Großes Opernsingen
im Sharoun-Bau
DAS RHEINGOLD und ERNANI in der Philharmonie Berlin
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Als vor ein paar Wochen Claudio Abbado Schumanns Manfred nicht nur musikalisch, sondern und vor allem auch noch szenisch in das Mittelrund des Hans-Sharoun-Baus wuchtete, war großes Staunen. Denn ein Riesenpodium, ausgeleuchtet mit diversen Farben, klotzte hinter den im Dunkeln sitzenden Berliner Philharmonikern, und ein paar Planen, Tücher, die mit weiteren hinzugebrachten Requisiten eine Art von Bühne auf dem Hochklotz bildeten, ließen Theateratmosphäre aufkommen; man muss es als den eigentlichen Höhepunkt der nun zu Ende gehenden Konzertsaison in diesem Haus betrachten. Besser sollte, würde's nicht mehr werden.
In der Tat. Der schwarze Bühnenklotz ist diesmal viel viel niedriger und etwas kleiner. Wiederum befindet er sich hinter den Orchestersitzen, und er lässt sich über ein paar Treppchen rechts und links vom Saaleingang betreten; stahlbeschlagene Absatzschuhe freilich sollte man bei diesen Auf- und Abgängen womöglich nicht/nicht wieder tragen... Nennen wir das Ding dann Klammer. Denn es ist das Einzige, womit sich die wie folgt besprochenen Konzertveranstaltungen auf den Nenner bringen lassen: Das Rheingold und Ernani.
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Simon Rattle führt zum ersten Mal mit den Berliner Philharmonikern ein Werk von Richard Wagner in der vollen Länge auf. Er hat mit dem Orchester Großes vor. In Salzburg wollen sie die kommenden vier Jahre die gesamte RING-Tetralogie zustandebringen; zu den zukünftigen Osterfestspielen steht jeweils eins der Werke, zwei mal aufgeführt, auf dem Programm. Zuvor schon frachtet er seine Erfahrungen (und das Orchester!) dann auch gleich zum Opernfestival nach Aix-en-Provence, wohin ihn Nike Wagner lockte; ja, und traditionsgemäß können sich die Berliner, im Terminumfeld, auf konzertante Wiedergaben des für Salzburgs Schickeria und die reichen Sommerfrischlinge in der Provence Zuproduzierten und zu Produzierenden in alt bewährter Weise freuen: "Trost-Konzerte" für die eigentlichen und die wahren Fans dieses Orchesters. Nun, der erste Eindruck (Rheingold, wie geasagt) ist widersprüchlich. Das was in Orchestergräben platzgründiger Weise nie zu schaffen wäre, wird von justament im eignen Hause halbstarkmäßig praktiziert - ein alpensinfonieartiges Aufgebot an Instrumenten. Freilich hält er dirigierende Kontrolle über die zu musizierende Gewalt. Und insbesondere beim Ab- und Aufstieg nach/von Nibelheim beeindruckt diese Wucht auf das Brachialste. Doch es stellt sich, irgendwie, kein Grundgefühl für Rattles Interpretationsansätze ein, das Mystisch-Unheilvolle dieser so grandiosen Partitur - hier werden erstmals fasthin alle Leitmotive des gesamten vierteiligen Mammutwerkes nacheinander vorgestellt - bleibt unvermittelt. Die Besetzungsliste kann das Alles kaum "verbessern"; allenfalls fällt Burkhard Ulrich (Mime) durch die ätzende Verschlagenheit und exzessive Textverständlichkeit in seiner Rollenzeichnung auf; der Rest nicht mehr als weltstädtisches Mittelmaß, am desaströsesten der Alberich von Dale Duesing. Ungeachtet allen Unkenrufs, vonwegen dass mit Rattle und seinem Orchester Vieles nicht mehr stimmt, zum Trotz: bestürmende Begeisterung! Nie hat man ihn so sehr umliebt gesehen wie nach dieser Paukenschlägerei!!
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Verdis Ernani tags darauf. Die Deutsche Oper, wo seit Mai umfassend renoviert wird, packte ihre Partituren ein und ließ es gästehalber hier nicht minder leise krachen. Liest man im Libretto dieser frühen Verdi-Oper, ist man ja im Voraus wenig undankbar, solch einen abgebrühten Blödsinn möglichst nicht auf einer Bühne szenisch zu erleben, Gott bewahre! nein, wenn schon, dann ausnahmsweise konzertant. Und dabei ist das Werk von derart ungestümer Musikalität, dass man wohl nicht genug von jenem kriegen wollte. Forsch, beherzt, geradezu durchkräftigt spiel'n und singen das Orchester und der Chor des Hauses in der Bismarckstraße. Sylvie Valayre, seit ihrer fiesaasigen Lady Macbeth an der Staatsoper ein Faustpfand für die Opernstiftung in Berlin, ist eine höhensicher aus sich raus gurgelnde und fast desensibelnde Elvira. Lado Ataneli (als Don Carlo) konnte seiner überraschend aussetzenden Stimme nach der Pause Kraft und Schönklang ungeahnt zurückgewinnen. Hackend, hauend, hüpfend steht ihnen der neue Chef Renato Palumbo vor. Sein Dirigat, nicht nur von optisch einprägsamer Ausdrucksweise, muss als italienisch (bar der Ironie) bezeichnet werden - mehr als leidenschaftlich, ohne jede den Gesamtfluss bremsende Vertüfftelei. Wir freuen uns auf schöne Verdi-Abende mit ihm in naher und in ferner Zukunft!!
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Andre Sokolowski - 26. Juni 2006 ID 2482
www.andre-sokolowski.de
DAS RHEINGOLD (Philharmonie Berlin, 23.06.2006)
Sir Willard W. White (Wotan)
Detlef Roth (Donner)
Joseph Kaiser (Froh)
Robert Gambill (Loge)
Dale Duesing (Alberich)
Burkhard Ulrich (Mime)
Evgeny Nikitin (Fasolt)
Alfred Reiter (Fafner)
Lilli Paasikivi (Fricka)
Mireille Delunsch (Freia)
Anna Larsson (Erda)
Sarah Fox, Victoria Simmonds, Ekaterina Gubanova (Rheintöchter)
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Sir Simon Rattle
ERNANI (Philharmonie Berlin, 24.06.2006)
Salvatore Licitra (Ernani)
Lado Ataneli (Don Carlo)
Giacomo Prestia (Silva)
Sylvie Valayre (Elvira)
Cheri Rose Katz (Giovanna)
Yosep Kang (Riccardo)
Hyung-Wook Lee (Jago)
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Choreinstudierung: Ulrich Paetzholdt
Dirigent: Renato Palumbo
http://www.berliner-philharmoniker.de
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutscheoperberlin.de
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