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Rezension


5. April 2013, Premiere am Theater Lübeck

DIE TOTE STADT



Die tote Stadt am Theater Lübeck - (C) http://www.theaterluebeck.de


Aus blauem Glase

Im Grunde ist so ein Theater ja auch ein Ort des Grauens. Fast jeden Tag gibt es Tote, weil es kaum ein Stück gibt, in welchem nicht gestorben wird. Und doch kehren diese Toten immer wieder, sind sie allgegenwärtig, unvergänglich, eben un-tot. In Erich Wolfgang Korngolds Oper Die tote Stadt, welche auf dem symbolisch verschwurbelten Roman Bruges-la-morte von Georges Rodenbach fußt, geht es um das Loslassenkönnen, also ganz explizit darum, wie schwer das doch eigentlich ist. Obwohl man Paul zu Beginn der Geschichte erst kennenlernt, glaubt man dennoch, ihm schon irgendwo einmal begegnet zu sein. Vielleicht, weil jeder von uns so einen Paul im Freundeskreis hat. Oder weil man mal so einen Paul verlassen hat. Oder weil man selbst so ein Paul ist. Paul - bei Rodenbach heißt er Hugo - kommt nicht darüber hinweg, dass seine Frau fort ist. Maries Tod heißt aber nicht, dass sie auch für Paul gestorben ist. Denn immer dann, wenn ihn die Sehnsucht packt, geht er in ein Zimmer, sinkt auf das abgedeckte Sofa und starrt auf ihr Konterfei. Komplettiert wird dieser „Tempel der Erinnerung“ durch einen blonden Haarzopf Maries und eine gut ausgestattete Hausbar.



Die tote Stadt mit Ausrine Stundyte (Marietta) und Richard Decker (Paul) - Foto (C) Lutz Roeßler



In der Neuinszenierung am Theater Lübeck hat dieser Raum den Charme eines alten Theaters. Es ist fast so, als wäre man gerade im Fundus unterwegs und stößt dabei auf die Kulissen der früheren Lieblingsoper. Natürlich zieht so etwas nicht ohne Wehmut vorüber, nicht ohne glänzende Augen und dem Nachsinnen über die Vergänglichkeit des Seins. Man durchstreift das Brügge von Regisseur Dieter Kaegi und seinem Ausstatter Bruno Schwengl also zunehmend melancholisch, quasi mit der großen Träne im Knopfloch. Dennoch vermeidet es Kaegi, sentimental zu werden. Er wahrt die Distanz, vertraut bedingungslos der Vorlage, inszeniert überwiegend aus der Musik heraus. Gerade an den kleinen Gesten kann man sehr genau erkennen, wie fruchtbar der Probenprozess verlaufen ist. Und wenn Sänger mit einer Darstellung überzeugen, die hinsichtlich Glaubwürdigkeit keinerlei Wünsche offen lässt: Wer wird sich denn da über minimale Schönheitsfehler mokieren? Ob Richard Decker als dandyhafter Paul, Wioletta Hebrowska als Brigitta oder der (doch stets grandiose) Antonio Yang in der Doppelrolle Frank/Fritz: Dieses Sängerensemble ist wie aus einem Guss. Mit verblüffender Konsequenz zeichnet Kaegi die Figur, in welcher Paul die Doppelgängerin seiner toten Frau zu erkennen glaubt: Marietta als fleischgewordener Männertraum, als Wesen zwischen Höllenrose, Salome und blauem Engel. Ausrine Stundyte singschauspielert das schlichtweg atemberaubend. Sie schlüpft in ihre Partie wie in eine zweite Haut.



Die tote Stadt mit Ausrine Stundyte (Marietta) und Richard Decker (Paul) sowie dem Chor des Theater Lübeck und dem Kinder- und Jugendchor Vocalino des Theater Lübeck und der Musik- und Kunstschule Lübeck sowie Statisterie - Foto (C) Lutz Roeßler



Korngold hat in seine Oper viele Klangzauberer einfließen lassen, die im damaligen Wien populär waren (Strauss, Puccini, Wagner, um nur einige zu nennen). Maestro Brian Schembri braucht folglich auch nicht mehr zu tun, als den Herd auf maximale Gradzahl zu drehen. Unter seiner Leitung entfaltet das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck einen Sog, dem man nicht widerstehen kann: Was für ein geschlossenes und mitreißendes Musizieren, welch’ Farbigkeit in der Instrumentation. Am Ende wacht Paul einfach auf. Er beschließt, aus Brügge abzuhauen, macht aber beim Verlassen des Zimmers den verhängnisvollen Fehler, einen letzten Blick auf das Gemälde zu werfen. Und während ihm seine guten Vorsätze sofort wieder durch die Finger rinnen, weiß man zugleich, warum man die Kunstform Oper so sehr liebt. Ach, schnüff, wie schön.


Heiko Schon - 8. April 2013
ID 6670
DIE TOTE STADT (Theater Lübeck, 05.04.2013)
Musikalische Leitung: Brian Schembri
Inszenierung: Dieter Kaegi
Ausstattung: Bruno Schwengl
Licht: Falk Hampel
Dramaturgie: Sascha Mink
Besetzung:
Paul … Richard Decker
Marietta/Erscheinung Mariens … Ausrine Stundyte
Frank/Fritz … Antonio Yang
Brigitta … Wioletta Hebrowska
Juliette … Steinunn Skjenstad
Lucienne … Oksana Pollani
Victorin … Daniel Szeili
Graf Albert … Tomasz Mysliwiec
Gaston … David Winer-Mozes
Chor des Theater Lübeck
(Einstudierung: Joseph Feigl)
Kinder- und Jugendchor Vocalino des Theater Lübeck und der Musik- und Kunstschule Lübeck
(Einstudierung: Gudrun Schröder)
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Premiere war am 5. April 2013
Weitere Termine: 12., 25. 4. / 3., 12. 5. / 2., 15. 6. 2013


Weitere Infos siehe auch: http://www.theaterluebeck.de


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