Ulrich Matthes, Thomas Thieme und Matthias Goerne sprechen/singen - DSO spielt - Kent Nagano dirigiert Ekklesiastische Aktion von Bernd Alois Zimmermann
Nach der Pause: Bruckners Neunte
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Thomas Thieme ist der Großinquisitor im Spätwerk Zimmermanns (der brachte sich mit 52, kurz nach Abschluss dieser Arbeit, um).
Aber er spricht nicht nur die anklagenden Worte dieses greisen Mannes - Dostojewski's Iwan Karamasow, dem die Auserdenkung jener Schlüsselszene des Romans Die Brüder Karamasow, wonach Jesus ca. 1500, in der Hochzeit der umherwütenden Inquisitionellen, auf die "Zivilisation" (Sevilla) herabstiege und als der eigentliche Ketzer ausgemacht und eingekerkert würde, zuzuschreiben ist, versinnbildlicht hier das Prinzip jener Theodizee (= Rechtfertigung von Gott) - ; vielmehr: Thieme nimmt diese ganze Szene zwischen Richter und Zurichtendem über das Sprachliche hinaus auch noch in der Gestaltung ihrer selbst erschütternd ernst:
Die Szene gipfelt in dem Schweigen Jesus', und er gibt nach all den Vorwürfen und Anfechtungen dem Verhörer/Ankläger bloß diesen einen Kuss, worauf der Höchstbetroffene fast wie in sich zusammenfällt und Jesus ziehen lässt, nicht ohne ihm sein "Geh und komm nicht wieder... Komme nie, nie mehr wieder... niemals, niemals!" hinterherzuschleudern. - - Thieme bebt am ganzen Leib, als er das Alles sagt. Er ist kein Schreihals, also seine Art Ent-Äußerung kann nicht phonetisch und/oder durch Dezibels bewertet sein; er schafft das einzig und allein durch die Präsenz seiner Persönlichkeit: es ist ein "Schrei durch alle Poren"!
"Ich leugne gar nicht, daß es einen Gott gibt, aber diese von ihm geschaffene Welt lehne ich ab. Ich gebe ihm mein Eintrittsbillett in diese Welt zurück", sagt Iwan Karamasow (der atheistische Erfinder des Großinquisitor). Und sein Bruder Aljoscha (der Novize) gegenargumentiert mit der Nächstenliebe Gottes...
So funktioniert dann auch die geniale Dramaturgie der Ekklesiastischen Aktion, indem der Komponist dem in losen Zitaten wiedergegebenen Romankapitel Dostojewskis nicht viel weniger Zitate aus dem Alttestamentarischen Buch Salomo parallel zur Seite packt; der einprägsam(st)e Schlusssatz hier: "Weh dem, der allein ist!"
Auch Ulrich Matthes also, der die Salomo-Zitate raumfüllender Weise deklamiert - anrührend-fest und glaubhaft-intensiv in der Vermittlung dieser einfachsten der Botschaften, die es wohl gibt. / Bassbariton Matthias Goerne (fast schon "ungeheuerlich" in seiner Überzeugungskraft) war so was wie der Thesen-Brückler, denn er musste aus den beiden Texte-Seiten den für ihn von Zimmermann bestimmten musikalischen Extrakt herüberbringen; was ihm fulminant gelang.
Kent Nagano ist und war von diesem Werk dann so ergriffen, dass er zum Finale hin sich umzudrehen schickte und zu Boden ging, sich in den Schneidersitz begab und (mit uns, seinen Hörern) sozusagen meditierte.
Eines der gelungensten und wohl bewegendsten Konzerte - nach der Pause gab es dann noch Bruckners Neunte - , die das Deutsche Symphonie Orchester jemals gab!!!
Andre Sokolowski - 24. April 2011 ID 00000005172
DEUTSCHES SYMPHONIE-ORCHESTER (Philharmonie Berlin, 23.04.2011)
Bernd Alois Zimmermann: "Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne" - Ekklesiastische Aktion für zwei Sprecher, Bass und Orchester (1970)
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 9 d-Moll (1887-96)
Ulrich Matthes, Sprecher
Thomas Thieme, Sprecher
Matthias Goerne, Bass
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Dirigent: Kent Nagano
Siehe auch:
http://www.dso-berlin.de
http://www.andre-sokolowski.de
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