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kriegs-
moderne
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Bewertung:
Unter den deutschen Orchesterleitern nach 1945 gibt es kaum einen, der sich so kompetent im Repertoire ausgewiesen und zugleich in der zeitgenössischen Musik ausgekannt und für diese eingesetzt hat wie Michael Gielen. Nun ist die 10. Box der Gielen-Edition erschienen, die, nach Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms, Tschaikowski, Dvořák, Wagner, Bruckner, Mahler, Debussy, Ravel, Bartók, Strawinsky, Schönberg, Webern, Berg und anderen, auf 6 CDs Musik nach 1945. Klassiker der Nachkriegsmoderne enthält. An der Auswahl gibt es nichts zu mäkeln. Bernd Alois Zimmermann, György Ligeti, George Crumb, Jorge E. López, Luigi Nono, Morton Feldman, Michael Gielen, György Kurtág, Mauricio Kagel, Pièrre Boulez, John Cage: da mögen einem Bruno Maderna, Hans Werner Henze, Helmut Lachenmann, Karlheinz Stockhausen, Isang Yun, Friedrich Cerha, Luciano Berio, Iannis Xenakis oder Krzysztof Penderecki fehlen. Aber dass die ausgewählten zu den bedeutendsten Komponisten der vergangenen Jahrzehnte, vor der Generation Rihm, zählen, wird wohl niemand in Frage stellen. Zu den meisten hatte Michael Gielen als Interpret, Förderer und Freund auch einen persönlichen Kontakt.
Die Tonalität war nach der Dominanz des Kitschs in den Jahren des Nationalsozialismus verpönt wie das Gegenständliche in der bildenden Kunst. Mehrheitsfähig waren die „Klassiker der Nachkriegsmoderne“ nicht. Ihre Verächter trösteten sich mit der Vergangenheitsbeschwörung eines Carl Orff.
Ein gemeinsames Merkmal vieler Nachkriegskompositionen ist die gegenüber der „klassischen“ Musik gesteigerte Bedeutung der Perkussionsinstrumente (der Einfluss von Edgar Varèse?), von Geräuschen mit unbestimmbarer Tonhöhe und, als deren Gegenstück, von ausgedehnten Generalpausen.
Zwei Requiems von Bernd Alois Zimmermann und György Ligeti laden zum Vergleich ein. Während Zimmermann Schnipsel aus Reden benützt, um eine unmissverständliche politische Aussage zu machen, besteht Ligeti mit seiner Cluster-Technik auf absoluter Musik.
Die Kompilation macht deutlich, dass man durchaus von einem Epochenstil sprechen kann. Ein Titel wie Variazioni canoniche über die Reihe des op. 4 von Arnold Schönberg (Luigi Nono) verweist auf den Stellenwert, den die von den Nazis verunglimpfte Zweite Wiener Schule für die Nachkriegsmoderne hatte. Am originellste erscheinen Morton Feldmans Coptic Light – die Unbefangenheit des weit von Darmstadt entfernten Amerikaners? –, die beiden Kompositionen von Jorge E. López, den Michael Gielen überhaupt erst in Deutschland bekannt gemacht hat, und Gielens eigene Pflicht und Neigung.
Thomas Rothschild – 25. Oktober 2021 ID 13243
CD-Link zur
Michael-Gielen-Edition, Box Nr. 10
Post an Dr. Thomas Rothschild
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