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DVD-Besprechung

Die zeitgenössische Musikwelt hat ein neues Meisterwerk: Madame Curie von der polnisch-französischen Komponistin Elzbieta Sikora








Pünktlich zum Ende des Jahres der Chemie fand am 15. November 2011 – mit großem Erfolg - in der UNESCO in Paris die Welturaufführung von Madame Curie statt. Die polnische Premiere war am 25. November 2011 an der Baltischen Oper in Gdansk. Dass sie dort gefallen hat, zeigt die Wiederaufnahme in 2012 und auch nochmals im April 2013.

Marek Weiß hat die Regie übernommen mit Wojciech Michniewski am Pult. Eine sehr gute und „explosive“ Mischung. Im Frühjahr 2013 hat nun das Theater Gdanks mit Unterstützung vom Polnischen Institut Paris und weiteren eine ausgezeichnete DVD herausgebracht. Weiss hat die Oper wie ein griechisches Minimal-Theater inszeniert – Freud, Leid, Neid, Ambition, Tod und Hoffnung - alle Zutaten, die ein griechisches Drama braucht. Auf jeder Seite der Bühne platziert er eine Tribüne, dort hält sich meistens die Masse (der Chor) die sog. "öffentliche Meinung" auf. Sie sind alle aschen-farbig geschminkt, sind feig und frech, zusammen stark und ändern ständige ihre Meinung. Marie wird von ihnen beglückwünscht und beschimpft, je nachdem was gerade angesagt ist. Der großartige polnische Theaterrevolutionär Tadeus Kantor hat seine Handschrift hinterlassen bei Marek Weiss' Produktion – was gut so ist. Die Hauptfarben sind schwarzes Rot und grau, nur die Kinder von Marie und Lois Fuller sind weißgekleidet und bringen Licht auf die Bühne. Die Masse ist ebenso grau mit angedeuteten Lichtakzenten, wie auch Maries Mantel, dieser hat allerdings ein dunkelrotes Futter, welches ab und zu durchblitzt und die Dramatik erhöht. Langevin ist elegant und Missy Meloney - in Stöckelschuhen - ist laut und trägt andeutungsweise ein wenig Farbe! Das Orchester sitzt auf der Bühne - sichtbar für alle. Was sehr wichtig ist, weil man die Musik besser versteht, wenn man sieht wie sie entsteht.

Das Libretto hat Agata Miklaszeweska geschrieben. Sie geht sehr auf die Psychologie von Marie ein, auf das Persönliche. Auf die Angst und Unsicherheit, die Einstein z.B. verbreitet und den Terror der Masse.

Elzbieta Sikora kam in den 60er Jahren nach Frankreich und hat Paris zu ihrer Wahlheimat gemacht. Genauso wie vor über 100 Jahren Marie Curie – damals hieß sie noch Sklodowska - Paris zu ihrer Heimat und Wirkungsstätte gemacht hat. Die bei Pierre Schaeffer gemachten Erfahrungen mit der elektronischen Musik kann man heraus hören, aber nicht nur: es gibt zahlreiche romantische und 12-Ton-Passagen. Das ist so gewollt, sagt Elzbieta Sikora selber in einem Interview. Marie hat wunderbare lyrische Arien, ihre Rolle ist überhaupt genial. Sie ist Frau, Mutter und Wissenschaftlerin und immer hin- und hergerissen zwischen Pflicht, Forschung und Ruhm. Anstrengend auch, sie ist immer auf der Bühne – alle anderen Kommen und Gehen, bekommen eine Pause. Sie ist da, unermüdlich. Beeindruckende Solopartien, ein berührendes Klarinettensolo (Grzegoru Wieczorek) begleitet die Mädchen ins Erwachsenenleben. Lois Fuller hingegen stirbt in aller Stille, begleitet von elektronischen Akzenten. (Die amerikanische Tänzerin Lois Fuller kam in der „Belle Epoque“ nach Paris und erregte großes Aufsehen mit ihren prächtigen Choreographien. Einmal bat sie die Curies sogar um etwas Radium für eines ihrer Kostüme - „Radium Dance“). Der Chor nimmt im Verlauf der Oper eine immer wichtigere Stellung ein. Nach Marie vielleicht sogar die Wichtigste. Der kurze Auftritt ihrer beiden Töchter als Kinder ist eine rührende Szene. Die Mädchen benutzen Löffel und Kaffeetasse und spielen eine kleine Serenade, solange bis Pierre unruhig wird „ich kann mich nicht konzentrieren, mein Glöckchen“. Wunderbarer Moment, so eine ähnliche Stelle gibt es bei den Drei Schwestern von Eötvös, diese hier ist noch gelungener!

Zwischendurch wird auch mal kurz ein Filmausschnitt aus dem Ersten Weltkrieg eingeblendet, man sieht den Röntgenwagen, mit dem Marie die Verletzten durchleuchtet hat.

30 Bilder Musiktheater, während denen sich das Bühnenbild fast nicht verändert. Wichtig ist nur der große Tisch in der Mitte. Auf ihm wird gearbeitet, gegessen, erfunden, Pierre wird auf ihn gelegt, nachdem er tot nach Hause gebracht wurde. Später liegt auch noch die Tänzerin drauf. Anna Mikolajeczyk ist eine wunderbare Marie Curie, mit ihrem grauen Labormantel, die Haare leicht zerzaust wirkt sie eher ungepflegt. Pierre wird von Pawel Skaluba gesungen, und Tomasz Rak ist Paul Langevin. Einstein Leszek Skrla. Lois Fuller, die Tänzerin, ist Julia Lawrenowa vom Baltischen Tanz Theater. Die Choreographie für sie hat sich Isadora Weiss ausgedacht. Sie ist großartig.

Elzbieta Sikora hat sich sehr ausgiebig mit Marie Curie befasst, Biografien gelesen und sich mit Chemie und Physik beschäftigt. Das merkt man dem Werk an. Ich könnte mir vorstellen, dass sie auch Autobiografisches darin verarbeitet hat. 1981 bekam Elzbieta Sikora beim Wettbewerb für Komponistinnen in Mannheim den ersten Preis in ihrer Kategorie. Sie ist zur Zeit künstlerische Leiterin des zeitgenössischen Musikfestivals Wroclaw (Breslau).

Gesungen wird in polnischer Sprache, Untertitel gibt es in Französisch, Englisch und Deutsch. Das Begleitheft ist sehr ausführlich und enthält viel Information über alle Darsteller.

Zeitgenössische Opern haben es nicht leicht und oft nur ein kurzlebiges Dasein. Sie werden komponiert, ein paar mal aufgeführt und verschwinden dann schnell wieder in den hinteren Regalen. Das wird Madame Curie sicher nicht passieren!

Christa Blenk - 12. April 2013
ID 6682


Siehe auch:
http://www.operabaltycka.pl/pl/spektakl/madame-curie


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