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nachDRUCK # 5

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Konzertkritik

Manfred

von Robert Schumann


Lord Byron (1788-1824) / Bildquelle: Wikipedia


Bruno Ganz erklimmt die Saalempore unterm Dach, Jens Harzer holt ihn von dort oben wieder ab, Dörte Lyssewski wartet unten auf dem Sprecherpodium, die beschworene Gestalt Astarte's sieht man live und splitternackt, Barbara Sukowa mit Chor ist plötzlich da und Peter Fitz scheints stimmlich nicht so gut zu gehen ... dazu spielen die Berliner Philharmoniker im Halbdunkeln

Pünktlich zum Freudjahr lässt sich die Geschichte hier, in etwa, nacherzählen:

In die Schweizer Alpen hat sich Manfred, ein wie Goethes Faust anmutender Magier, zurückgezogen. Er erprobt den Suizid. Aber es will ihm nicht gelingen, weil er a) vielleicht zu feige für den letzten seiner Schritte ist und/oder b) weil die ihn allerorts und allzeit so "vertrauten Kräfte" überhaupt nicht damit einverstanden sind. Verhinderung, Behinderung wie es nur geht. In Manfreds Kopf - der eigentliche Anlass seiner psychischen Totalverstrickungen - wütet der Innenvorwurf, eine Art von Blutschuld, denn: Er hätte sich, wie er behauptet, mit der eignen Schwester eingelassen, ja und diese, seine leibhaftige Schwester (oder Halbschwester... ist scheißegal), hätte sich selbst, aus ihrer Blutschuld wiederum, schon vorher aus der Welt geschafft. Was also tun, sprach Zeus?

So oder ähnlich geht die krude Un-Geschichte eines Schauspiels von Lord Byron, welches dieser, sehr gescheit im Übrigen, nie für die Bühne auserkoren hatte; seine Stücke und die vielen andern Texte haben starken autobiografischen Bezug; auch Byron hatte was mit seiner Schwester oder Halbschwester etc. pp.

Nun hatte sich im Jahre 1848 - hm, da war doch was? Revolution?? - der zeitlebens so opernUNerfolgreich vor sich hin dümpelnde Robert Schumann dieses grauenhaften Byrontextes angenommen, las ihn hin und wieder vor geladnen Gästen, und es ist auch überliefert, dass der Vorlesende reichlich Tränen zu dem Stück vergossen haben soll; nachdem er dann die letzten Noten Genovevas (an der Oper Leipzig konnte man sie in der Inszenierung Achim Freyers ganz zuletzt erleben!) aufs Papier verfrachtet hatte, machte er sich unverzüglich an sein neues Werk: Manfred op. 15 - Dramatisches Gedicht in drei Abteilungen von Lord Byron in der deutschen Übersetzung von Karl Adolf Suckow für Sprecher, Soli, Chor und Orchester.

Claudio Abbado, dessen offizielle Amtszeit bei/mit den Berliner Philharmonikern ganz stark durch programmatische Beschwerpunktung geprägt gewesen war - in jeder Spielzeit gab es beispielsweise eine Art von Leitmotiv, worunter dann die Werkzusammenstellungen erfolgten - , ist sich auch in seinem neuerlichen Mai-Gastspiel bei den Geliebten treu geblieben. Denn er tat in diesem Jahr zwei Werke auserwählen, die im Oevre ihrer Schöpfer ausnahmsweise und ganz untypisch zu nennen sind: Wesendonck-Lieder Richard Wagners (diesem eigentlichen Meister der totalen Großform Oper) / Manfred, wie gesagt, von Robert Schumann (diesem eigentlichen Meister des Klaviers); die artikulativen Qualitäten der von Otter, die die Lieder sang, müsste man viel viel näher kennen oder überhaupt denn lieben, um sich enthusiastischer als das hier möglich wäre, festzulegen. Anders als beim Manfred:

Hier warn Schwergeschütze nötig! und die wurden aufgefahren!!

Ja, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Creme des deutschsprachigen Sprechtheaters diesen Abend fasthin ganz für sich in Anspruch nahm. Denn Byrons/Schumanns Text - die meiste Zeit wird deklamiert; Musik findet bloß "folienartig" (Schumann nannte das auch selbst so) statt - nimmt wohl die allermeiste Zeit dieses auf unter 90 Minuten anberaumten Stückes ein. Am unvergesslichsten: Einzug der Geister Arimans (Nr. 7)!! Der lauthals vor sich her wütende Chor des Bayerischen Rundfunks, dessen Mitglieder mit schwarzen Kutten, teilweise mit überzogenen Kapuzen, ausgestattet sind, umsäumt mit einem Mal, von links mit einem breiten Tuchband auftretend, das Sprecherpodium, auf dem, in rotes Licht gepackt, Barbara Sukowa als Nemesis erschienen ist - unter der wilden blonden (echten!!!) Mähne ist sie immer noch der Vamp als den man sie seit Jahren und Jahrzehnten kennt; wenn sie "O Herrscher aller Herrscher" aus sich schleudert, ist man auch von dieser geilen Stimme derart aufgeputscht, dass Weiterlauschen auf das nur noch Leiserklingende um sie herum Probleme macht. Nicht minder sinnlich, ja elektrisierend in der Stimme und in den Bewegungen: Jens Harzer als der Gemsenjäger. Diesem gegenüber haben es die großen alten Männer (Bruno Ganz und Peter Fitz) nicht leicht... auch nicht, vor allem deshalb nicht, weil sie als Einzige an ihrem Textbuch unentwegter Weise kleben, während ihre Mitakteure quasi aus dem Stegreif spielten; ein paar Buhs nach Schluss der Aufführung (deshalb??) ... // Schumanns Musik erklingt in ungeahnter wunderschöner Weise. Auch: Diese Musik ist einfach wunder-wunderschön.

Grandioses Unterfangen!!!!!


Andre Sokolowski - 20. Mai 2006
ID 2403
http://www.andre-sokolowski.de


BERLINER PHILHARMONIKER (Philharmonie Berlin, 19.05.2006)

Richard Wagner: Wesendonck-Lieder
Anne Sofie von Otter, Mezzosopran

Robert Schumann: Manfred op. 15
Bruno Ganz (Manfred)
Peter Fitz (Abt)
Jens Harzer (Gemsenjäger/Geist)
Dörte Lyssewski (Alpenfee/Astarte)
Kurt Azesberger (Ariman/Vierter Geist)
Barbara Sukowa (Nemesis)
Anne Sofie von Otter (Erster Geist),
Julia Kleiter (Zweiter Geist),
Reinhard Hagen (Dritter Geist) sowie
Andreas Bauer, Sascha Borris und Konstantin Wolff
Chor des Bayerischen Rundfunks (Choreinstudierung: Peter Dijkstra)

Berliner Philharmoniker
Dirigent: Claudio Abbado


Weitere Infos siehe auch: http://www.berliner-philharmoniker.de



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