1. Januar 2007, Konzerthaus Berlin
Neujahrskonzert des Konzerthausorchesters Berlin (Dirigent: Michael Gielen) mit Bruckners Achter Sinfonie
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Michael Gielen ist seit Jahren Erster Gastdirigent des Konzerthausorchesters Berlin
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Wenn der Michel Neujahr Schlittschuhlaufen geht
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Von Anton Bruckner weiß der Laie ziemlich wenig. Populäres Nachschlagzeug ist nicht vorhanden. Freilich gibt es jede Menge Fachspezifika, die man sich in der Bibliothek aus teuren Büchern oder jeder Menge Beitexten erlesen könnte. Der Konzertbesucher, also der der nicht nur an den Feiertagen oder zu den Light-Events mal in die Musentempel geht, wird so die eine oder andre Form eines "Herangehens" zu nutzen wissen. Ganz egal wie er es anstellt - meistens (oder nie) kommt er dem Menschen Bruckner kaum ein Stückchen näher; es ist einfach viel zu wenig über den bekannt.
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Anton Bruckner (1824-1896)
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Betrachtet man sich Bruckner auf den Fotos, die es hie und da zu sehen gibt, fällt auf: Der Mann hat einen etwas dümmlich wirkenden Gesichtsausdruck. Der ganze Habitus ist auch von einer merkwürdigen unbedarften Art. Man würde sich ihn viel viel eher noch als einen Landarbeiter, der sich in den guten Zwirn zu stecken traute, um beim Amtmann in der Stadt Besorgungen zu machen, vorstellen; auch dass er gar, bei der Gelegenheit, das Rentengeld seiner erst kurz verstorbenen Cousine oder Schwester neu denn "klären" müsste oder so. Auf keinen Fall jedoch stellt man sich Bruckner im Zusammenhang mit einer Frau aus Fleisch und Blut, will sagen einer Gattin, einer Angebeteten, einer Geliebten oder gar einer erotischen Affäre vor. Das gibt das Äußere nicht her... Wie es nur kommt, dass es so völlig unterschiedliche und doch dann immer gleich ausschauende Ablichtungen von diesem unscheinbaren Manne gibt? Er ist ja auch einer der Büstengötter in der Regensburgischen Walhalla, wo doch nur die Größten aller Größten aufbewahrt sind, oder etwa nicht?? Das Eine hat ja mit dem Andern nichts zu tun.
Und doch!
Ist irgendwer etwa zur Stelle, der bei Bruckners todestrunkenen und traumverlorenen ADAGII nicht hörblind oder herzerschwächelnd werden würde? Gibt es irgendwie vielleicht einen Vergleich zu solchen irrwitzigen Lähmendmachungen des menschlichen Gemütes?? Hatte Bruckner hypnotistische Talente???
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In der ACHTEN SINFONIE, zum Beispiel, treibt er diese an sich ungekannte und unausprobierte Masche menschlicher Verführungskünste an die absolute Grenze der Erträglichkeit. Wie jeder Satz in dieser Art (jedes ADAGIO) gibt es eine liedartige Melodie. Die geht sehr langsam, die ist nachsingbar, die spielen immer dann zuallererst die Streicher, die wird nach und nach dann aufgenommen von dem ganzen Instrumentenapparat, die steigert sich zu einer engelgleichen violinen Höhe, die wird "eingefangen" durch das kolossale Bläserwerk, die wird nicht müde in den zigsten Wiederholungen und Varianten, die geht letztlich auf wie eine Sonne hinterm Berg, die "blendet" so die Ohren, die erschrickt sich in 'nem grellsonnigen Allesklang... / Und in 'nem abgedruckten Autobiografensatz heißt es, er (Bruckner) hätte "einem Mädchen zu tief in die Augen geschaut". // Aha.
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Michael Gielen nun, der diesen martialen Magerschinken zu Silvester/Neujahr in Berlin mit dem Konzerthausorchester aufführte, hat neben der olympisch anmutenden Darbringung desselbigen ADAGIO einen völlig unerwartet einmaligen Interpretationsansatz des SCHERZO zugereicht:
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Ganz "leicht", wie aus dem Handgelenk, treibt er - vielleicht zum ersten Male überhaupt in dieser Art und Weise (denn das SCHERZO aus der ACHTEN hat man so, befürchte ich, noch nie zuvor erlebt!) - den deutschen Michel, der ja immer irgendwie die "Hauptfigur" in diesen SCHERZI Bruckners ist, samt Zipfelmütze und mit überladendem Gewicht aufs Eis:: Er landet dort in einer Exzessivform der Behebigkeit, der Ungelenkigkeit, der Schläfrigkeit. Und rutscht bei allen diesen Handicaps tatsächlich niemals aus. Bleibt auf dem Eis. Dreht dort paar Runden. Schlingert freilich ab und zu. Doch, wie gesagt, er fällt und fällt nicht hin!!
Den Musikern ist anzusehen, dass sie diese (auch für sie ganz neue, völlig ungekannte) Sicht von Gielen freudig, dankbar und genussreich teilen. Es ist keine Parodie des Satzes, nein, es ist wohl lediglich das komponierte Bruckner-Bild (das Foto, das vermeintliche), was hier geschieht.
Großartig, auch im Ganzen.
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Andre Sokolowski - red / 2. Januar 2007 ID 00000002885
von Andre Sokolowski zu Bruckner siehe auch:
BRUCKNERS DRITTE
Kammerspiel in einem Aufzug
von Andre Sokolowski
Konzerthaus Berlin, 1. Januar 2007
Anton Bruckner (1824-1896):
Sinfonie Nr. 8 c-Moll
- Fassung 1887 -
Konzerthausorchester Berlin
Dirigent: Michael Gielen
Weitere Infos siehe auch: http://www.konzerthaus.de
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