher Harmonik. Motive und Themen werden klassisch variiert, an zentraler Position steht ein Walzermotiv. Marschartige Aktionen durchbrechen die Variationen und Enthaltungen der Motive und erinnern an die ursprüngliche Idee, ein Stück für Blasorchester. Michael Tilson Thomas steuert seinen Klangkörper noch in der kleinsten Nuance. Die wunderbaren Blechbläser laufen zu Höchstleistungen auf, eingeleitet durch ein Trompetensolo zu Beginn des Stückes. In den Orchestertuttis glaubt man schließlich ganz und gar amerikanische Musik zu hören – der Europäer Schönberg in Kalifornien.
Wie am Eröffnungsabend stand auch gestern ein Stück von John Adams auf dem Programm. Ein später Adams, aus dem Jahr 2011, von Minimal Music kann man nur Fragmente hören. In Absolute Jest begegnet sich Alte und Neue Welt auf formal künstlerischer Ebene. Adams „Absoluter Spaß“ ist von den späten Beethovenschen Streichquartetten inspiriert. Dem Orchester hat Adams ein Streichquartett zur Seite gestellt, um besser in die Nähe der rasanten Tempi Beethovenschen Streichquartetten zu kommen. So auch die Rollenverteilung im Stück: das Quartett verarbeitet Beethoven-Material, die Partitur für das Orchester folgt heutigen Ideen des Komponisten. Ganz leise konzentriert mit einem Glockenspiel beginnt das Stück. Blitzartig verbreitet sich im Saal eine kribbelnde Spannung, die Hörer sitzen auf der Stuhlkante. Das Quartett irrlichtert anfangs nur sanft dazwischen, bevor es später mit repetiven kräftigen Aktionen die Führung übernimmt. Das Quartett strahlt aus der Mitte des Klangapparates heraus und treibt das Geschehen wie ein gewaltiger Motor an. Die Musiker des St. Lawrence String Quartet scheinen über ihren Stühlen zu schweben, so energiegeladen und mit Hochspannung bewältigen sie die rasanten Tempi. Am Ende schließt sich der Kreis wieder, mit einem Glockenspiel ganz leise endet die Partitur. Bravos, Standing Ovations!
Beethovens Eroica am Ende des Programms beendete den Abend. Hier fließen die Themen, Komponisten und Musiker des Abends auf wunderbare Weise zusammen: die deutsch-österreichische Musiktradition, welche Beethoven und Schönberg wie kaum andere von Wien aus maßgeblich mitgeprägt haben, und die Fortsetzung und Weiterentwicklung in Amerika durch Orchester wie das San Francisco Symphony, Musiker wie Michael Tilson Thomas und Komponisten wie John Adams. Am Ende hängt alles irgendwie zusammen, oder wie möchte man sich die Nähe von Beethoven´schens Freiheitsstreben und der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung „All men are created equal“ sonst erklären?
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St. Lawrence String Quartet | (C) Leonardo Mascaro
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Steffen Kühn - 5. September 2015 ID 8849
MUSIKFEST BERLIN (Philharmonie, 04.09.2015)
Arnold Schönberg: Variationen op. 43b (1944)
John Adams: Absolute Jest, Konzert für Streichquartett und Orchester (2011)Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. 3 | Eroica
ST. LAWRENCE STRING QUARTET
SAN FRANCISCO SYMPHONY
MICHAEL TILSON THOMAS, Leitung
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinerfestspiele.de/musikfest
Post an Steffen Kühn
http://www.hofklang.de
Neue Musik
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